Woher könnte er etwas wissen?
Hat sie vielleicht mit Kreditkarte bezahlt, und ihm ist ein Blick auf den Nachnamen gelungen? Pachmayr, nicht gerade selten hierzulande... das wird noch viel Arbeit (mit eingebauten Scherzen). Warum schielt jemand auf die Kreditkarte der Frau neben ihm? Da weiß er ja noch nicht, dass er mit ihrem statt mit seinem Geschenk weggehen wird! Aber sie könnte hübsch sein, und er hat routinemäßig einen Blick riskiert...
Was war eigentlich noch im Kühlschrank?
Ich holte mir einen Joghurt und zwei Pfirsiche, tropfte meinen Block mit Pfirsichsaft voll, tauchte zur Säuberung wieder in den See, kehrte tropfnass und zufrieden an meinen Block zurück und überlegte weiter.
Gut, jetzt steht er da. Pachmayr... Im Telefonbuch sind es zwei Seiten, und er muss das Buch wieder kriegen! Auf dem Foto ist – ja, was ist auf dem Foto zu sehen? Vielleicht ein bekannter Industrieller im Gespräch mit einer Unterweltgröße... Und hintendrauf steht Das Negativ ist vernichtet, G.J.
Er heißt... G... Gideon. Gideon hatte in meinen Stories noch keiner geheißen, das war gut. Und ich kannte auch keinen solchen, dann hatte ich wenigstens keine Vorurteile. Gideon Jahn? Klang so nach Turnvater Jahn... Jacobs? Jacobs Krönung, nachher verklagten die mich noch. Apropos – muss er überhaupt ein Schurke sein? Es könnte ja sein, dass er aussteigen und dem Industriellen so mitteilen will, dass er nichts zu befürchten hat. Schön blöd, warum auf so albernem Weg?
Vielleicht muss er sich vor den eigentlichen Erpressern hüten... Aber einfacher wäre es gewesen, das Foto auch zu vernichten und nur eine anonyme Weihnachtskarte zu schicken – Frohes Fest, alles o.k. oder so ähnlich.
Natürlich könnte er ein verdeckter Ermittler sein, der das Foto den wahren Erpressern (um den Unterweltboss herum) geklaut und die Negative vernichtet hat, aber dem Industriellen zeigen will, wie knapp er dem Skandal entronnen ist – und dass er so etwas nie wieder machen darf. Wieso hat der Trottel das Buch dann nicht selbst eingepackt?
Manuell ungeschickt? Es soll professionell und unauffällig wirken? Kann ein Polizist manuell so ungeschickt sein? So einer kann ja nicht einmal seine Dienstwaffe laden! Da brauchte ich noch eine bessere Begründung...
Und sie? Harmloses Wesen – oder doch nicht? Wüsste sie mit dem Foto etwas anzufangen? Sie legt das Paket aber nur zu den übrigen, die dummerweise recht ähnliches Papier aufweisen – und alles mit goldenen Schleifchen...
Zurück zu - verdammt, der hatte ja noch keinen Nachnamen. Egal, dann hieß er eben erstmal nur Gideon. Also, Gideon sucht verzweifelt nach Frau Pachmayr. Julia Pachmayr. Wenn er natürlich ein Guter ist, kann er die Mittel der Polizei nutzen (lassen, er kann ja nicht offen arbeiten).
Etwas konstruiert, das Ganze. Vielleicht drückte mir diese bleierne Hitze aufs Hirn? Ich sprang noch mal in den See, um den Kopf wieder klar zu kriegen.
Also, er lässt sich heraussuchen, wie viele weibliche Pachmayrs zwischen zwanzig und fünfunddreißig es in der Stadt gibt. Natürlich könnte sie auch vom Land sein...
Er hat schließlich vier zur Auswahl, beschattet alle umschichtig und findet Julia als Nummer vier (was sonst?).
Natürlich kann er nicht klingeln und sagen Wir haben unsere Geschenke vertauscht – hä? Wieso eigentlich nicht? Und woran merkt er eigentlich, dass er das falsche Buch hat? Egal, vielleicht war seines Hardcover und ihres Paperback, so dass er sich wundert, warum seins plötzlich biegsam ist... Da würde mir schon etwas einfallen.
Aber nicht mehr heute! Allmählich ließ die Hitze nach, die Sonne stand schon recht schräg. Ich ging duschen, wickelte mich in meinen Kimono und schaltete den Laptop ein, dann schrieb ich mehrere Stunden lang, bis mich ein Nachtfalter, der hektisch um die Lampe taumelte, ablenkte. Immerhin, wir waren schon in Leonores Wohnung! Mir fehlten also höchstens noch zwei Seiten, die konnte ich morgen ganz früh machen, jetzt reichte es mir.
Lieber ging ich ins Bad und guckte mir noch einmal im Spiegel an, wie braun ich geworden war... sehr gut, man sah genau, wo der Bikini gesessen hatte, obwohl ich nirgendwo wirklich weiß war, denn auf einer Dachterrasse kann man sich schließlich auch nackt sonnen. Die Kombination von Nussbraun und Karamelbraun gefiel mir, sehr sogar. Schade, dass es hier keinen knackigen Kerl gab, dem bei diesem Anblick ein gewisses Funkeln in die Augen treten könnte... Überhaupt, es war langsam wieder mal Zeit für eine nette kleine Affäre. Hier würde ich allerdings niemanden kennen lernen, dafür hatte Kathrin schon gesorgt.
Andererseits hatte ich bloß noch zweieinhalb Tage hier und genug zu tun – wenn ich wieder zu Hause war, konnte ich immer noch auf die Pirsch gehen, im Nightflight , in der Sala Candida , wo auch immer. Und ich konnte zusammen mit Anja und Jackie jede Menge unternehmen und dabei sicher ein Betthupferl auftreiben. Wer suchte denn schon mehr? Zufrieden mit diesen schönen Plänen kroch ich ins Bett.
Allerdings schlief ich nicht besonders gut, weil es so gar nicht abkühlen wollte und die Luft allmählich stark an eine Waschküche erinnerte.
Immer wieder wachte ich auf, tappte nach draußen und setzte mich auf die Bank, um auf den nächtlichen See zu starren. Das Funkeln der Eulenburger Lichter war blasser geworden, auch die Sterne, die man hier normalerweise viel klarer sehen konnte als in der Stadt, wirkten heute matt und verschleiert.
Vielleicht schlug ja das Wetter um und ich war deshalb so unruhig? Ich schlich wieder ins Bett zurück, sobald ich müde wurde, schlief kurz und wachte dann wieder auf, weil das Kissen warm und feucht war, schweißgetränkt und unangenehm auf der Haut. Überall spürte ich den dünnen Feuchtigkeitsfilm, der nicht verdunsten konnte. Sollte ich schwimmen gehen? Nein, nicht im Dunklen, dazu war ich zu feige: Was, wenn ich die Treppe nicht mehr fand? Natürlich hätte ich eine Kerze suchen können... Es genügte vielleicht auch, auf dem Steg zu sitzen und die Füße in das kühle Seewasser zu hängen. Da ich mir aber bald einbildete, mich könnte etwas im Wasser beißen ( Der weiße Hai ließ von ferne grüßen), zog ich die nassen Füße wieder an und starrte auf die verschleierten Lichter.
Zurück ins Bett... verdammt! Zurück auf den Steg... Wie spät? Halb vier... Nein, um halb vier musste man nicht aufstehen. Ich würde es noch einmal probieren, ohne Bettdecke. Der gute Vorsatz klappte, bis Viertel nach vier. Dann war es endgültig aus, und ich gab auf, duschte kalt, trocknete mich gründlich ab, schlüpfte wieder in den Bikini und knotete den Pareo um die Taille.
Im Osten verfärbte sich allmählich der Himmel, und sobald der See in ein mildes graublaues Licht getaucht war, ließ ich mich erleichtert ins Wasser fallen. Herrlich, vor allem im Vergleich zu dieser schwülwarmen Luft!
Hinterher gab es Kaffee, eine Zigarette, die letzten beiden Pfirsiche und den Rest der Schwestern-Geschichte. Es fehlten ja ohnehin nur noch der Showdown in Leonores Wohnung, Jonas´ Lügenversuche, vielleicht ein Spotlight auf Sabrinas Begräbnis – ach nein, das trug zur Auflösung nun auch nichts mehr bei, und ich war schon auf Seite 25 – in der Mitte. Der Platz reichte gerade noch für die Auflösung und den Kuss zwischen Sándor und Leonore.
Ich schloss den Drucker an – für zweihundert Seiten musste der Akku reichen – druckte alles aus, schaltete den Drucker wieder aus und setzte mich mit dem Text und einem Rotstift nach draußen. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen, aber sie schien ausgefranst und farblos durch die Dunstschleier. Ihrer Hitzewirkung tat das allerdings gar keinen Abbruch, es hatte schon wieder mindestens fünfunddreißig Grad in der Sonne – dabei war es kaum acht Uhr!
Ich schwitzte still vor mich hin, korrigierte Tippfehler, formulierte einen Dialog um, strich einige auch s, mit denen ich gerne zu großzügig umging, und markierte, wo das Skalpell-Trennmesser schon erwähnt werden sollte – natürlich ganz nebenbei, um den Leser nicht unnötig aufmerksam zu machen.
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