Einladung zu einem ziemlich unwichtigen Kongress, Anfang September – schon vorbei, konnte weg. Wieso hatte sie das eigentlich nicht rechtzeitig bekommen?Überstundenabrechnung – ab in die Tasche, das gehörte zu ihren persönlichen Unterlagen.Anfrage von W&P wegen einer Zusammenarbeit bei einem Projekt für die Stadt Leisenberg. Der Brief klang witzig:
Leisenberg ist anders ja ein schamloses Plagiat wäre und es sonst nicht viel gibt, womit man ehrlich werben könnte, fühlen wir uns alleine ein wenig überfordert...“
- wer hatte das geschrieben? Ach, die Zierer. Die war gut. Sie würde Tiefenbacher fragen, ob er einverstanden war. Mit einem grellfarbenen Post-it verziert, kam der Brief auf einen separaten Stapel.Werbung – Werbung – Werbung... In einer Werbeagentur konnte man so etwas nicht völlig unbeachtet wegwerfen, also sah sie alles flüchtig durch, ob man wenigstens gute Ideen klauen konnte. Nein, alles Mist, und sie brauchte weder dubiose Geldanlagen noch eine preiswerte Zahnbehandlung in der finstersten Slowakei, und ein völlig neues Diätkonzept ging ihr auch am Arsch vorbei.Erfolgreiche Frauen machen keine Diät, ärgerte sie sich, das ist Beschäftigungstherapie, von Männern ersonnen, um die Frauen als Konkurrenz auszuschalten. Erfolgreiche Frauen haben ihre Gesundheit im Griff und denken nicht dauernd darüber nach, basta. Weg mit dem Mist!Der Rest war Kleinkram, eine Anfrage von der Personalabteilung, zwei Zeitschriften, die sie für die Abteilung abonniert hatte (und sofort nach draußen trug, wo sie wahrscheinlich keine dieser Nasen lesen würde, obwohl es ihnen nicht schaden würde) – und ein Notizzettelchen, dass Petersen sie sprechen wollte.
Huch, Petersen? Der Obermotz? Sie hatte ihn noch nie gesehen, denn Tiefenbacher hatte sie eingestellt. Wollte er sich die „Neue“ mal anschauen? Nach rund drei Jahren und ungefähr zwanzig erfolgreichen Projekten, vom täglichen Kleinkram ganz zu schweigen? So verschnarcht konnte der doch gar nicht sein, schließlich war er kein Tattergreis, sondern höchstens vierzig.
Sie rief bei Petersen an und bekam seine Sekretärin an die Strippe – wie nicht anders zu erwarten – die ihr einen Termin für drei Uhr gab. Gut, dann hatte sie noch Zeit, die Personalabteilung anzurufen und mit Tiefenbacher wegen dieser Zusammenarbeit mit W&P zu sprechen.
Tiefenbacher war einverstanden, wollte aber auf dem Laufenden gehalten werden, und die Personalabteilung teilte ihr lediglich mit, dass Astrid Weiters zum nächsten Ersten gekündigt hätte. Warum? „Ja, da fragen Sie Ihre Kollegin doch am besten selbst, nicht? Hat sie denn mit Ihnen gar nicht gesprochen?“Was waren das denn für Töne? Sollte das heißen, sie war so bissig, dass ihr keiner etwas anvertrauen wollte? Aber war sie denn die Mutter der Kompanie? Abteilungsleiterin war sie nicht, es gab nur Teamleiter und ein paar alleine arbeitende Kreative wie sie selbst, die bei Bedarf eine der Gruppen einspannen konnten bzw. ein fertiges Konzept zur weiteren Ausarbeitung an eine Gruppe übergaben. Und die Weiters war genau in der Gruppe von ununterbrochen hysterisch kichernden Weibern, die sie am seltensten anforderte, weil sie sie wahnsinnig machten. So weiblich ... Wahrscheinlich gingen die tatsächlich gemeinsam Schuhe kaufen und erzählten sich ihre letzten Sexabenteuer. Wie in Sex and the City eben. Na, über Sexabenteuer konnte sie sich auch nicht beklagen – in einer Höhle mit einem total Unbekannten, das hatten diese Hühner bestimmt nicht vorzuweisen!Immerhin wusste sie mittlerweile, dass diese hirnrissige Aktion – und obendrein ohne Kondom – folgenlos geblieben war. Natürlich, wenn er so was regelmäßig machte, konnte er sie mit sonst was angesteckt haben. Aber das glaubte sie eigentlich nicht, und der erste Test war auch negativ gewesen.Trotzdem, so was würde sie nie mehr machen. Es war ja auch eine Ausnahmesituation gewesen, die so nie wieder vorkommen konnte – eine Klammwanderung kam ihr bestimmt nicht mehr in den Sinn!Nein, beim nächsten Mal gab es wieder soliden Strandurlaub in der Toskana, in einem anständigen Hotel. Als Bewegung reichte es völlig, je einen Vormittag durch San Gimignano und durch Siena zu wandern und ansonsten ein bisschen parallel zum Strand herum zu schwimmen. Oder an der Wasserlinie entlang zu wandern, in Bikini und Pareo und mit einer Blüte im Haar, bis sie sich vorkam wie ein Model von den Seiten So werden sie die perfekte Strandschönheit . Genau, und jede Menge Frauenzeitschriften lesen und alle halbe Stunde nachcremen.
Dabei traf man garantiert niemanden, der einen so vom rechten Weg abbringen konnte. Sie starrte vor sich hin und klopfte sich aus alter Gewohnheit mit dem Kuli gegen die Zähne. Wie hatte er eigentlich ausgesehen? Sie konnte sich gar nicht mehr richtig erinnern, vielleicht, weil sie ihn nur die paar Momente nach der Rettung im Tageslicht gesehen hatte. Ziemlich gut, glaubte sie im Nachhinein. Dunkelhaarig, dunkeläugig, mit Bartstoppeln (logisch), in verdreckten Jeans und einem Windbreaker. Scharfe Nase, dichte Augenbrauen, sexy Mund. Oder war das bloß, weil sie eben mit ihm geschlafen hatte?
Wahrscheinlich würde sie ihn nicht einmal mehr wiedererkennen, und das war auch gut so, weil sie ihn nämlich nie wieder sehen würde und außerdem weiß Gott Wichtigeres zu tun hatte!Es war schon kurz vor drei, und sie schnappte sich ihren Filofax und machte sich auf den Weg in die Chefetage von XP. Was Petersen wohl von ihr wollen konnte? Hatte sie etwas versiebt? Hastig durchforstete sie ihr Gewissen, aber ihr fielen nur rauschende Erfolge ein – sie war ja auch gut, und das wusste sie. Und Petersen musste es auch wissen, sonst hätte XAM! sie bestimmt nicht extra von GlobalAdvertising abgeworben, was man übrigens als hervorragende Idee loben musste, weil das Arbeiten bei GA die absolute Hölle gewesen war – Kunden, die nicht wussten, was sie wollten, Vorgesetzte, die nicht wussten, was sie wollten, Mitarbeiter, die sich vorzugsweise auf Kosten anderer profilieren wollten, und überhaupt keine Hemmungen, was das Niveau der Kampagnen betraf.Petersen residierte im obersten Stock, wie es sich gehörte. Und so wie auch das ranghöchste Pavianmännchen immer auf dem höchsten Felsen saß. Männer waren eben doch Steinzeitwesen.
Wenn schon, die meisten Frauen waren doch auch nicht viel besser – immer auf der Suche nach dem Ernährer und gerne bereit, dafür ein Leben lang die Höhle auszufegen. Nein, das war nicht wahr, die meisten rechneten eher damit, dass sich der Ernährer rasch wieder vom Acker machte, und kümmerten sich selbst um die Mammutjagd, von fehlenden Teilzeitmöglichkeiten und blödsinnigen Kita-Öffnungszeiten nach Kräften behindert.
Und an Höhlen sollte sie jetzt lieber nicht denken, sonst verirrten sich ihre Gedanken nur in Bereiche, in denen sie während eines Chef-Gesprächs absolut nichts zu suchen hatten.
Immerhin war die oberste Etage nicht so chefmäßig ausgestattet wie in anderen Firmen – der gleiche Teppichboden, die gleichen Möbel, nicht mal die Palmen waren größer oder besser gegossen. Das Sekretariat von Petersen hatte die Tür einladend geöffnet, und die Sekretärin winkte sie sofort durch.Trotz des freundlichen Empfangs fürchtete Leonie sich nun doch, als sie den relativ großen Raum betrat. Petersen erhob sich hinter seinem Schreibtisch, groß, hellhaarig und sehr helläugig. Ganz nett eigentlich.Leonie fürchtete sich trotzdem immer noch. „G-guten Tag, Herr Petersen. Sie wollten mich sprechen?“„Stimmt. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?“Sie schüttelte heftig den Kopf und er grinste vergnügt. „Soviel Muffensausen? Ganz überflüssig.“ Sie atmete gut hörbar auf. „Aber einen Kaffee brauche ich jetzt trotzdem nicht, vielen Dank.“„Ich will Sie nicht zum Konsum von Genussgiften verführen.“ Erschrocken sah sie von ihren verschränkten Fingern auf, aber er amüsierte sich immer noch.„Also, kommen wir zur Sache, bevor Sie mir hier noch kollabieren. Sagt Ihnen der Name Veit etwas?“
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