Also hieß es abwarten, was passieren würde.
Reglos lagen die acht Meistermagier auf ihren Liegestätten, die Augen geschlossen, doch alle Sinne aufs Höchste angespannt. Die Verbindung untereinander war latent, aber spürbar.
Meister Rumex lauschte wie alle anderen auch. Er achtete auf Geräusche, Gerüche und magische Schwingungen.
Die Zeit zog sich endlos hin, und die Dunkelheit verleitete die Gedanken abzugleiten.
Der Magiermeister überlegte, wie er es anstellen würde, wenn ... Es waren ungewohnte und abstoßende Gedanken. Magie? Oder besser gar keine? Von jedem ein bisschen?
Es gab viele Möglichkeiten zu morden. Wieviele gab es, einen Magiermeister zu überwältigen? Nun, in den Raum konnte kein Mensch gelangen, ohne dass sein Wachzauber anschlagen würde. Aber wie sah das mit Gegenständen aus? Doch wie sollten diese ins Zimmer kommen, wenn die Tür nicht geöffnet werden konnte?
Rumex öffnete vorsichtig die Augen und versuchte, ohne den Kopf zu bewegen, den Raum zu erfassen. Es war dunkel, und nur schemenhaft vermochte er seine Möbel zu erkennen.
Ob er sich magische Sicht verschaffen sollte? Dies war nur ein kleiner Zauber und mochte nicht auffallen, falls ... In seinen Gedankengängen rastete etwas ein. Seine Erkenntnis blieb niemandem seiner Ratskollegen verborgen. Automatisch konzentrierten sich alle auf die feinsten magischen Schwingungen, derer sie gewahr werden konnten.
Es war beinahe ein Schock für Meister Rumex, als er der Magie vor seiner eigenen Tür gewahr wurde, - aber nur beinahe. Es war eigentlich naheliegend, dass der Anschlag auf den obersten Magier die meiste Unruhe auslösen würde.
Aufmerksam verfolgte er die zarten Schwingungen, hütete sich aber, sie zu analysieren.
Vorsichtshalber schlug er wieder die Augen auf. Fast hätte er gelächelt, als er den Raum überblickte. Meister Laelaps sorgte für seine gute Sicht.
Dann sah er das winzige Schiffchen durch die Luft auf sich zuschweben und verstand.
Gift! Dieser Mordplan war so primitiv und doch -, wenn sie nicht gewarnt worden wären, hätte es klappen können. Doch jetzt war es an der Zeit, dieses mörderische Spiel zu beenden.
Entschlossen setzte er sich auf.
Meister Simus blieb fast das Herz stehen, als sein Opfer sich erhob.
Plötzlich ging alles sehr schnell.
Nahezu gleichzeitig öffneten sich die Kammern der anderen Ratsmitglieder, und die Magiermeister traten heraus.
Die Magier Gordius und Ceto waren davon so überrascht, dass sie ihre Gegner mit offenem Mund anstarrten. Als sie sich dann zur Flucht wenden wollten, war es zu spät. Der Weg nach unten wurde ihnen durch eine graue undurchsichtige Nebelwand versperrt.
Mit einem entsetzten Ruf sprangen sie zurück. Durch diese Wand zu treten war äußerst ungesund, das war ihnen nur zu klar.
Die drei Verschwörer vor Meister Rumex Tür waren ebenfalls zurückgewichen, doch Meister Orchis und Meister Acorus waren nicht gewillt einfach aufzugeben.
Wilde Blitze, Schreie und Rauch erfüllten den Korridor.
Als schließlich Ruhe einkehrte und der Rauch sich verzogen hatte, bot sich den Magiern ein Bild des Grauens.
Meister Simus hockte schluchzend auf dem Boden, eng an die Wand gedrückt. Seine Kleidung war angesengt und einige Brandblasen verzierten seine bloßliegenden Hautpartien.
Neben ihm lagen die verkohlten und verschrumpelten Leichen von Meister Acorus und Meister Orchis.
Meister Ceto und Meister Gordius hatten sich von der Panik anstecken lassen. Doch während Meister Ceto sich ohne große Hoffnung auf Erfolg Meister Laelaps entgegenstellte, rannte Gordius kopflos vor Angst durch die graue Nebelwand.
Meister Sicyos lauschte angespannt die Treppe hinauf. Ein leiser Fluch entglitt seinen Lippen, als er die Kampfgeräusche vernahm. Er hätte sich denken können, dass diese Dummköpfe versagen würden. Der Magiermeister gab sich nicht der Illusion hin, dass seine Komplizen eine Chance gegen die Ratsmagier hatten. Ohne länger zu zögern drehte er sich um und rannte die Stufen hinunter. Jetzt blieb ihm nur noch die Flucht. Gut, dass er darauf schon vorbereitet war.
Kaum hatte er seinen Posten verlassen, da torkelte Meister Gordius die Treppe herab. Sein Gesicht war aschgrau, seine Augen von einem grauen Schleier getrübt.
„Sicyos“, stieß er krächzend hervor. Als keine Antwort kam, brach er zusammen. So wurde er von heran eilenden Bewohnern des Turms gefunden: Ein hilfloses, blindes Bündel Angst.
Bereits am frühen Morgen rief der Magierrat eine große Versammlung ein und berichtete von dem feigen Mordanschlag auf ihren obersten Magiermeister.
Ausnahmslos alle waren schockiert – und beeindruckt. Keinem der Ratsmitglieder sah man an, dass sie in einen Kampf verwickelt gewesen waren. Dagegen sahen die drei überlebenden Verschwörer mehr als mitgenommen aus.
Meister Gordius war überhaupt nicht vernehmungsfähig und in die Obhut einer Heilerin gegeben worden. Meister Simus hockte als zitterndes Bündel Elend vor dem Rat. Seine Brandwunden waren zwar versorgt worden, aber die Verbände zeigten eine deutliche Sprache.
Am gefasstesten wirkte Meister Ceto, obwohl er offensichtlich Schmerzen und ebenfalls eine gehörige Portion Angst hatte.
Meister Sicyos war spurlos verschwunden. Niemand hatte seine Flucht bemerkt und als sein Name das erste Mal fiel, war es schon zu spät. Der Rädelsführer war entkommen.
Meister Rumex ließ zum ersten Mal während seiner Laufbahn als Ratsmitglied seinem Unmut und seinem Zorn freien Lauf.
Seine Stimme donnerte über die Magier hinweg und so manch einer der Anwesenden duckte sich unwillkürlich. Der oberste Magier stauchte sie zusammen wie noch nie zuvor. Nicht, weil keiner etwas bemerkt hatte, sondern weil es tatsächlich Magier in diesem Turm gab, die die hehren Ziele der Magiergilde nicht mehr achteten und ernst nahmen. Magier, die ihre persönlichen Ziele vor denen der Gilde setzten und somit solchen Untaten Tür und Tor geöffnet werden konnten.
Es war deutlich, dass Meistermagier Rumex die Geduld mit seinen Schützlingen verloren hatte.
„Die Ordnung im Turm muss gewahrt bleiben, unabhängig von der drohenden Gefahr. Wer sich mit ihr nicht mehr identifizieren kann und möchte, muss gehen! Wer bleibt, muss seinen Geist der Gemeinschaft offenbaren.
Dies ist ein Scheideweg. Wir sehen einer großen Gefahr entgegen und müssen geeint sein. Es darf kein Misstrauen in unserer Gemeinschaft geben. Jeder muss seinen Weg selbst wählen. Wer bleibt, erscheine heute Nachmittag in diesem Ratssaal. Wer geht, der mag bis morgen früh den Turm verlassen und eigene Wege gehen. – Er ist damit allerdings ausgeschlossen aus der Gilde und verfügt nicht mehr über deren Schutz und Ehrungen.
Was die Bestrafung der Verschwörer angeht: Zwei hat ihr Schicksal schon ereilt. Die anderen übergeben wir der Gerichtsbarkeit des Königs. Sie haben sich des Mordversuchs schuldig gemacht und sich damit selbst aus dem Schutz unserer Gemeinschaft gestellt. Dies gilt natürlich auch für den flüchtigen Meister Sicyos und etwaige Helfer.
Entscheidet selbst, welcher Weg der eure ist. Heute Nachmittag werden wir den Bund des Magierturms erneuern und festigen!“
Nach dieser Rede herrschte ungewohnte Stille. Der Ratssaal leerte sich nur langsam. Viele blieben mit nachdenklichen oder gar bedrückten Mienen sitzen, noch ganz betäubt von dem Nachdruck ihres obersten Magiermeisters. Aber in vielen Gesichtern malte sich Zufriedenheit, wenn nicht sogar Begeisterung ab. Es freute Meister Rumex, dass er gerade Letzteres vor allem in jungen Gesichtern lesen konnte. Dies ließ ihn hoffen, dass die Magiergilde auch in Zukunft ihre Ziele verfolgen konnte.
Auch am Nachmittag, als sich die Magiergilde ein zweites Mal im Ratssaal versammelte, konnten die Ratsmitglieder zufrieden sein. Meister Rumex Schelte hatte ihre Wirkung getan. Nur zwei Magier hatten sich entschlossen, den Turm zu verlassen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich doch einige mehr gegen die Geistesbefragung ausgesprochen hatten, war das erfreulich.
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