„Ja. Ich arbeite nämlich noch nebenher. Abends zwei, drei Stunden bei Joschi‘s. Bin natürlich nicht angemeldet. Ist mehr so ein Freundschaftsdienst.“
Czordan runzelte fragend seine Stirn, auf der auch so schon unzählige Linien eingegraben waren.
„Joschi‘s Curry-Imperium“, informierte ich ihn. „Ein Imbiss in der Nähe der Potsdamer Straße. Keine gute Gegend. Nachts dürften Huren und Freier die Hauptkunden sein.“
„Na, und?“, fuhr mich Frau Ahner an. „Sind auch nur Menschen. Jedenfalls, ich habe vorhin mal in ner ruhigen Minute das alte Fett weggebracht. Stehe in der dunklen Ecke zwischen den Müllcontainern, da kommt ein Auto. Ein Geländewagen, so ein ganz teurer. Eine Frau steigt aus. Auch ganz teuer. Ihr Fummel, meine ich. Dafür habe ich einen Blick.“
„Manche verdienen ganz gut beim Anschaffen“, warf ich ein.
„Quatsch. Das war keine von denen. Die kenne ich alle. Nee, die gehörte zu diesen jungen Frauen, bei denen man sich fragt, wen sie wohl geheiratet haben, um an so viel Geld zu kommen. Jedenfalls, ich denke noch, was will die hier? Da kommt ein Mann die Straße lang. Die beiden reden. Ich habe das Fett unter den Hausmüll gemischt und will gehen. Da schreien die sich an, der Mann zieht einen Revolver und zielt auf die Frau!“
„Sie haben die Waffe gesehen?“, fragte Czordan.
„Sag ich doch. Die beiden setzen sich ins Auto, sie ans Steuer, er neben sie, immer den Revolver in der Hand, und sie fährt los. Direkt auf mich zu. Fast hätte der Wagen mich erwischt. Aber der Müllcontainer war im Weg, es hat gekracht. Die Frau hat Gas gegeben und weg waren sie.“ Frau Ahner mummelte mit ihren eingefallenen Lippen, als redete sie weiter, sagte aber nichts mehr.
„Der Wagen fuhr also davon.“
„Na, der Container ja wohl nicht. Das war eindeutig eine Entführung. Da geht es um Lösegeld. Davon will ich meinen Anteil haben. Schließlich habe ich es gesehen!“
„Sie möchten einen Anteil vom Lösegeld?“
„Jau!“ Sie stutzte. „Nee, von der Belohnung, meine ich. So von wegen sachdienliche Hinweise für die Polizei. Aber die nehmen mich nicht ernst, das kenn ich schon. Deshalb bin ich hier: Du regelst das für mich und bekommst Prozente. Ist das ein Angebot?“
„Das ist keine Arbeit für einen Detektiv!“, wehrte Czordan ab.
„Na, dann geh eben los und such den Entführer. Das ist Detektivarbeit, oder?“ Frau Ahner fuhr mit der Hand suchend über die Fläche von Czordans Schreibtisch. „Warum sitze ich hier eigentlich noch auf dem Trockenen?“
„Ich bringe Ihnen gerne ein Mineralwasser“, bot ich an.
„Hier bin ich verkehrt“, murrte sie.
„Haben Sie sich die Nummer des Wagens gemerkt?“, hakte Czordan nach.
„Nee, ging zu schnell. Aber die Farbe, das war so ungefähr Silber untenrum und oben Rosa. Ziemlich abartig, wenn de mich fragst. Und eine ordentliche Beule muss er haben, vom Müllcontainer.“
„Wenn es ein hochwertiger Geländewagen war, hat er höchstens eine Schramme“, korrigierte ich.
Czordan sah einen Moment lang starr vor sich ihn, bevor er mich entschlossen anwies: „Sig, ruf die Polizei an!“
„Nein!“, rief Frau Ahner.
Czordan warf ihr einen bösen Blick zu, was er sehr gut konnte. Er drehte dabei sein hageres Gesicht halb vom Licht weg, so dass es einen diabolischen Zug bekam. Frau Ahner verstummte.
Ich suchte das Revier in der Nähe von Joschi‘s aus dem Telefonbuch heraus und gab die Beobachtung von Frau Ahner durch, ohne ihren Namen zu nennen. Auf Rückfragen ließ ich mich nicht ein.
„Ihr bescheißt die Leute auch nur!“, giftete Frau Ahner. „Detektive, von wegen! Hätte ich mir denken können.“
Czordan hob belehrend den Zeigefinger: „Eine Belohnung wird erst ausgelobt, wenn eine Forderung des Entführers vorliegt oder zumindest jemand als vermisst gemeldet wird. So oder so erfährt die Polizei zuerst davon. Wir müssen also abwarten, bis es so weit ist. Vorher können wir nichts Sinnvolles unternehmen.“
Frau Ahner stand auf. Ihr Gesicht rötete sich und sie spukte andeutungsweise auf den Boden. „Faules Gerede!“
Damit konnte sie Czordan nicht beeindrucken. Im Gegenteil, er lächelte sie an. „Nein. Ein Detektiv muss warten können. Sig, drucke ein Vertragsformular aus.“
„Kommt sofort.“ Ich klickte mit der Maus auf das entsprechende Symbol auf dem Bildschirm.
„Ach was, Vertrag. Gib mir dein Wort als Amerikaner, dass de mich nicht reinlegen willst.“ Frau Ahner schwankte leicht.
„Glauben Sie Amerikanern mehr als anderen?“
„Logisch. Ich hab fünfzehn Jahre lang in der Clayallee geputzt, da lernt man die Menschen kennen. Also, was ist, gilt dein Wort?“
„Ja.“
„Das reicht mir. Nacht, zusammen.“
„Einen Moment noch!“
Frau Ahner drehte sich zu Czordan um.
„Der Mann mit der Waffe hat Sie vermutlich beim Wegfahren gesehen. Es kann sein, dass Sie sich in Gefahr befinden. Halten Sie sich von dieser Gegend in den nächsten Wochen fern.“
„Unsinn. Es war schon duster und ich stand hinter den Müllcontainern. Jetzt mach dich mal nicht wichtig.“
„Seien Sie trotzdem vorsichtig.“
Ich vollbrachte meine gute Tat für diesen Tag, indem ich sie über die Straße führte und bei ihr blieb, bis sie die Schlüssel aus der Schürzentasche gefummelt und das Schlüsselloch getroffen hatte. Dann kehrte ich ins Büro zurück und sah zu, wie Czordan seinen Schreibtisch aufräumte.
„Glückwunsch zum neuen Fall!“, lästerte ich.
„Das ist eine Ausgangssituation, wie sie jeder Detektiv schon erlebt hat“, belehrte er mich. „Daraus kann sich einiges entwickeln.“
„Wenn sich Frau Ahner in ihrem Rausch etwas eingebildet hat, entwickelt sich nichts.“
Er sah nicht auf, als er antwortete: „Aber falls sie wirklich ein Verbrechen beobachtet hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in den nächsten Tagen ermordet wird. Das lehrt die Erfahrung.“
„Wie bitte?“
„Sie wird ermordet werden“, sagte er im Tonfall eines ungeduldigen Lehrers, der zum wiederholten Mal eine Selbstverständlichkeit vorbeten muss.
„Und was unternehmen wir dagegen?“
„Nichts. Die Polizei gewährt auf bloßen Verdacht hin keinen Personenschutz. Du könntest das übernehmen, aber dich brauche ich hier im Büro.“
„Das ist zynisch.“
„Ich nenne es Realitätssinn. Wenn Frau Ahner sich an meinen Ratschlag hält, ist sie sicher.“
„So viel Vernunft wird sie wohl haben“, sagte ich, ohne recht daran zu glauben.
„Zum Detektiv fehlt dir die Menschenkenntnis.“
„Wenn es nur das ist.“
Das war nun doch zu vorlaut. Czordan schüttelte drohend den Zeigefinger in meine Richtung, als er erwiderte: „Was kannst du denn? Kämpfen, schießen, Personen schützen. Deshalb habe ich dich eingestellt. Aber wahre Detektivarbeit hat mit Köpfchen zu tun. Mit Menschenkenntnis, tiefer Einsicht in die Seele Anderer wie in die eigene, und der Fähigkeit, logisch zu denken. Das macht den Detektiv aus! Nicht die Waffe im Schulterhalfter.“
„Tut mir leid, aber das stand nicht in der Annonce, auf die ich mich gemeldet habe.“
„Pah! Ich werde dich ausbilden. Die richtigen Anlagen für diesen Beruf hast du. Über das nötige Wissen verfüge ich.“
Das bot mir die seltene Möglichkeit, mehr über die Vergangenheit des Alten herauszufinden. Er erzählte nur gelegentlich davon und was er sagte, widersprach sich auch manchmal. Ich versuchte, ihn mit einer weiteren abfälligen Bemerkung aus der Reserve zu locken: „Da redete der Fachmann - auch wenn er bisher nur Inhaber einer ‚Wissenschaftlichen Auskunftei‘ war.“
Es funktionierte!
„In New York habe ich dreißig Jahre lang als Detektiv gearbeitet. Als private eye mit fünf Festangestellten! Erst hier in Berlin musste ich mir etwas Anderes einfallen lassen. Ich gebe zu, die Idee, mein Allgemeinwissen zu Geld zu machen, war nicht sonderlich erfolgreich. Also kehre ich nun zurück zu der Tätigkeit, für die ich über ein Talent verfüge wie wenige Andere. So oder so, die Investition in die Maschinen macht sich auf jeden Fall bezahlt.“ Czordan deutete auf die Tür, die in unsere Bibliothek und von dort aus in den Computerraum führte. „Jetzt geht es darum, das auch für die Investitionen in Menschen zu erreichen.“
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