Antje Langer - Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich.

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Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich.: краткое содержание, описание и аннотация

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Oberflächlich betrachtet, ist das Frankfurter Bahnhofsviertel eine jedem zugängliche Welt. Sie ist jedoch in besonderer Weise durch doppelte Illegalisierung tabu oder 'verdeckt': durch Prostitution und den Gebrauch von Drogen. Hier 'mitspielen' kann nur, wer die gängigen informellen Regeln kennt, und wer nicht mitspielt – wie die Forscherinnen –, muss sich von irritierten Freiern die Frage stellen lassen, 'was macht ihr hier, wenn ihr nichts macht?'.
In der detaillierten Studie werden mit Hilfe von Erving Goffmans Interaktionstheorien die Wünsche und Taktiken der Freier auf dem Drogenstrich, der 'Freier-Autocorso', die Tabus, Strategien und Kompetenzen der Anbieterinnen, ihre Preise, der Ablauf des 'Geschäfts' wie auch Vertragsbrüche und Gewalttätigkeiten analysiert.
'Es gibt unter den Drogenprostituierten natürlich jene Frauen, die dem Opfer-Stereotyp der Medien und der Fachliteratur entsprechen. Aber schon die Lebensgeschichten weisen eine erhebliche Vielfalt der Wege in die Szene aus. Ein früher sexueller Missbrauch als letztliche Ursache von Drogenkonsum und Prostitution wird kaum erwähnt. Einige Frauen sind nicht über den primären Drogenkonsum zur Prostitution als Finanzierungsmöglichkeit gekommen, sondern hatten bereits Prostitutionserfahrung, bevor sie mit dem Drogenkonsum begannen. Vielen kann man ein durchaus kompetentes Alltagsmanagement bescheinigen, mit privaten Partnerschaften neben Dauerbeziehungen zu bestimmten Freiern und sogar einer Vorsorge in Bezug auf die Drogenversorgung. Abgesehen von Hepatitis und desolaten Zähnen ist die körperliche Verfassung der meisten Frauen nicht so schlecht wie allgemein angenommen; für viele hat Körperpflege auch unter widrigen Verhältnissen hohe Priorität.'

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Inhalt

Intro

Drogenprostitution als eine spezielle Form der Prostitution wird in der deutschsprachigen (Fach-)Literatur kaum als eigenständiges Thema behandelt. Entweder wird sie im Zusammenhang einer Aufzählung der verschiedenen Arten von käuflichem Sex (vom Straßenstrich bis zum Escortservice) erwähnt – meist als die unterste Stufe der Hierarchie und als „besonders unheilvolle Allianz“ 1– oder sie findet gar nicht erst Beachtung. Dagegen gibt es zahlreiche Veröffentlichungen über Drogen, Abhängigkeiten und Drogenpolitik; auch über Prostitution findet man Milieuforschungen, historische Studien und eine Fülle von Erklärungsversuchen des „abweichenden Verhaltens“. Im Zuge der Problematisierung von HIV und AIDS fand das Thema verstärkt Beachtung. Erstmals rückten auch die Freier in das wissenschaftliche und öffentliche Interesse, die bis dahin „lediglich als anonyme, konturlose Masse“ (Prostituiertenprojekt HYDRA 1988, 12) existierten. Dabei stand vor allem die AIDS-Prävention als formuliertes Ziel der Untersuchungen im Vordergrund. Literatur, die sich ausschließlich mit dem Thema Drogenprostitution befasst – in welcher Form auch immer – ist jedoch kaum zu finden. 2Diese Nicht-Beachtung verweist auf eine allgemeine gesellschaftliche Tabuisierung des Themas.

Die vorliegende Studie soll mit einer detaillierten Analyse der auf dem Drogenstrich beobachteten Interaktionen zwischen Prostituierten und Freiern dazu beitragen, dieses Feld zu erhellen. Die Betrachtung der Interaktionsprozesse verspricht, eine Fülle von Praktiken aufzudecken, die das Feld der Drogenprostitution konstituieren. Zudem verhindert der Fokus auf die Interaktionsprozesse der beteiligten Personen, einseitig die Ursachen und Motive ihres Handels zu suchen sowie psychologisierende Zuschreibungen zu produzieren.

Die Untersuchung ist innerhalb eines Forschungsprojektes über die Lebenswelt(en) von Drogenprostituierten am Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main entstanden. Sie bezieht sich explizit auf den Drogenstrich in Frankfurt/Main innerhalb des Zeitraums Sommer 1999 bis 2001, in welchem mittels Beobachtung im Feld und Interviews das hier nun ausgewertete Material gesammelt wurde.

1So schreibt Rita Süssmuth in der Einleitung zum Buch „Sucht und Prostitution“ von Jutta Brakhoff (1989).

2Einige der wenigen Studien, in denen speziell Frauen zu Wort kommen, die sich auf dem Drogenstrich prostituieren, sind einmal eine Untersuchung des Sozialpädagogischen Instituts Berlin (Claudia Gersch et al. 1988), die ebenfalls im Rahmen zielgruppenorientierter HIV-/AIDS-Prävention erstellt wurde, des Weiteren die von Cecilie Hoigeard und Liv Finstad (1987) sowie die journalistische Recherche von Josy Meier und Thomas Geiger (1993), die mit unkommentierten Interviewpassagen auf die besondere Problematik des Anschaffens für Drogen aufmerksam machen wollen.

Einleitung

Spezifika der Drogenprostitution

Prostitution betrachte ich als sexuelle Dienstleistung gegen Geld oder andere materielle Güter, die als soziale Institution 3gesellschaftlich und historisch fest verankert ist. Innerhalb dieser gibt es verschiedene Formen und Branchen, die sich historisch verändern und die damit verbunden auch unterschiedliche gesellschaftliche Bewertungen erfahren. Diese wirken sich teilweise auf die Nachfrage, zumindest aber auf die Handlungsbedingungen der Prostituierten aus, denn Prostitution kann nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Normen- und Wertesystemen bezüglich der Regelungen von Geschlechterbeziehungen und vorherrschender Sexualmoral betrachtet werden. Obwohl sie in jeder Gesellschaft gefragt ist und man deshalb annehmen kann, dass sie ein soziales Bedürfnis erfüllt, wird sie tabuisiert und stigmatisiert. Ihr haftet etwas Anrüchiges und Verwerfliches an. Sexuelle Käuflichkeit und professionelle Promiskuität werden als unmoralisch und unzüchtig verurteilt und als sozial abweichendes Verhalten eingeordnet. Gleichzeitig zeigt sich gesellschaftliche Zustimmung in stillschweigender Duldung.

Der öffentliche Umgang scheint auf den ersten Blick unkomplizierter geworden zu sein, an der prinzipiellen Tabuisierung hat sich jedoch nicht viel geändert. Dabei werden unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe von Prostitution als einer sozialen Institution auf der einen Seite und der Prostituierten als Person auf der anderen Seite angelegt (vgl. Uta Holter u.a. 1994, 13). Die öffentliche moralische Verurteilung gilt dabei den sich prostituierenden Frauen und Männern. Mit dem Stempel, Prostituierte zu sein, wird suggeriert, dass sexuelle Dienstleistungen anzubieten ein die Gesamtpersönlichkeit definierendes Merkmal und nicht Tätigkeitsbeschreibung ist (vgl. HWG 1994, 155). Von der zwangsläufig dazugehörigen „anderen Seite“ wird selten oder gar nicht gesprochen. Zu einer oder einem Prostituierten zu gehen, wird als ein privates und damit intimes Problem angesehen, was besser nicht thematisiert wird.

Rechtlich gesehen ist es zwar nicht verboten, sich zu prostituieren, es galt aber bis vor kurzem und im Forschungszeitraum als „sittenwidrige Tätigkeit“ und konnte somit sanktioniert werden (vgl. Beate Leopold/Elfriede Steffan, 1996, 124; HWG 1994, 86). In dieser Grauzone zwischen Legalität und Illegalität entstand für die Prostituierten ein Status als Randgruppe. Dieser wird eine Milieuzugehörigkeit und eine direkte oder mindestens indirekte Verbindung zur Kriminalität unterstellt. Gleichzeitig wird durch Reglementierungen und Verbote, wie z.B. Sperrgebietsverordnungen, die Tätigkeit der Prostitution kriminalisiert (vgl. HWG 1994, 70-81).

Die dargestellten Punkte gelten ebenso für den Bereich der Drogenprostitution. Was macht nun ihre Besonderheit aus? Die meisten Autorinnen, die sich mit dem Thema beschäftigen (bspw. Gersch et al. (1988), Dagmar Hedrich (1989), Leopold/Steffan (1996) und Heike Zurhold (1998)), betrachten Prostitution als die gängigste Art, mit der Frauen ihren kompulsiven Konsum illegaler Drogen (im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes BtMG), vorwiegend von Heroin, Kokain und Crack, finanzieren 4. Der Handel mit Drogen als Finanzierungsquelle scheint dagegen eine Männerdomäne zu sein (vgl. Christine Spreyermann 1997, Heike Zurhold 1998, Bettina Paul 1998). Natürlich gibt es auch männliche Drogenprostituierte. Im Weiteren wird es jedoch ausschließlich um weibliche Prostituierte gehen, da die Situation der „(Drogen-)Stricher“ nur teilweise gleiche Strukturen, Merkmale und Hintergründe aufweist, was sich auch in einer räumlichen Trennung der beiden „Anschaffungsgebiete“ zeigt.

Hauptsächlicher Beweggrund vieler Drogenkonsumentinnen, sich zu prostituieren, ist also die Finanzierung der Drogen, während das durch die Prostitution erworbene Geld nur Zwischenziel ist. Wie unmittelbar die Prostitution mit dem Drogenerwerb zusammenhängt, zeigt sich darin, dass selten in drogenfreien Zeiten angeschafft wird und auch sonst nicht mehr, als für den Bedarf nötig ist. Die Prostitutionstätigkeit erfolgt ebenso im unmittelbaren Austausch gegen Drogen, ein Dach über dem Kopf oder eine warme Mahlzeit, um existenzielle Bedürfnisse befriedigen zu können. Das ist vor allem für die Frauen wichtig, die vorwiegend auf der Straße leben (vgl. Zurhold 1995, 76). So banal dieser Hinweis erscheinen mag, zeigt das doch, dass das Leben einer drogenabhängigen Frau nicht nur aus Drogen und ihrer Beschaffung besteht, auch wenn Drogen den primären Antrieb für diese Arbeit darstellen. Der weit verbreiteten (Klischee)vorstellung, Drogenprostituierte wären 24 Stunden am Tag mit Anschaffen und Konsumieren beschäftigt, ist also zu widersprechen.

Neben der direkten, öffentlichen Prostitution, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen wird, gibt es häufig längere Beziehungen mit Dealern oder anderen männlichen Szeneangehörigen, die den Drogenbedarf zum Preis sexueller Verfügbarkeit abdecken (vgl. Hedrich 1989, Gersch et al. 1988). Diese Zweckbeziehungen werden von den Frauen auch zum Schutz vor Gewalt innerhalb der Drogenszene eingegangen.

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