„Ja, das ist das Neue.“ Marly umklammert das Handy wie ein Kind, dann steckt sie es hastig in ihre schwarze Ledertasche.
„Ich wollte es dir ja nicht wegnehmen.“ Etwas verwundert bin ich schon über ihre Reaktion, aber es gehört sich ja auch nicht, ungefragt Dinge anderer anzufassen.
„Tschuldigung, Marly“, setze ich nach. „Aber wie kommst du an dieses sündhaft teure Gerät? Hast du ne Gehaltserhöhung bekommen im Kindergarten?“
„Schön wär’s. Aber leider nein. Fabian hat es mir geschenkt.“
„Wie, einfach so?“
„Ja, einfach so.“
„Mhm, das ist ja aber mal ne andere Hausnummer, als die halb verwelkte Rose von Julian.“
Wir lachen über den verzweifelten Versuch unseres ehemaligen Klassenkollegen, der damals schon attraktiven Marly ein Date abzuringen.
„Der hat es ja auch nicht geschafft. Fabian schon.“
„Ein iPhone ist eben überzeugender.“
Marly hört auf zu lachen, ihr Gesicht nimmt etwas ernstere Züge an, ohne jedoch hart zu wirken.
„Es war ja nicht das iPhone, das mich überzeugt hat, sondern Fabian selbst. Er behandelt mich wie eine Prinzessin. Er kocht, er putzt, er ist aufmerksam. Und er ist einfach supersexy.“
Da bin ich komplett gegenteiliger Meinung, aber ich unterdrücke mir erfolgreich eine Bemerkung und leite gekonnt einen Themenwechsel ein.
„Hast du dich denn gut eingelebt in der neuen Wohnung?“
„Ja, die ist traumhaft. Endlich habe ich viel Platz. Ich bin voll verliebt in die Wohnung. Wenn wir endlich alles eingeräumt haben, ist es perfekt. Im Moment stehen überall Kisten, ich brauche eine Weile, um mir zu überlegen, was wohin kommt. Aber das macht ja auch Spaß. Und so weiß ich ganz genau, wo ich meine Sachen wiederfinde.“
Sie brabbelt wie ein Wasserfall. Ich lasse sie einfach weiterreden und höre zu.
„Fabian ist immer lange unterwegs, manchmal kommt er erst um neun oder zehn nach Hause, und dann ist er viel zu kaputt, um noch Regale anzuschrauben, also dauert es halt ein wenig. Aber so ist das eben. Bald hat er Urlaub, dann können wir den Rest machen, aber wir wollen auch noch eine Woche oder zwei verreisen, nach Dubai vielleicht, da war ich noch nicht. Ich habe vorgestern Urlaub eingereicht, und Kathrin meinte, dass das wahrscheinlich klappt. Ist nicht in den Ferienzeiten, also ist es einfacher, Urlaub zu bekommen, da wir nicht den Eltern ins Gehege kommen. Wir können ja auch außerhalb der Ferien verreisen. Noch.“
Ich nutze Marlys kurze Atempause, um dazwischenzuhaken.
„Wie, noch?“ Ich schreie fast. Die Musik ist ziemlich laut.
„Na, wir planen halt Kinder. Jetzt noch nicht sofort, aber irgendwann möchten wir schon welche.“
Marlys Gesicht strahlt bei ihrer Zukunftsplanung auf. Ich beneide sie dafür. Sie hat eine Perspektive. Einen Plan auf ein Familienleben und eine gemeinsame Basis. Plötzlich regt sich ein Gefühl gefährlichen Selbstmitleids in mir. Ich wünschte mir so sehr, dass ich einen Hafen hätte, einen, der mir immer dann Sicherheit gibt, wenn ich es brauche. Ich denke an Kevin, an seinen zärtlichen Kuss vor ein paar Tagen und spüre die Hoffnung in mir aufkeimen, dass das mit uns noch was wird. Wir zusammen sind. Ich ihn anrufen kann, wenn ich nachts nicht schlafen kann und er dann zu mir fährt, um mir Trost zu spenden. Und nicht nur, um seine körperlichen Bedürfnisse auszuleben.
Der große karpfenartige Fisch im linken Aquarium hat begonnen, von einer Seite zur anderen zu schwimmen. Hin und zurück. Mehr geht nicht. Er kann nicht ausbrechen, und die Begrenzung seiner Lebensumgebung sprengen. Er ist gefangen in dem, was er kennt. Wahrscheinlich sein Leben lang. Vielleicht hat er schon einmal die Freiheit kennengelernt und ist durch riesige Gewässer geschwommen, die ihm zwar Weite gaben, aber auch große Gefahren, denen er in diesem gläsernen Käfig nicht begegnen wird.
Ich seufze laut auf. Bin ich wie der Fisch im Aquarium? Breche ich nicht aus der gewohnten Umgebung einer unzuverlässigen Beziehung aus, um mich neuen Erfahrungen zu widmen, oder ist Marly diejenige, die sich einsperren lässt?
„Willst du denn keine Kinder, Sasha?“ Marly reißt mich jäh aus meinen Gedanken.
„Äh, ich?“
„Ja, klar, wen sollte ich sonst meinen?“
Ich schaue mich demonstrativ um, aber Marly durchblickt mein kleines Ablenkungsmanöver.
„Also, ich weiß nicht, gerade passt das ja nicht so gut in die Situation.“
„Und wenn sie anders wäre?“
„Wer?“
„Na, wenn die Situation anders wäre. Wenn du jetzt deinem Traummann begegnen würdest. Und der mit dir zusammenziehen möchte, dich heiraten, das ganze Pipapo!“
Mir wird etwas heiß im Gesicht. Wären wir bei hellem Tageslicht draußen, würde Marly erkennen, dass ich rot werde. Hier bei dem Schummerlicht fällt es nicht auf, aber meine Körpersprache signalisiert eindeutig, dass mir das Thema unangenehm ist.
„Du, ich und der Traummann, das ist für mich gar nicht vorstellbar. Wo soll der denn auf einmal herkommen?“ Ich zucke mit den Schultern.
„Na, manchmal fallen sie einfach vom Himmel. Wie Fabian.“
„Eher aus Parship!“ Ich grinse.
„Ja, du hast ja Recht, aber wir sagen immer, wir hätten uns im Supermarkt kennengelernt. Mir ist der Reis runtergefallen, und Fabian hat ihn für mich aufgehoben.“
„Was für eine dreiste Lüge!“, empöre ich mich künstlich, und mir kommt der Song von Helge Schneider in den Kopf – Es gibt Reis Baby, ich koche für dich, ein einziges Mal, ab dann bist du dran. Na, hoffentlich hatte Fabian nicht dieselbe Assoziation, als sie sich diese rührselige Geschichte ausgedacht haben.
„Ich habe gehört, dass du dich ziemlich gut mit Johannes verstanden hast.“ Marly guckt mich mit neugierigen Augen an.
„Wir haben uns nett unterhalten.“
„Ach, ich hatte den Eindruck, das war etwas mehr als nur eine nette Unterhaltung. Ihr wart ziemlich lange alleine unterwegs.“
„Das stimmt. Aber es war nicht so wie du denkst. Wir haben nur geredet.“
„Das ist doch schon einmal ein Anfang. Ich kann dir seine Nummer geben, dann kannst du dich bei ihm mal ganz unverfänglich melden.“ Das Schmunzeln in ihrem Gesicht gefällt mir überhaupt nicht. Ich habe nun wirklich keine Lust, mehr von Fabian und seinen geleckten Freunden mitzubekommen. Gerade nach diesem Abend in dem komischen Snob-Club.
„Nein danke, das ist nicht meine Welt.“ Ich verschränke die Arme und starre sie an. Das scheint sie zu verunsichern.
„Wieso nicht? Der Johannes ist ein Netter. Und wie ich das mitgekriegt habe, sucht der gerade eine verlässliche Beziehung. Er ist jetzt seit einem halben Jahr solo und so langsam ist er wieder bereit für eine neue Beziehung.“
„Das ist mir scheißegal, wie bereit der jetzt für eine neue Beziehung ist oder nicht. Wir passen einfach nicht zusammen. Der lebt in einer Welt, die mich nicht interessiert. Und bevor ich irgendeinen nehme, bleibe ich lieber alleine. Punkt.“
„Siehst du diesen Kevin noch?“
„Ja.“
„Na so ganz scheinst du dich ja nicht an deine Prinzipien zu halten.“
Sie hat mich ertappt. Immer schön rein in die wunde Stelle.
„Na ja, Kevin tut mir gut. Er ist gut im Bett.“
„Jedenfalls meistens“, füge ich hinzu, den schnarchenden Kevin vor meinem geistigen Auge.
„Ja, aber das ist ja keine richtige Basis.“
„Nein, aber immerhin besser, als so einen Schlägertypen an der Backe zu haben.“
So langsam macht Marly mich richtig sauer und mir fällt es schwer, sie nicht anzupampen, trotz all meiner Vorsätze, diesen Abend harmonisch zu gestalten.
„Meinst du damit Fabian?“ Die Empörung in Marlys Stimme ist nicht zu überhören.
„Natürlich. Deswegen bin ich ja so plötzlich weggegangen an dem Abend nach deinem Umzug. Das Verhalten von deinem Lover war mehr als inakzeptabel!“
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