Drinnen war es fast angenehmer als draußen, wenn man die Fenster öffnete, so dass es leichten Durchzug gab. Ich hängte den Drucker wieder an, druckte die verbesserte Fassung aus, zog den Text auf CD und packte alles in eine gepflegte Klemmmappe. So, Kathrin, da wirst du aber staunen!
Der Drucker landete wieder in der Ecke, obwohl ich nicht glaubte, dass ich den Rest vom Akku noch für die Geschichte mit den vertauschten Geschenken aufheben musste – die druckte ich dann wohl besser zu Hause aus.
Sollte ich damit gleich weiter machen?
Nein, für heute reichte es eigentlich, und bei diesen unangenehmen Witterungsverhältnissen sollte man sich ja auch nicht überanstrengen! Lieber ging ich wieder schwimmen; mittlerweile war es wirklich nur im Wasser gut auszuhalten.
Keine echte Wolke am Himmel, nur dieser dampfige Schleier. Er schien auch die Geräusche zu dämpfen, jedenfalls klangen die Zänkereien der Enten und Schwäne heute leiser und die Rufe der Segler mitten auf dem See auch, die das Wasser sonst kilometerweit zu tragen schien.
Ich plantschte träge herum, schwamm ein paar Stöße, ließ mich auf dem Rücken treiben, schwamm wieder, tauchte unter, versuchte, nur im Schatten zu schwimmen, was aber um diese Zeit schwer zu bewerkstelligen war, und schwitzte an allen Stellen, die nicht unter Wasser waren. Außerdem tauchten nun jede Menge Mücken und Bremsen auf. Untergetaucht war ich in Sicherheit, aber feuchte Haut schien die Mistviecher geradezu magisch anzuziehen. Entnervt stieg ich wieder aus dem Wasser, rubbelte mich gründlich ab und sprühte mich großzügig mit Mückenschutz ein, in der Hoffnung, das würde auch die Bremsen abschrecken.
Ganz klappte das nicht – und man bemerkte die blöden Viecher immer erst, wenn sie schon gestochen hatten. Schließlich hatte ich drei heftig juckende Quaddeln, auf dem linken Arm, dem rechten Oberschenkel und auf der Schulter. Ich verteilte großzügig Spucke darauf und nebelte mich dann in Zigarettenrauch ein – das schien tatsächlich zu helfen. Gut, die Sache mit den vertauschten Geschenken. Er traut sich nicht, jemanden einzuweihen, weil das Ganze strikt geheim bleiben muss und er Ärger kriegt, wenn herauskommt, wie dämlich er war.
Also versucht er, sich an Julia heranzumachen und das Geschenk zu klauen. Viel Zeit hat er nicht mehr, in einer Woche ist Weihnachten!
Julia will ihn aber so schnell nicht in die Wohnung lassen. Er forciert das alles so, dass sie ihn für einen dummen Macho hält. Außerdem hat sie schon einen.
Das kann ihm egal sein – nein, eigentlich nicht, sie gefällt ihm. Aber er braucht sein Geschenk zurück, um dem großen Boss klarzumachen, wie knapp der dem Skandal entgangen ist. Er sollte die Anmerkung auf dem Foto lieber doch nicht mit seinen Initialen signieren, fiel mir ein. Oder war das nur ein Deckname?
Diese Überlegung überforderte mich schon wieder, wie ich da saß, gegen die Bremsen anrauchte und still vor mich hin schwitzte.
Alles egal, vorläufig. Jedenfalls bricht er in ihre Wohnung ein, findet das Geschenk aber nicht (alle sehen gleich aus!) und wird prompt von Julia erwischt. Er gibt das Ganze schnell als große Leidenschaft aus, aber sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie ihn nicht doch anzeigen sollte. Er küsst sie und fängt eine gewaltige Watsch´n dafür – aber sie zeigt ihn nicht an. Und jetzt hängt die Geschichte fest, überlegte ich missmutig. Was sollte er denn jetzt noch machen? Julia war auf der Hut, noch mal einbrechen ging also wohl nicht, die Wahrheit durfte er ihr nicht sagen... Der verdeckte Ermittler saß ganz schön tief in der Scheiße. Irgendwer muss ihm helfen!
Aber wer... eine Kollegin? Die könnte auch gleich Julia eifersüchtig machen, denn Gideon gefällt ihr eigentlich schon ganz gut, wenn er auch ein unverschämter Lümmel ist und immer frech grinst. Kurz überlegte ich mir, alles umzudrehen: Er ist doch ein Verbrecher, und sie verliebt sich in ihn... Nein, das gefiel mir dann doch nicht.
Eine Kollegin, tja... Er konnte aber doch keinem sagen, dass er die Sache dermaßen verbockt hatte! Sie müsste das melden. Oder tut sie es nicht, weil sie auch in ihn verliebt ist? Also, so schön soll er nun auch wieder nicht sein!
Ich erschlug wieder eine Bremse und überlegte, was ich essen sollte. Eine Banane... ein Stück Knäckebrot... eine Fünfminutenterrine? Nein, um Himmels willen nichts Warmes! Ein Eis wäre jetzt toll, aber daran war leider gar nicht zu denken. Wenn wenigstens das Handy ginge, dann könnte man via Auskunft einen Lieferchinesen in Eulenburg (wenn die so was überhaupt hatten) anrufen...
Kathrin hatte diese Einöde wirklich perfekt gewählt!
Nein, diese Kollegin ließ ich lieber aus dem Spiel. Ein Kammerspiel... nur zwei Personen, nur Gideon und Julia – aus unerfindlichen Gründen erzählt sie auch niemandem davon. Schön und gut, aber was macht er jetzt, wo es mit dem Einbruch nicht geklappt hat? Soll er sich als Kerl vom Paketservice verkleiden? Wer sagt denn, dass sie die Päckchen verschicken will?
Soll er das Buch unter einem Vorwand zurückverlangen? Gott, war das bescheuert! Die Verwechslung reichte doch wohl aus, wozu denn noch ein Vorwand? Das wäre alles noch klar, wenn sein Buch irgendwie vergiftet wäre und er verhindern will, dass entweder Julia oder die Freundin, der sie es schenken will, es aufschlägt und tot umfällt. Gab´s da nicht mal einen Edgar-Wallace-Film? Der unheimliche Mönch mit der Peitsche – oder so ähnlich. Gut, aber dann müsste Gideon ein Bösewicht sein, Auftragskiller oder so. Hm... vielleicht war das doch die bessere Alternative?
Egal, es war viel zu heiß für so schwierige Probleme! Noch heißer, wenn das möglich war. Lieber noch eine Runde schwimmen! Und dann wieder dick Mückenspray. Ich saß auf der Bank im Schatten, durch den nassen Bikini auch nicht richtig erfrischt, wedelte mir mit einem Angeltippheftchen Kühlung zu und starrte missmutig abwechselnd auf meinen Block mit dem kruden Gekritzel und auf den See, der nachgerade schon fast ölig wirkte.
Der Himmel war nahezu weiß, nur im Norden deutlich dunkler. Ich sah genauer hin – seit wann kam denn das Wetter aus dem Norden? Also trabte ich den Steg entlang bis zum Ende und drehte mich um, in der Hoffnung, nach Westen sehen zu können.
Da wurde es auch langsam grau, aber was von Norden heranzog, war deutlich eindrucksvoller, nicht hellgrau, sondern schon eher anthrazitfarben, mit gelbbraunen Rändern. In den Wolken schien eine Art Quelleffekt zu wirken, jedenfalls veränderten sie dauernd ihr Aussehen, ohne groß zu wachsen, immer noch waren gut drei Viertel des sichtbaren Himmeln nur mit dem weißen Schleier bedeckt. Bis das Grau alles erfasst hatte, konnte es noch länger dauern, dann konnte ich ja auch weiter über meinen missratenen Gideon nachdenken.
Und wenn das Buch gar nicht von ihm war? Wenn er es nur abfangen wollte? Vielleicht war er gar nicht der, der es dummerweise als Geschenk hatte verpacken lassen? Wirklich genial – jetzt brauchte ich schon zwei Männer, um die Widersprüche aufzulösen! Die Geschichte wurde tatsächlich immer blöder.
Am besten warf ich den Kram weg und fing noch mal von vorne an. Oder ich ließ es ganz, schließlich hatte ich ja die Geschichte für Kathrin fertig, und das reichte vorläufig. Aus der Sache mit den vertauschten Geschenken könnte man ohnehin keinen Roman machen, und der war eigentlich eher nötig.
Hier am See könnte es einen Segelunfall geben, der gar kein Unfall ist – das Opfer war einfach zu vielen Leuten im Weg... Blödsinn, das hatte ich doch schon tausendmal im Fernsehen gesehen!
Ich warf einen trägen Blick zum Himmel. Hoppla, die Wolken hatten sich ja doch bewegt – jetzt bedeckten sie immerhin schon zwei Drittel des Himmels. Direkt über mir war der Himmel noch milchig, aber knapp daneben schon fast schwarz. Ich trug den Block hinein und holte mir dafür eine neue Zigarette. Das wollte ich mir doch genauer anschauen.
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