Wiebke Hein
Bleicher Jasmin
Ein Peking Krimi
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Wiebke Hein Bleicher Jasmin Ein Peking Krimi Dieses ebook wurde erstellt bei
Auftakt
Spätsommer in Peking
Der tiefe Schlaf
Reise ins Paradies
Ein letztes Bad
Ein fulminanter Ferienauftakt
Ein neuer Tag bricht an
Familientag auf der Großen Mauer
Die kalte Meerjungfrau
Kleine Schrammen
Abtauchen und baumeln lassen
Rückkehr und Kehrtwende
Heimsuchungen
Alleingelassen
Die Geister, die ich rief...
Bewegung
Ein Spaziergang im Park
Alleingang
Ausgang
Ausruhen
Zusammentreffen
Im Dunkeln tappen
Danksagungen
Impressum neobooks
Wiebke Hein
Bleicher Jasmin: Ein Peking Krimi
Peking, China
Selbstverlag
Überarbeitete Auflage, 2016
Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bleicher Jasmin
Ein Peking Krimi
Wiebke Hein
China 2015
Abfertigung
Ruth dröhnte der Kopf. Wie war sie hierher gelangt? Wo war das eigentlich? Es war furchtbar laut. Das mussten Maschinen sein, die so rumpelten. Erkennen konnte sie im Zwielicht kaum etwas. Nur von ganz weit oben drang trübes Licht in den kleinen Raum. Ruth fasste sich an ihren schmerzenden Schädel. Sie befühlte ihre mächtige Beule am Hinterkopf.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie hierher gekommen war. Aber sie erinnerte sich noch gut an die tote Frau. Und an Helen, mit der sie über das gefährliche Leben der Entsandten und Verbannten gelacht hatte. Helen, ob die ihr wohl helfen konnte? Erneut überkam sie ein unruhiger Schlaf.
***
Ankunft
Sie standen am Gepäckband und warteten. Die beiden Kinder zerrten und hingen am Kofferwagen. Genervt trat Paul seine Schwester und Heide jaulte lautstark auf. Ihr Vater hatte schon längst weder Ideen mehr für lustige Spiele noch Energie zum Schlichten. Die anderen, adrett gekleideten Passagiere guckten mit hochgezogenen Augenbrauen auf ihre ungezogenen Kinder. Nur Helen starrte weiter frustriert auf das Kofferkarussell. Es wurden immer weniger Koffer, aber ihre waren nicht dabei. Dieser Flughafen sollte weltweit die zweitmeisten Passagiere umsetzen. Alle wollten nach China, nach Peking oder wieder weg von dort. Sie wollte einfach nur ihre Koffer.
Wenn man den Glückskeksen aus den Chinarestaurants glauben konnte, hatten die Chinesen ja für jede Gelegenheit ein Sprichwort. Gab es eines wie “Ziehst Du nach China und Deine Koffer sind weg, hast du einen aufregenden Neuanfang”?
Erst einmal war Helen nicht sehr begeistert gewesen von der Idee, zwei Jahre lang in Peking zu leben. Robert sollte einen prima Job mit dickem Gehalt und aufregenden Perspektiven annehmen. Sie hatte keine rechte Vorstellung von China. In den heimischen Nachrichten gab es ja ständig Meldungen über den Smog, den Verkehrskollaps, die Umweltverschmutzung, die Menschenrechtsverletzungen und andere dunkle Facetten des aufstrebenden Riesen.
Wenn man dann das Programm wechselte, konnte man Reisereportagen bestaunen, wo Leute mit grauen Haaren und weißen Socken in bequemen Sandalen durch endlose Tempel trabten oder die Große Mauer hinaufkeuchten. Dazu unvermeidlich: meditative Standbilder auf weite Flüsse, bei denen eine Stimme aus dem Off zu leiernder Musik über die lange Geschichte, das vielfältige Essen und die fremde Kultur Chinas dozierte. Helen wusste nicht genau, wovor ihr mehr grauste.
Trotzdem hatte sie dem Umzug zugestimmt: Alle Nachbarn, alte Tanten und engagierte Frauen aus der Krabbelgruppe hatten ihr sofort abgeraten. Das wiederum hatte die Sache für sie interessant gemacht. Die Kinder waren jung, da musste man noch nicht an die Vorbereitungen für das Abitur denken. Mit ihrem Job war sie zufrieden, aber der würde auch noch in zwei Jahren auf sie warten, hatte ihre Chefin zugesagt. Asthma hatten sie bisher keines, da gab es eigentlich keine Gründe mehr, abzusagen. Und wollten sie nicht immer schon mehr Abenteuer erleben?
Jetzt schien sich ihr erstes Abenteuer anzubahnen und gleich war sie unzufrieden. Helen riss sich zusammen und suchte nach dem Gepäckschalter. Da hörte sie hinter sich: “Mama, ich hab die blaue Tasche zuerst gesehen!” Wer sagt es denn, man kann sich auch über die einfachen Dinge im Leben plötzlich richtig freuen: Hinter einem großen Berg Koffer lächelte Robert triumphierend und bugsierte sie alle zum Ausgang.
Als Helen die bunten Vorhänge mit viel Schwung und einem anfeuerndem “Guten Morgen, Zeit für die Schule!” zurückzog, zeigte sich Peking von seiner besten Seite. Stahlblau ohne Dunst oder Wolken hing der Himmel über den großen Häusern ihrer Straße. Die Blätter des Gingko vor dem Fenster wiegten sich sacht im Herbstwind. Der dicke Fahrer von gegenüber war dabei, die silberne Limousine abzureiben.
Paul blinzelte schläfrig gegen die goldenen Sonnenstrahlen, die ihn aus dem Bett scheuchen sollten. Heide zog sich ihr geblümtes Kissen über das Gesicht. Es war Montag und das gefiel Helen richtig gut. Gleich wären die Kinder in der Schule und Robert in seinem Büro und damit wäre sie nicht mehr für jedes Gezanke zuständig und für die nächsten fünf Stunden würde niemand von ihr Snacks oder Mittagessen erwarten.
Inzwischen waren schon zwei Jahre in Peking vergangen und sie waren immer noch da. Die Kinder hatten sich gut eingefunden, die Privatschule war fantastisch. Robert hatte ein neues wichtiges Projekt übertragen bekommen und so hatten sie noch für ein Jahr verlängert. Ihr altes Leben in Deutschland schien schon unwirklich weit weg.
Als dann eine knappe Stunde und einiges Gezeter später, “Mama, die Socken kratzen so schrecklich!”, “Mama, Paul hat meinen Rock versteckt!”, die Schuluniformen angezogen sowie die Zähne geputzt waren, und auch Heide ihre rosa Wasserflasche unter dem Sofa wiedergefunden hatte, konnte sie mit den Kindern in die Schule radeln.
Auf dem Weg zum großen Tor ihrer Wohnanlage trafen sie schon die nachbarlichen Schulkameraden mit ihren Muttis. In den wenigsten ausländischen Familien hier arbeiteten beide Eltern. Es war überaus aufwendig, schon alleine wegen des Visums, für beide Elternteile einen Job in China zu finden und so hatte es sich bei vielen ergeben, dass nur ein Partner arbeitete. Vor allem bei denen mit kleineren Kindern, blieben meistens die Frauen zu Hause. Die gelebte Idylle einer bayerischen Partei: Mama mit den Kindern daheim, während Papa hart für den Welthandel arbeitet. Und dass obwohl viele von den Frauen davor respektable Karrieren hatten.
An der Ampel warteten fünf geduldige Männer mit neongelben Helmen und Warnwesten auf die Grünphase. Deren Aufgabe war, alle sicher über die Fußgängerampel zu geleiten. Als sie das Aufgebot zum ersten Mal erblickte, hatte Helen gedacht, sie sieht nicht richtig. Aber nun wusste sie, dass ohne die Schülerlotsen die Schüler bestimmt bald Mangelware an der Schule wären. Eine rote Ampel hielt die wenigsten Autofahrer in den dicken Limousinen davon ab, sich noch schnell vor den Schulkindern über die Kreuzung zu drücken.
“Hallo Lisa! Wie war Dein Wochenende?” Ihre Kinder rollten mit den Augen. Das war das allerletzte, wenn die Mütter mit dem Quatschen anfingen. Kaum waren sie über der Straße, rannten die Kinder mit ihren Freunden schon mal los und sie ging mit Lisa gemächlich hinterher.
Lisa stand heute Morgen schon wieder wie aus dem Ei gepellt vor ihr. Die langen schwarzen Haare ordentlich geföhnt und sogar Make-up aufgelegt. Verlegen hielt Helen die Wasserflasche etwas höher, damit man wenigstens den Zahnpastafleck auf ihrem verwaschenen T-Shirt nicht sah.
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