„Sankt Veit ist ein Ort in Kärnten“, brachte sie zaghaft hervor.
„Ich bin sicher, Orte mit diesem Namen gibt es überall. Nein, ich meinte als Firma. Die Veit KG?“ Leonie dachte nach. „Dunkel... die stellen Bleistifte her, oder? Etwas altmodisch, glaube ich... hier in Leisenberg. Aber Einzelheiten hab ich jetzt leider nicht parat.“„Das reicht für den Anfang auch schon. Veit braucht ein generelles Neukonzept, vom Design bis zur Vermarktung, und da der Inhaber ein sehr guter Bekannter von mir ist, möchte ich mich seiner gerne annehmen und ihm eine meiner besten Kräfte schicken – Sie.“„Danke. Das ist ein großer Vertrauensbeweis“, brachte Leonie hervor, ganz schwach vor Erleichterung. „Wann kommt denn jemand von Veit vorbei?“„Gar nicht“, antwortete Petersen zu Leonies großer Überraschung. „Ich möchte, dass Sie dort arbeiten. Natürlich können Sie auf alle unsere Ressourcen zurückgreifen, aber Marius Veit hält es aus verschiedenen Gründen für sinnvoll – und ich stimme ihm da zu -, dass Sie sozusagen vor Ort sind.“Sie sah ihn verblüfft an. „Aus welchen Gründen?“, fragte sie dann.
„Das werden Sie ziemlich schnell selbst feststellen“, antwortete Petersen und schob Papiere auf seinem Schreibtisch zusammen. „Sprechen Sie mit Veit. Und halten Sie mich auf dem Laufenden, ja? Hier“, er kritzelte etwas auf einen Zettel, „das ist meine E-Mail-Adresse. Ich hätte gerne eine tägliche Information.“
Sie steckte den Zettel ein, noch verblüffter. „Und – Herr Tiefenbacher? Ich meine, normalerweise halte ich ihn doch auf dem Laufenden?“
„Das hier ist sozusagen Chefsache. Herr Tiefenbacher ist aber selbstverständlich informiert, und Sie dürfen auch gerne Rücksprache mit ihm halten.“
Leonie stand auf. „Danke. Das werde ich auch tun.“Er sah lächelnd zu ihr auf. „Richtig so. Man sollte niemandem trauen.“Sie spürte, wie sie rot wurde. „N-nein, das ist es nicht, aber...“
Er erhob sich auch und reichte ihr die Hand. „Doch, Sie haben wirklich Recht. Sonst könnte Herr Tiefenbacher noch glauben, Sie wollten ihm etwas verheimlichen.“
„Genau“, antwortete sie erleichtert. „Wann soll ich bei Veit anfangen?“„Heute ist Freitag... am Montag. Morgens um halb neun.“„Gut. Dann bekommen Sie am Montag die erste E-Mail.“Draußen verwahrte sie sorgfältig den Zettel mit der Adresse und merkte dann erst, dass sie gar nicht wusste, wo die Veit KG eigentlich firmierte - aber das musste sich rauskriegen lassen. Komisch war das Ganze schon; es kam so gut wie nie vor, dass XAM! Leute an den Kunden quasi auslieh – wer ein Werbekonzept wollte, musste sich schon hierher bemühen.Na, vielleicht hatte dieser Veit keine Zeit, dauernd hier vorbeizuschauen. Oder das Konzept war so kompliziert, dass man den Betrieb sehen musste, um entscheiden zu können. Oder – egal, sie würde es schon erfahren. Auf dem Weg nach unten schaute sie bei Tiefenbacher, ihrem direkten Vorgesetzten, vorbei, der bereits informiert war, auch nicht wusste, was Petersen vorhatte, und ihr sowohl die Adresse der Veit KG als auch einige Basisinformationen gab.
Demnach hatte der Inhaber, Marius Veit, den Laden vor drei Jahren von seinem Vater geerbt, eine kleine Klitsche, die vor allem Bleistifte in einem sehr altmodischen Design herstellte und Gerüchten zufolge gerade plante, auf den Kugelschreiber-, Fineliner- und Füllermarkt vorzudringen. Tiefenbacher hatte auch einen Werbeprospekt, den anscheinend noch Veit senior eigenhändig und zittrig entworfen hatte. Richtig rührend! Ansonsten behauptete er, bei dieser Firma stimme etwas nicht – aber was... nein, er habe bloß so ein komisches Gefühl.
„Na toll“, sagte Leonie, „wahrscheinlich gerate ich da in wüste Intrigen und am Ende zieht Veit den Auftrag zurück und Petersen putzt mich runter.“„Herr Petersen putzt Sie ganz bestimmt nicht runter. Ich bin sicher, er weiß, dass bei Veit etwas im Argen liegt. Schauen Sie sich einfach mal um. Und halten Sie Herrn Petersen auf dem Laufenden – das wollte er doch?“„Ja. Und Sie? Soll ich Ihnen jeweils eine Kopie der Mails schicken?“Tiefenbacher schüttelte den Kopf. „Davon hat Herr Petersen nichts gesagt. Ab und zu, wegen des Konzepts, okay. Und ich höre ja auf jeden Fall von Ihnen, wenn Sie technische Fragen haben oder etwas brauchen, nicht?“
Leonie verabschiedete sich seufzend und kehrte in ihr Kämmerchen zurück. Was um Himmels Willen war das denn für ein schräger Auftrag?
Sie studierte den Prospekt. Sehr altmodisch, wirklich... die Bleistifte waren dunkelgrün lackiert und trugen in Fünfziger-Jahre-Schnörkelschrift in Gold die Aufschrift Veit ; es gab sie in drei Härten und wahlweise mit und ohne Radiergummi am Ende. Bescheidenes Angebot. Altmodisch eben – und dafür ein ganz neues Werbekonzept?Man könnte das Altmodische zum Kern machen, überlegte Leonie. Tradition... Stifte, mit denen schon Bismarck an der Emser Depesche herumgebastelt hat... aufwendige Anzeigen, wegen der Kostüme. Aber die Hoflieferantenmasche zog immer ganz gut. Sie machte sich Notizen.Oder Leisenberger Gewächs, sozusagen. Örtliche Arbeitsplätze, kurze Wege, ökologischer Ansatz. Nicht wie Joghurt, der nach Polen gekarrt wurde, damit die dort um zwei Cent pro Zentner billigeren Erdbeeren hineingerührt werden konnten. Also a) Tradition und b) Bodenständigkeit... wie konnte man das Design entsprechend anpassen?Sie war schnell so in ihre Aufgabe versunken, dass sie erst verspätet merkte, dass zwei Leute von der Fenstergruppe in der Tür standen.„Äh – Frau Sambacher?“
Tobias Späth und Gabi Treuchtlein, mal wieder.
„Ja, was gibt´s denn?“ Die beiden rissen einen doch immer wegen irgendwelchen Blödsinns aus den besten Ideen!
„Ja, also... es ist wegen der Astrid, nicht?“„Sie hat zum nächsten Ersten gekündigt, ich hab´s schon gehört“, antwortete Leonie geduldig. „Wissen Sie übrigens zufällig, warum?“„Ja, weil sie doch jetzt diesen Zahnarzt hat, nicht?“, erklärte die Treuchtlein. „Und der will, dass sie bei ihm die Buchhaltung macht. Da spart er eine Sprechstundenhilfe ein.“„Aha“, machte Leonie, „Ehering statt Gehalt und Rentenansprüchen? Ich hätte Frau Weiters für gescheiter gehalten. Oder hat sie wenigstens für einen wasserdichten Ehevertrag gesorgt?“„Äh – ich glaube nicht, dass sie den heiraten will“, meinte Späth und trat von einem Fuß auf den anderen, „mehr so – zusammenziehen.“Wieder machte Leonie „Aha“ und verzog das Gesicht: „Das heißt, unbezahlter Job ohne Arbeitsvertrag und mit Option auf einen zusätzlichen Putzjob? Haben Sie ihr das mal klar gemacht?“„Wir haben es versucht“, gab Späth zu. „Aber sie ist eben verliebt, nicht?“, ergänzte die Treuchtlein. „Was wir aber eigentlich fragen wollten: Haben Sie eine Idee, was wir ihr zum Abschied schenken könnten?“„Einen Ratgeber“, antwortete Leonie mürrisch. „ Dein Recht als ausgebeutete Geliebte oder so. Eine Küchenschürze wäre wohl zu grob, was? Die gesammelten Werke von Eva Heller... ein Emma -Abonnement - gibt´s Emma überhaupt noch?“„An ein Abo haben wir auch schon gedacht, vielleicht Home&Garden oder so... der Zahnarzt hat eine Villa in Henting, hat sie erzählt. Emma kenne ich gar nicht.“„Das ist die einzige Emanzenzeitschrift, die es je gegeben hat“, erklärte Leonie müde, „aber die wird ihr wahrscheinlich nicht gefallen, wo sie jetzt gerade in ihr Unglück rennt. Ja, gut, so ein Abonnement könnte ganz passend sein. Und wenn etwas nicht klappt, soll sie sich bei uns rühren, wir bringen sie schon wieder unter. Wollen Sie eine Feier machen?"„Am dreißigsten, das ist doch ein Freitag. So ab vier? Hier im Büro?“
„Hier drin?“, fragte Leonie erschrocken.
„Nein, nein, draußen natürlich. Würden Sie sich beteiligen? So mit zehn Euro?“„Klar.“ Sie gab Späth zwanzig. „Passt schon. Was haben Sie sich denn vorgestellt? Ein Buffet? Soll jeder etwas mitbringen? Dann sollten wir aber mal den Bürokühlschrank entrümpeln, da tobt sicher schon wieder das Leben drin.“„Iih“, machte die Treuchtlein, „das sind bestimmt wieder deine abgelaufenen Fruchtzwerge, Tobi.“
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