„Hast du noch Fragen?“
„Nein, ich denke, ich komme zurecht“, brummte ich und legte meine Entwürfe und die CDs auf den Tisch. Zwischen Tisch und Küchenzeile gab es eine Tür, die nach draußen führte, aber ich wollte Kathrins Aufmerksamkeit nicht darauf lenken, sonst verbot sie mir nur, schwimmen zu gehen.
„Ja, gut – wenn alles in Ordnung ist, dann fahre ich jetzt. Und am Sonntag hole ich dich so gegen fünf ab, ist das recht?“
Ich nickte ergeben. „Und dann muss ich fertig sein?“
„Nein. Schön wär´s natürlich, aber wenn du gut die Hälfte hast und nicht schon wieder einen writer´s block , bin ich schon zufrieden. An die Arbeit, los!“
Ergeben setzte ich mich vor den Laptop und klappte ihn auf. Kathrin winkte noch einmal und schloss die Tür hinter sich; kurz darauf hörte ich sie den Feldweg entlang hoppeln.
In der Wildnis ausgesetzt... Einige Minuten lang tat ich mir genussvoll Leid, dann öffnete ich doch die Terrassentür. Himmlisch – eine Terrasse vor dem Haus, alles Holz, duftend wie der Sommer persönlich, mit Bank und Tisch im Schatten, und mit einer kleinen Metalltreppe, die direkt ins Wasser führte. Mit einem Stapel Krimis und/oder einem fleißigen Lover könnte man es hier richtig gut aushalten... In der Ferne konnte man gerade noch Eulenburg und das Getümmel im Wasser erahnen; der Himmel über dem Wasser und den Bäumen ging gerade vom alltäglichen Knallblau in jenen durchsichtigen, grünlichen Ton über, der am frühen Abend so typisch war. Traumhaft schön!
Ich holte mir meine Zigaretten und einen Aschenbecher aus der Küche, setzte mich auf die sonnenwarme Holzbank und genoss den Blick. Auf die verfeindeten Schwestern hatte ich wirklich überhaupt keine Lust.
Außerdem steckte ich in einem Dilemma: Wenn ich brav funktionierte, müsste ich wohl jede Kurzgeschichte, jeden Roman hier draußen schreiben; wenn ich aber nicht funktionierte, würden Winkler&Lange meinen Vertrag aufheben. Ihn wenigstens nicht verlängern! Jetzt hatte ich endlich einen Vertrag und damit mein Auskommen, solange der Kram sich ordentlich verkaufte: Das sollte ich besser nicht aufs Spiel setzen.
Gut, also an die Arbeit – zum Schwimmen war es mittlerweile ohnehin zu schattig. Westufer... Morgensonne. Auch nett, und wenn ich heute noch etwas schaffte, durfte ich morgen früh schwimmen und mich sonnen. Ich schaltete den Laptop ein und starrte seufzend auf den blinkenden Cursor, der ungeduldig darauf wartete, von Buchstaben weitergeschoben zu werden.
Wo sollte ich anfangen? Vorgeschichte? Oder gleich bei der Bescherung? Warum war Leonore eigentlich so hässlich? Auf jeden Fall trug sie eine Brille. Und ihre Haare waren einfach nur braun, während Sabrina verführerisch platinblond war und ihre blauen Augen aufregend funkelten. Leonores Augen waren dunkelbraun, samtig und tief, aber unter der Brille kam das nicht so gut zur Geltung. Was machten die beiden beruflich?
Leonore war gescheit (klischeehafter Schwachsinn!), sie war Betriebswirtin und arbeitete bei einer Investmentfirma. Und Sabrina – hm. Nagelstudio war wohl zu blöde, Friseuse auch, das war hier doch kein Manta-Film!
Es sollte etwas Mittelgescheites sein... und wenn sie irgendwie auf Florians Drogengeschäfte gekommen war... in welchen Branchen kam das häufiger vor? Mode? Film? Mode war nicht übel, sie konnte bei einem Designer arbeiten, das hatte auch genügend Glamour, um die Eltern zu blenden, die ja die brave Leonore verachteten. Gut, das konnte ich nehmen. Und der Designer konnte auch noch Dreck am Stecken haben. Wie sollte der denn überhaupt heißen? Was Italienisches, aber in Wahrheit stammte er natürlich hier aus der Vorstadt. Nein, hier würde ich das nicht spielen lassen, unser liebes Kaff hatte kein Flair. München musste es schon sein. Also, Adressen – nicht zu genau, sonst musste ich noch mal hinfahren. Oder es beschwerten sich Leute, dass in ihrem unbescholtenen Haus ein Mord oder Drogengeschäfte passiert sein sollten... Also:
Die Eltern kriegten ein kleines Einfamilienhaus, in... Solln. Gute Gegend, und das kannte ich als gebürtige Forstenriederin. Sabrina musste etwas Schickes haben, ein Appartement in... in... Harlaching, das war zwar nicht in , aber mehr oder weniger eine Society-Gegend.
Leonore hing noch etwas an der Denkweise aus Studententagen, sie wohnte in Haidhausen. Sedanstraße oder so, da war es ganz schön... Der Designer hatte sein Studio in der Falkenturmstraße. Sehr edel, gleich um die Ecke war die Maximiliansstraße.
Jonas kriegte was in Schwabing, der dealende Florian auch, aber mehr in der Nähe der Münchener Freiheit, Jonas sollte in der Maxvorstadt bleiben. Ja, das passte alles recht gut. Und die Männer musste ich erst skizzieren, wenn sie auftauchten.
Halt, wie hieß nun der Designer? Massimo del Ponte! Klasse, geboren als Max Brückner in – in Untersendling, genau! Ein weiter Weg in die Falkenturmstraße. Und nicht ganz legal zurückgelegt. Er konnte beim Abschluss der Modeschule geschummelt haben... seine besten Entwürfe, für die erste Modenschau, mit der berühmt geworden war, einer Kollegin geklaut haben, die aus Liebeskummer (nein, nicht wegen ihm, er war – Überraschung! – schwul) Selbstmord begangen hatte. Nicht einmal der freundlichste Kritiker konnte behaupten, ich sei hier neue Wege gegangen oder hätte eine ungewöhnliche Sichtweise entwickelt...
Ich schrieb, was die Leute lesen wollten, schließlich wollte ich davon leben. Tja, jetzt half aber alles nichts mehr, jetzt musste ich dann wohl doch mal mit der Geschichte anfangen.
Hunger hatte ich... Nein, gekocht wurde jetzt nichts, ich konnte beim Tippen ein Käsebrot und eine Handvoll Chips futtern.
Brösel verstreuend, richtete ich die Seite korrekt ein und starrte ins Leere, bevor ich anfallsartig zu tippen begann.
Leonore wickelte ihr Geschenk bedächtig aus, ohne die Schleife zu zerschneiden oder das Papier zu zerreißen. Sabrina dagegen riss die Verpackung ungeduldig ab und quietschte dann so laut auf, dass sie sogar die Wiener Sängerknaben - Ihr Kinderlein kommet – übertönte. „Ist ja irre! Danke, danke, danke, das trage ich gleich morgen auf dieser Superfete!“ Sie küsste ihre Eltern begeistert ab; Leonore kam näher, um sich dieses überwältigende Geschenk näher zu betrachten, und hielt dann die Luft an: Ein Collier?
„Ist das echt?“, flüsterte sie benommen.
„Was denkst du denn, natürlich!“, entgegnete ihr Vater entrüstet, musste dann aber lachen, weil Sabrina wie als Kind auf seinen Schoß geklettert war und ihm nun fast die Brille von der Nase schubste.
„Weißgold oder Platin?“, fragte Leonore weiter.
„Weißgold“, entgegnete ihre Mutter knapp. Na, wenigstens nicht auch noch Platin!
„Schaut toll aus“, lobte Leonore matt und packte ihr eigenes Geschenk fertig aus. Der nächste Band des Konversationslexikons, das sie nie hatte haben wollen... Wenn sie wirklich etwas wissen wollte, surfte sie im Internet oder benutzte ein Lexikon auf CD.
Sabrina bekam ein Collier und sie selbst bloß einen lumpigen Lexikonband? Ungerecht war das schon, aber die Eltern hatten Sabrina immer schon vorgezogen.
Ich lehnte mich zufrieden zurück. Das war doch schon ein ganz guter Anfang, oder? Langsam wurde es hier etwas dämmerig; ich setzte mich erst einmal nach draußen und beobachtete, wie es über dem See dunkel wurde und in Eulenburg die Lichter angingen. Im Yachtclub schien es ein Fest zu geben, jedenfalls konnte man die bunten Lichterketten bis hierher erkennen. Schön... die mussten sich ja auch keine Kurzgeschichte mit Mord an Weihnachten ausdenken! Jaja, hätte ich eben früher angefangen, ich wusste es doch selbst.
Noch ein bisschen!
„Leonore, hilf mir bitte in der Küche“, bat ihre Mutter, und innerlich schäumend, aber nach außen die übliche Gelassenheit zeigend, folgte Leonore ihrer Mutter, schnitt Baguette auf, polierte Weingläser nach, rührte den Geflügelsalat und den traditionsreichen Heringssalat noch einmal um und trug alles ins Wohnzimmer, wo ihr Vater und Sabrina immer noch auf dem Sofa saßen. Sabrina ließ das Collier durch die Finger gleiten, so dass es im Licht der Christbaumkerzen funkelte, und ihr Vater betrachtete sie stolz.
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