„Mit den richtigen Connections geht alles.“ Fabian steht mir gegenüber, er beugt sich ein wenig runter, ich muss meinen Kopf gewaltig in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können. Seine immense Körpergröße wirkt auf einmal bedrohlich auf mich.
„Was heißt das?“
Fabian zieht die Augen zu kleinen Spalten zusammen, sein Mund formt ein selbstverliebtes Grinsen und man erkennt seine Grübchen, die Marly so liebt. „Das heißt, dass ich genug Einfluss habe, um mir meine Wünsche zu erfüllen.“
„Und natürlich meinem Darling.“ Er richtet sich auf und lächelt die etwas schwitzende Marly an, die im Türrahmen erscheint. „Komm her Süße, wir haben noch Stärkung für dich aufbewahrt.“
Ich frage mich, was ich denn hier mache, wenn die Herrschaften sich doch alles leisten können. Ein Umzugsunternehmen hätte die ganze Arbeit in viel weniger Zeit verrichtet.
„Marly wollte unbedingt den Umzug selber organisieren“, säuselt Fabian, als könnte dieser Wundermann auch noch Gedanken lesen, während Marly in seinen ausgestreckten rechten Arm schlüpft und mit beiden Händen seine Hüfte umklammert. „Mit unseren Freunden diesen wichtigen Schritt in unserem Leben teilen.“ Er lächelt und streicht ihr sanft über ihre Haare. Sie schmiegt sich an ihn wie eine Katze. Ich könnte kotzen.
Und doch grinse ich nur. Und habe zahlreiche Antworten auf den Lippen, denen es schwerfällt, nicht aus mir herauszuplatzen. Marly scheint die Anstrengung in meinem Gesicht wahrzunehmen, stellt sich aufrecht hin und schiebt Fabian ein wenig zur Seite.
„Ein Lob auf unsere vielen Umzugshelfer. Dank euch ist das große Haus in Null-Komma-Nichts mit all den wichtigen und unwichtigen Dingen in den schweren Kartons bestückt worden. Und wir können unseren neuen Lebensabschnitt mit euch feiern, ein gemeinsames Zuhause. Mir war es unheimlich wichtig, euch dabei zu haben. Ich schlage vor, wir vertagen das Ausräumen auf einen anderen Tag und feiern jetzt erstmal ordentlich. Auf euch, unsere Freunde!“ Sie hebt ihr Glas und blickt in die Runde. Als ihre Augen auf ihrer Mutter verweilen, fügt sie hastig hinzu: „Und meine liebe Mutter!“
Alle lächeln sie an. Marly hat mit ihrer charmanten Art ihr ganzes Publikum verzaubert. Wir heben in Gleichklang unsere Gläser und prosten dem perfektesten Paar aller Zeiten zu.
„Der Kühlschrank ist voll. Champagner, Cuba, Jägermeister oder das kühle Pils. Was ihr wollt! Bedient euch!“, ruft Fabian und öffnet mit einem überschwänglichen Griff den prall gefüllten Kühlschrank. Na immerhin, denke ich. Dann kann ich mir diese tolle Umzugsparty wenigstens ein bisschen schön saufen. Und das mit Champagner, das kommt auch nicht alle Tage vor.
„Komm ich zeig dir das Haus“, grinst Marly mich an. Ich bin vom Pils zum Champagner umgeschwenkt und so stehen wir beide mit unseren Champagnergläsern in der großzügigen Küche. Wir sind wie eine kleine Insel unter all den hippen und erfolgreichen Freunden von Fabian.
„Gerne“, sage ich und bin froh, nicht weiter Smalltalk führen zu müssen.
„Die untere Ebene hast du ja schon gesehen, lass uns mal nach oben gehen.“
Ich folge ihr wie ein treudoofer Hund. Das obere Stockwerk ist durch eine großzügige Treppe mit dem unteren verbunden.
„Oh, die ist aber steil“, keuche ich nach ein paar Stufen.
„Man gewöhnt sich daran“, lächelt Marly. „Du bist nur nicht im Training!“
„Da magst du ausnahmsweise Recht haben.“
„Ey, ich habe fast immer Recht!“
Das finde ich zwar nicht, aber ich halte meinen Mund. Wie so oft in letzter Zeit, wenn es um Marly geht.
„Wir haben eine tolle Idee, damit diese lange Treppe nicht so einsam wirkt.“ Marly bleibt auf der Hälfte der Treppe stehen und ich bin froh über die Verschnaufpause.
„Oh ja, ein wenig Leben könnte diese Mördertreppe schon vertragen“, witzle ich.
Marly ignoriert meine flapsige Bemerkung und sprudelt weiter. „Und zwar, bald ist ja Weihnachten, und da dachten wir uns, wir machen jedes Jahr zu Weihnachten ein Foto von uns. So richtig professionell. So können wir jedes Jahr sehen, wie wir uns entwickelt haben. Wir haben eine Momentaufnahme von genau dem exakten Tag, immer ein Jahr später. Wenn wir alt und grau sind, lachen wir darüber, wie wir vor 30 Jahren ausgesehen haben!“ Sie lacht auch jetzt.
„Oh ha, 30 Fotos, das wird schon ein wenig eng.“ Ich finde die Idee merkwürdig. Wieso sucht man sich gerade Weihnachten als regelmäßigen Fototermin aus? Weihnachten ist so ein nichtssagendes Fest, wenn man nicht gläubig ist. Und das bin ich nicht. Und Marly auch nicht.
„Ach, die Treppe ist ja lang und die Wand hat eine große Fläche.“ Sie zieht ihre rechte Oberlippe zu einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zusammen. „Weißt du, Fabians Eltern haben auch so eine Galerie, und als wir im letzten Jahr dort waren, kamen wir auf das Foto mit drauf. Es war schon echt interessant, wie sie aussahen, als sie noch jung waren. Seine Mutter war so hübsch. Sie ist es immer noch. Und ich bin froh, jetzt auch ein Teil dieser Galerie zu sein.“
Ich erinnere mich an letztes Jahr. Marly hatte mit Fabian seine Eltern in München besucht, und war begeistert über den Familienzusammenhalt.
„Na dann ist es ja so eine Art Familientradition“, murmle ich. „Ich glaube, ich würde einen anderen Tag für solche Fotos nehmen. Einen zufälligen Tag. Einfach irgendeinen, das verwirrt alle Leute und man hat seinen Spaß in die verdutzten Gesichter zu gucken“.
„Typisch Sasha. Hauptsache nicht so wie alle.“
Soll das jetzt ein Kompliment oder Kritik sein? Ich entscheide mich für Ersteres.
„So komm, auf geht’s in unser Schlafzimmer!“
„Oh, so eine Einladung bekomme ich nicht alle Tage!“
Marly öffnet die erste Tür nach der langen Treppe mit einem zufriedenen Grinsen und einer ausladenden Geste. Ich bin beeindruckt. Das Schlafzimmer ist riesig.
„Nebenan ist das Badezimmer.“ Das zweite Badezimmer, selbstverständlich. Damit man sich nicht die langen Treppen herunterbequemen muss, sollte man einmal nachts auf Klo müssen. Auch das Badezimmer ist riesig und modern ausgestattet, in unauffälligen Grau- und Blautönen.
„Das gefällt mir“, sage ich. Ich bin neidisch. So viel Luxus übersteigt mein Budget um einiges.
„Und hier oben gibt es noch ein Wohnzimmer, ein Zimmer für mich und eins für Fabian. Und natürlich den großzügigen Balkon.“
„Was wollt ihr denn mit so vielen Zimmern? Und wer macht das alles sauber?“ Manchmal bin ich doch sehr pragmatisch orientiert.
„Na, wir planen ja nicht, auf Ewigkeit alleine zu bleiben. Und Fabians Putzfrau soll natürlich mit dem Umzug nicht arbeitslos werden!“ Sie strahlt wie eine Atombombe. Ich denke an das Video zu Black Hole Sun.
„Ach, wie praktisch!“ Ich muss zugeben, es scheint perfekt. Auf einmal hat Marly alles. Einen Mann, den sie liebt, auch wenn ich denke, dass er ein Arschloch ist, eine große Wohnung, Luxus, keine Geldsorgen mehr und eine neue Familie. Ist das der Neid, der aus all meinen sarkastischen Bemerkungen herausblitzt? Oder ist diese Skepsis wirklich begründet? Werde ich meine Freundin verlieren, jetzt wo unsere Leben so verschiedene Verläufe annehmen? Oder bietet diese Veränderung eine Chance, meinen Horizont zu erweitern?
Wer weiß, vielleicht werden mir noch die Augen geöffnet, was seine charmanten Seiten angeht. Und Fabian und ich werden beste Freunde.
„Darling, bist du da oben? Deine Mutter will sich verabschieden!“ Fabian steht am Treppenabsatz und reißt mich aus meinen so wohlwollenden Gedanken. Schlechtes Timing.
„Ja, wir kommen.“
Ich stapfe Marly hinterher, zurück in die Küche. Marlys Mutter steht schon fertig gekleidet im Flur. Marly und ihre Mutter umarmen sich, Marly bedankt sich tausendfach und ich überlege, ob ich die Gelegenheit nutze, um mich ebenfalls zu verabschieden.
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