Wie es Brendan erwartet hatte, versuchte Koumeran vor der Frau anzugeben. Er hob eine besonders schwere, alte Laserwaffe an. Sie war einmal für Soldaten in Exoskeletten entwickelt worden. Koumeran stemmte sie wie ein Gewicht mit beiden Armen mehrmals in die Höhe, bevor er sie zurück in ihre Halterung legte.
Lieutenant Schaller lächelte spöttisch. „Immerhin, auch ein Mann wie Sie hat seine Qualitäten. Welche Funktion haben Sie hier an Bord - die Fracht verstauen?“
Koumeran war für einen Moment sprachlos.
Brendan sprang ein: „Eigentlich ist er der Pilot.“
„Ach ja?“, sagte Schaller und verließ die Kabine.
In der Zentrale, durch deren Panoramafenster man das Innere des Hangars sehen konnte, schien auf den ersten Blick alles unverändert. Zwei Pilotensitze vor der doppelt ausgelegten Hauptsteuerung, zwei Reservesitze und die Schränke für die Notfallausrüstung - Raumanzüge, Löschmittel, Notsender.
Schaller räusperte sich und sagte: „Wir haben die erforderlichen Änderungen installiert, die für die Kontrolle der neuen Bauteile notwendig sind. Insbesondere für die Triebwerke, die Waffen und den leistungsfähigeren Fusionsreaktor. Außerdem haben wir das Hypersprungaggregat auf vier Kristalle aufgerüstet. Das gibt ihnen genügend Kapazität, um auch längere Strecken interstellar zurückzulegen. Die Yacht ist jetzt auf einem Standard, der den von ähnlich großen militärischen Schiffen übertrifft, meine Herren.“
Es blieb nur noch eines, das Brendan auf Veränderungen hin überprüfen wollte. Er sagte laut: „ Jool , wie ist dein Betriebszustand?“
Die künstliche Intelligenz des Schiffes antwortete mit einer rauen, weiblichen Stimme: „Einsatzbereit auf allen Gebieten, Brendan. Willkommen an Bord!“
Es war Brendans Vater gewesen, der diese Stimme gewählt hatte. Sie klang nach einer alten Lehrerin, die Brendan während seiner Schulzeit verehrte hatte. Sie hatte ihm, dem jungen Träumer, oft beigestanden, ihm manchmal aber auch ordentlich die Leviten gelesen. Die Programmierung dieser Stimme war ein Scherz seines Vaters gewesen. Aber weil der bald darauf gestorben war, hatte es Brendan nie übers Herz gebracht, eine angenehmere Stimme auszuwählen.
„Wurden Veränderungen an dir vorgenommen, Jool ?“ Wenn Brendan das Schiff wie eine Person ansprach, meinte er die KI, nicht das Objekt als solches.
„Der Kern meiner Intelligenz und meine Persönlichkeitsstruktur wurden nicht angetastet. Allerdings erfolgten eine Aufrüstung der Rechnerkerne und eine deutliche Erweiterung der Datenbanksysteme. Ich fühle mich jünger, schneller und intelligenter als vorher.“
„Danke, Jool . Wann ist das Schiff startbereit?“
„Sofort, Brendan. Die Zielkoordinaten und die gesamte Planung sind mir bereits bekannt. Sobald Lieutenant Schaller von Bord gegangen ist, können wir losfliegen.“
Eine halbe Stunde später schwebte die Jool aus dem Hangar und beschleunigte.
Kapitel 5
Der Rücksturz der Jool aus dem Hyperraum war so berechnet, dass sich Chenderra auf der anderen Seite der Sonne befand. Das sorgte für den höchstmöglichen Ortungsschutz. Anschließend nutzte die Raumyacht nur ihre Schwerkraftantriebe, um sich in einem weiten Bogen um die Sonne herum dem Planeten zu nähern.
Es dauerte sieben Tage, bis das Schiff Chenderra erreichte. Koumeran entdeckte einen alten Kommunikationssatelliten im geostationären Orbit und bugsierte die Jool in dessen Nähe. Zusammen mit der neuen Tarnbeschichtung bot das genügend Sicherheit gegen Ortung von der Oberfläche aus.
Dann war es soweit: Brendan folgte seinem Freund durch eine schmale Schleuse in das Beiboot, das an der Jool verankert war. Sie hatten gerade genug Platz, um hintereinander darin zu sitzen. Koumeran übernahm die Kontrolle und löste die Verbindung mit dem Raumschiff. Langsam drifteten sie von ihm weg. In einigen Kilometern Entfernung zündete Koumeran für wenige Sekunden das chemische Triebwerk.
Stunden später drang das Beiboot in die oberen Schichten der Atmosphäre ein. Wie ein gewöhnlicher Meteorit stürzte es hinab zur Oberfläche. Sollte jemand mit Messgeräten den Himmel absuchen, so würde er nicht feststellen können, dass es sich um ein künstlich geschaffenes Objekt handelte.
„Unser Eintrittswinkel ist nicht optimal“, sagte Koumeran. „Ich werde ihn aber nicht korrigieren. Die chemischen Triebwerke sind nur für den Notfall gedacht. Außerdem gibt es heftige Winde in den oberen Schichten. Bleib angeschnallt und halte dich fest.“
Ruckende Kursänderungen rissen Brendan in den Gurten hin und her. Das war so nicht geplant gewesen. Womöglich erreichten sie das vorgesehene Ziel nicht und landeten mitten in einem Ozean. Oder noch schlimmer, in dicht besiedeltem Gebiet.
Als die Geschwindigkeit weit genug abgesunken war, zwang Koumeran das Beiboot in den Gleitflug. Wie ein Segelflugzeug glitt es antriebslos dem Boden entgegen. Unter ihnen breitete sich in allen Richtungen eine grüne Ebene aus. Was sie im ersten Moment für normales Gras gehalten hatten, waren die Blätter einer viel größeren Pflanze.
„Kein geeigneter Landeplatz in Sicht“, brummte Koumeran. „Ich gehe in einer Spirale nach unten, sonst kommen wir zu weit nach Westen.“
Da das Beiboot sich sowieso selbst zerstören würde, war es egal, ob es bei der Landung beschädigt wurde. Es pflügte eine Schneise in das, was Brendan nun als zwei Meter hohe Grashalme erkannte. Das Gras bremste das Boot so schnell ab, dass er beinahe das Bewusstsein verlor. Dann folgte ein harter Aufschlag und alles war still.
Da sie keine modernen Geräte in Betrieb nehmen wollten, mussten Brendan und Koumeran eine Stunde warten, bis die Automatik den Ausstieg freigab. Während dieser Zeit kühlte die Hülle ab.
Über die Außenkameras beobachtete Brendan die Umgebung. Die riesigen Grashalme wiegten sich im Wind. Das Beiboot überragte sie um einen Meter, deshalb konnte er auch weiter entfernte Gebiete heranzoomen. Nirgends gab es Anzeichen menschlicher Aktivitäten. Nicht einmal Tiere sah er. Die einzige Unterbrechung in dieser monotonen Landschaft bildete ein einzelner Baum. In einiger Entfernung ragte er in die Höhe, knorrig und mit wenigen Blättern. Er sah aus, als würde ihm das Gras die notwendige Nahrung nicht zukommen lassen, die er zum Wachsen brauchte.
Schließlich ertönte ein Pfeifton: Es fand ein Druckausgleich statt. Das rote Licht über der Ausstiegsschleuse wechselte auf Grün.
Brendan stieg als erster aus. Es war warm draußen. Außer dem sachten Rascheln der Grashalme war nichts zu hören. Aber es stank unangenehm nach Rauch. Da die Außenhülle des Beibootes bei der Landung glühend heiß gewesen war, hatte es das Gras in einem kreisförmigen Bereich verbrannt.
Koumeran kam aus der Schleuse. „Die Selbstvernichtungsschaltung ist aktiviert. Wir haben nur noch ein paar Minuten Zeit.“
Brendan nickte. „Komme gleich.“ Er sah sich das Gras genauer an. Es waren kräftige Pflanzen mit lanzenförmigen, schmalen Blättern. Es hätte Schilf sein können, doch der Boden unter seinen Füßen war fest. Einige braune Käfer krabbelten herum. Größere Tiere waren keine zu sehen, nicht einmal Vögel am Himmel.
Brendan fühlte sich nicht wohl in dieser eintönigen Umgebung. Und doch irgendwie geborgen.
Koumeran deutete auf die Käfer: „Vermutlich einheimisch, ebenso wie dieses seltsame Gras. Laut Commander Vendaar wurde Chenderra nur teilweise terraformt. Die Siedler haben Nutztiere und Saatgut für die Landwirtschaft mitgebracht. Außerdem die übliche Mischung anderer Pflanzen und Tiere, die erforderlich ist, um ein dem Menschen zuträgliches ökologisches Gleichgewicht zu schaffen. Aber sie haben nicht den ganzen Planeten in eine zweite Erde verwandelt.“
Читать дальше