„Du wirst toll damit aussehen, mein Schätzchen.“
„Ja“, antwortete Sabrina einfach, „muss ich auch. Ich hab morgen Abend etwas Wichtiges vor. Da muss einfach alles klappen. Was würdest du sagen, wenn ich euch nachträglich einen Schwiegersohn beschere?“
„Das wäre ja fantastisch!“, jubelte die Mutter los, während Leonore weiter Schüsseln auf dem Tisch zurechtrückte und innerlich bis zehn zählte.
„Endlich heiratet eine meiner Töchter! Dass Leonore keine Anstalten macht, ist ja klar, aber ich dachte schon, du enttäuschst mich auch. Wer ist es denn?“
„Sag ich noch nicht“, schmunzelte Sabrina und hielt sich das Collier wieder einmal an ihr makelloses Decolleté, „vielleicht klappt es ja doch nicht.“
„Aber Kindchen, was du anpackst, klappt doch immer. Dann bist du am zweiten Feiertag verlobt... herrlich!“
„Viel Erfolg“, wünschte Leonore und bemühte sich, nicht verkniffen zu klingen.
„Schön, dass du deiner Schwester auch einmal gratulierst“, kommentierte ihre Mutter nicht ohne Schärfe. „Du hast den Pfeffer vergessen.“
„Entschuldigung.“ Leonore ging ihn holen. Am besten sollte ich danach knicksen und mich in die Küche zurückziehen, dachte sie dabei wütend, halten die mich hier für das Dienstmädchen?
„Hast du dich überhaupt schon für dein Geschenk bedankt?“, fragte ihr Vater, während er sich großzügig aus den Salatschüsseln bediente.
„Nein. Vielen Dank“, murmelte sie und zerbröselte ihr Brot.
„Weißt du, mit Schmuck könntest du ja nichts anfangen“, meinte ihre Mutter freundlich, „in deiner Situation sind Bücher wohl doch das Vernünftigste.“
„In meiner Situation?“, fragte Leonore spitz nach.
„Naja... du heiratest ja doch nicht mehr. Und überhaupt...“
Was sollte man darauf schon antworten? Sabrina enthob sie der Suche, weil sie fröhlich auflachte. „Statt abends um die Häuser zu ziehen, kannst du dann ja im Lexikon lesen, was?“
„Und wenn ich mal pleite bin, kann ich das Lexikon für ein Schweinegeld verkaufen, was?“, fauchte Leonore sie an, nun endgültig sauer. „Sicher ist es viel wertvoller als deine Klunker!“
„Aber Leonore, dass du so missgünstig bist!“, tadelte ihr Vater sie. „Schau, es ist doch nur logisch, dass wir für Sabrina mehr Geld ausgegeben haben.“
„Warum ist das logisch? Nicht, dass ich es nicht gewöhnt wäre, aber – logisch?“
„Sabrina wird uns einen Schwiegersohn bescheren.“
„Aber das wusstet ihr doch noch nicht, als ihr ihr diesen kostbaren Schmuck gekauft habt?“
„Damit war doch zu rechnen. Lore, ich bitte dich! Man muss Sabrina doch nur ansehen! So ein hübsches Kind!“
Jaja. Leonore gab es auf. Sabrina hatte tiefblaue Kulleraugen, blonde Locken und eine Figur wie Barbie, allerdings war sie nicht ganz so dämlich wie Barbie. Leonore dagegen hatte braune Haare, dunkelbraune Augen, eine Brille und eine ganz normale, eher etwas zu knochige Figur. Dafür verdiente sie mehr – eine Investmentbank konnte besser zahlen als ein aufstrebender Designer, der alle Gewinne selbst verbrauchte. Aber das interessierte ihre Eltern nicht – Frauen verdienten Geld nur, um sich davon eine Aussteuer anzuschaffen, damit einen Kerl anzulocken und ihrer eigentlichen Bestimmung nachzukommen.
Äh. War das nicht doch ein bisschen platt? Dachten Eltern heute wirklich noch so? Auch wenn ohnehin keiner auf sie hörte? Wie konservativ konnte diese Generation wirklich noch sein? Andererseits gab es wirklich überall haufenweise Idioten…
Und hatte Jörg nicht mal erzählt, dass seine frühere Freundin auch dauernd von ihren Eltern gefragt worden war, wann sie endlich heiraten würde? Mit noch nicht mal fünfundzwanzig?
Doch, ich würde die Eltern so lassen. Das passte schon!
Reichte das für heute? Ich hatte keine rechte Lust mehr, lieber setzte ich mich mit Schreibzeug nach draußen und überlegte, wie ich morgen weitermachen sollte. Draußen war es schon ziemlich finster; ich nahm zwei Windlichter mit und kaute dann nachdenklich auf meinem Kugelschreiber herum.
Noch etwas Krach? Ist Leonore das Aschenputtel? Schließlich verlässt sie türenknallend das Haus (das dämliche Lexikon nimmt sie gar nicht mit) und fährt nach Hause – wohin gleich wieder? Ach ja, Sedanstraße.
Sabrina hat während der ganzen Debatte drei Anrufe entgegengenommen (auf dem Gang). Dabei könnte sie ihren Designer und den Dealer Florian schon dezent unter Druck gesetzt haben.
Was weiß sie? Zu Massimo del Ponte hatte ich schon alles festgelegt, und zu Florian? Sie hat gesehen, wie er einem Model (minderjährig! zu mager!) ein Tütchen zugesteckt hat...
Und am nächsten Morgen findet man sie tot in ihrem schicken Appartement auf. Todesart... Eine Überdosis Koks? Nein... das würde ja sofort auf Florian hindeuten. Lieber erstochen, mit einem ganz dünnen Messer, und hübsch hindrapiert. Wer hat Zugang zu einem Skalpell?
Leonore hat mit Medizin nichts am Hut – aber Massimo benutzt ein altes Skalpell als Trennmesser. Liegt in seinem Studio im Arbeitstisch und ist nun verschwunden... (logisch).
Motive haben alle, zunächst vor allem Leonore und Jonas. Andererseits muss Sabrina den Täter entweder selbst reingelassen haben oder er hatte einen Schlüssel – Jonas erinnert sich schließlich daran, dass abgesperrt war.
Wer hat einen Schlüssel? Leonore nicht! Jonas schon. Florian sagt nein, Massimo gibt es zu.
Hm... gar nicht so übel. Vielleicht hatte Kathrin ja Recht, vielleicht konnte man echt besser arbeiten, wenn es nur Ganghofer zum Lesen gab und kein Fernseher da war. Aber für heute reichte es wirklich!
Immerhin konnte ich Kathrin doch anrufen und melden, wie brav ich gewesen war! Ich fischte mein Handy aus der Tasche (Kathrin war doof, dass sie es mir nicht abgenommen hatte) und schaltete es ein.
Oh, vielleicht war Kathrin doch nicht so doof? Ob sie gewusst hatte, dass es hier kein Signal gab? Ich wanderte einmal um die Hütte herum – nichts, nicht einmal einen Strich zeigte die linke Seite an. Die rechte war voll, Kunststück, das Ding war ja auch frisch aufgeladen. Nicht mal SMS konnte ich so checken! Frustriert schaltete ich wieder aus.
Eigentlich war das doch auch gar nicht so schlecht, beruhigte ich mich selbst. Wenn sie am Sonntag wiederkam, würde ich ihr mit lässiger Geste das fertige Manuskript zuschieben, und dann hatte ich bis Ende August absolut frei und konnte mich im Helenenbad aalen, wenn gewöhnliche Sterbliche arbeiten mussten. Es sei denn mir fiel etwas für einen neuen Gabriele-Gärtner-Roman ein... der letzte war im April erschienen, Zeit wurde es allmählich.
Trotzdem, für heute war es genug, und allmählich wurde ich auch ziemlich müde. Vielleicht war das die gesunde Landluft – Seeluft wäre wohl doch leicht übertrieben. Ich testete die Dusche, die schön warm war und erstaunlich hohen Druck aufwies, schloss alle Fensterläden und kroch ins Bett. Saugemütlich, wirklich!
Am Mittwoch war ich vor Tau und Tag wach, weil von draußen ein Höllenlärm hereindrang. Schlaftrunken stieß ich den Fensterladen zur Terrassentür auf und schaute hinaus.
Aha, Ehepaar Schwan hatte einen gewaltigen Krach – oder waren das zwei Männchen? Offensichtlich! Im Schilf schwamm Madame Schwan samt vier grauflaumigen Teenagern und guckte zu, wie sich die Männer (blöde wie immer) um sie, um das Revier oder um sonst was stritten und nacheinander hackten. Schließlich ergriff einer der beiden die Flucht, und der andere ließ sich von seiner Frau loben. Das war doch seine Frau? Jedenfalls schien er mit den Küken ordentlich umzugehen, was mich beruhigte.
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