Ich schüttle mädchenhaft den Kopf.
„Dann holen wir das noch nach!“
Ich nicke und nehme einen großen Schluck aus dem schmalen Glas.
„Mann, du hast aber nen Zug drauf. Willst du noch einen?“
Wieder nicke ich. Mein Kopf prickelt, wie der Champagner. Ich fange an, zu der blöden Musik mit dem Fuß zu wippen und beobachte gedankenverloren die Menschen um mich herum. Einige flirten, andere bewegen sich elegant zur Musik. Und wiederum andere weniger elegant. Tanzstile können schon merkwürdig aussehen, denke ich.
Als ich erneut mein leeres Glas auf der Theke abstelle, wendet sich Johannes mir wieder zu.
„Komm, wir gucken uns mal das Panorama an.“
„Aber doch nicht völlig auf dem Trockenen!“, beschwere ich mich.
„Nein, natürlich nicht, Nachschub kommt sofort!“ Es dauert keine zwei Minuten, da habe ich ein neues prickelnd gefülltes Glas vor mir stehen. Ich rutsche etwas schwankend von meinem Barhocker.
„Na dann mal los!“
Als wir uns auf die große Fensterscheibe zubewegen, legt er sanft seinen rechten Arm auf meine Schulter. Ich bin schon ziemlich beschwipst, merke ich, ich habe Schwierigkeiten, gerade zu laufen ohne zu stolpern. Mir scheint es, als habe auch der Club sich etwas mehr gefüllt. Als wir uns durch die Ansammlungen von Menschen schlängeln, komme ich mir vor wie in einem Tetris-Spiel. Letztendlich positionieren wir uns vor der Glasscheibe. Die Lichter der Überseestadt leuchten und erobern sich die Nacht zurück. Die Kälte der Außenwelt scheint so weit entfernt, hier in diesem von der Körperhitze der Partymeute erwärmten Raum.
„Es ist wunderschön“, staune ich. „Guck dir all die Lichter an.“ Scheiße, ich bin ganz schön besoffen, da kommt nur duseliges Klein-Mädchen-Gesäusel aus meinem Mund.
„Ja, ich mag diese Aussicht sehr. Aber vor allem die Aussicht, die sich direkt vor mir befindet.“ Johannes grinst breit. Seine Augen lächeln mit. Das gefällt mir. Und ich genieße, angeflirtet zu werden. Das passiert nicht alle Tage.
Ich grinse nur blöd. Bis über beide Ohren. Mir fällt partout kein guter Satz ein, der als Erwiderung dienen könnte.
„Ich hätte noch gerne so ein Getränk in mein Glas.“ Ich strecke ihm mein leeres Champagnerglas entgegen. Er nimmt es, ohne sein Lächeln zu unterbrechen.
„Kommt sofort, die Dame.“
Ich sehe ihn geschmeidig seinen Weg zu der Theke bahnen. Ich lächle in mich hinein. Ich fühle mich wie die Königin der Nacht. Nichts kann mir etwas anhaben, ich befinde mich auf einer Wolke, auf der die Welt dort unten nicht herankommt, selbst wenn sie es versuchen sollte.
Doch dann merke ich, dass mein Körper mit auf dieser Wolke schwebt, und seine eigenen Ansprüche an mein benebeltes Gehirn meldet. Ich muss mal pissen. Dringend. „Muss das sein…“, murmle ich zu mir selbst, aber ich setze mich langsam in Bewegung, um dem kleinen Problem Herrin zu werden. Konzentration ist nötig, um nicht in Schlangenlinien zu laufen. Die Menschen bauen sich vor mir auf, sodass sie bedrohlich wirken und ich immer wieder in meinem Weg abgeschnitten werden.
„Fuck“, fluche ich leise vor mich hin. Ich habe es fast geschafft, da sehe ich, dass sich an der Theke ein Rudel gebildet hat. Ich blinzle, und erkenne Fabian in dessen Mittelpunkt, der die Anderen dank seiner Körpergröße überragt.
Marly zerrt an seinem Hemd und ruft: „Lass gut sein, Fabi, das ist es nicht wert!“ Ich stolpere auf sie zu und bahne mir nun sehr viel aggressiver meinen Weg.
„Was ist hier los?“ Marly wendet den Blick zu mir und in diesem kleinen Augenblick der Unachtsamkeit entgleitet ihr der Zipfel von Fabians Hemd, der seinen freien Arm dazu nutzt, um dem Typen neben ihm eine in die Fresse zu schlagen. Dieser geht in einer Art Fußballdramatik zu Boden, sein Arm schützend vor seinem Gesicht.
„Fabian!“, schreit Marly empört.
„Ey, Alter, was stimmt nicht mit dir?!“, schreie ich Fabian an. Aber der nimmt weder mich noch Marly wahr, denn die Prügelei ist nun in vollem Gang. Ich ziehe Marly aus der Menge, welche sich erst zaghaft wehrt, dann jedoch meine Hilfe zulässt.
„Marly, was geht hier ab?“ Ich umklammere mit meinen Händen ihre Schulter, sodass sie sich auf mich konzentrieren muss.
Marly zögert, dann stottert sie los. „Ich weiß auch nicht, der Typ hat Fabi blöd angemacht.“
„Wie, blöd angemacht?“
„Keine Ahnung. Der hat irgendwas zu ihm gesagt.“
„Und da kloppt er dann los?“ Ich bin fassungslos. Da schwebte ich im siebten Himmel und dann werde ich wieder so hart auf den nackten Boden der Tatsachen geworfen, dass mir übel wird.
„Na ja, nicht sofort. Sie haben sich vorher ein Wortduell geliefert. Und wurden dann immer lauter.“ Marly wirkt unsicher. Ihre Augen blicken resigniert auf den Boden.
„Marly, der Typ spinnt. Der ist voll gewaltbereit. Scheißegal was der andere Typ zu ihm gesagt hat, das ist einfach ein beklopptes Verhalten!“ Ich merke, dass dieser Satz im wahrsten Sinne des Wortes zutrifft, als ich die kloppende Meute beobachte.
Die Türsteher sind mittlerweile zur Hilfe geeilt und ziehen die Kontrahenten auseinander. Ich erblicke Johannes aus dem Augenwinkel, der mit all seiner Kraft den vor Wut schäumenden Fabian zurückhält.
„Ich geh da jetzt hin“, murmelt Marly und dreht sich von mir ab.
„Du spinnst ja!“
Als ich Marly durch die entsetzten Gaffer hindurch in Richtung Tumult verschwinden sehe, eile ich schnurstracks zur Garderobe. Es reicht mir. Ich habe genug gesehen. Nichts wie weg hier!
Ich komme schnell dran, der Ansturm an Partygästen ist vorbei und für die meisten ist es noch zu früh, um wieder zu gehen. Aber ich bin froh, diesen Ort zu verlassen. Ich möchte nur noch in mein warmes Bett, mit einer Wärmflasche an den Füßen.
Unten kommt mir die eiskalte Luft entgegen und lässt meinen Atem gefrieren. Meine volle Blase erinnert mich wieder an ein dringendes Bedürfnis. Ich zögere keinen Augenblick und steige in das erste Taxi ein. „Bringen Sie mich nach Hause, so schnell es geht“, sage ich mit einem bestimmten Unterton, der keinen Zweifel offen lässt. Außer vielleicht, wo genau Zuhause sein soll.
4
„Bock auf Vögeln?!“
Ich schaue auf die Uhr. 3:22 Uhr. Ok, das Handy mit ins Bett zu nehmen, gehört nicht wirklich zur Schlafhygiene. Technische Geräte, Lichtquellen, Lärm, schweres Essen vor dem Zu-Bett-Gehen sowie eine zu hohe Arbeitsbelastung führen zu Einschlafproblemen. Nun gut, ich habe alles richtig gemacht, und konnte trotzdem nicht einschlafen. Und dann das Handy mit ins Bett genommen, um mich von der Einschlaf-App beruhigen zu lassen. Die Regengeräusche haben mich nach Stunden des Wachliegens in den Schlaf gewogen. Nur leider habe ich vergessen, das Scheiß-Ding auf lautlos zu stellen.
Kevin.
Mein unsolider, sprunghafter Kumpel mit gewissen Vorzügen. Friend with benefits sagt man dazu. Es ist unheimlich wichtig, für jede Art von Beziehung einen Namen zu finden, ohne dass in diesem Namen Beziehung drin vorkommt. Das könnte einander erdrücken und zu Verpflichtungen führen. Das will natürlich niemand. Wir wollen alle frei sein.
Bock auf Vögeln. Ich überlege kurz.
„Na du kleiner Ornithologe. Komm vorbei. Adresse kennst du ja“, tippe ich in mein Smartphone ein.
Wenn ich eh nicht einschlafe, kann ich die Zeit auch einigermaßen sinnvoll nutzen. Ich warte eine Zeitlang, aber es kommt keine Antwort. Na toll, denke ich, lohnt es sich jetzt, die Unterwäsche zu wechseln und die Augenringe abzudecken, oder nicht? Ich entscheide mich dafür, es für den Fall der Fälle einfach zu machen. Und quäle mich aus dem Bett. Es ist kalt außerhalb der Bettdecke. Ich schalte das Licht an, blinzle die Augen und öffne die Kommode. Ich gucke an mir herunter. Die Unterhose ist ok. Für Kevin. So extrem große Ansprüche stellt er nicht.
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