„So, jetzt gehen wir noch in die Stadt!“ Fabian klatscht in die Hände und erntet reihenweise Zustimmung von seiner Zuhörerschaft.
„Ihr seid alle eingeladen auf ein paar Kaltgetränke!“, strahlt Marly.
Toll, Zeitpunkt verpasst. Ich ärgere mich etwas, doch dann kommt mir mein eben gefasster Entschluss in den Sinn, das traute Paar näher kennenzulernen und vielleicht meine Meinung über ihre Beziehung zu revidieren.
„Bin dabei!“
„Super, Sasha. Wo wollen wir denn hin?“
„Ich schlage mal vor, wir feiern im Soho-Club. Da haben wir einen super Ausblick über die Stadt. Und vielleicht treffen wir auch den ein oder anderen Fußballer.“ Fabian zwinkert mir zu. Als wäre ein Verkupplungsversuch seinerseits mein sehnlichster Wunsch. Wirklich begeistert bin ich allerdings von seinem Vorschlag nicht. Mir wäre ein einfaches Bierchen im Viertel lieber. Die Überseestadt ist nicht mein Revier. Zu viele arrogante Snobs.
„Cool“, höre ich mich sagen. Na toll, super gemacht Sasha.
„Ich freu mich. Dann machen wir uns kurz fertig, und dann geht es los. Kannst du das Taxi für 9 Uhr bestellen, Fabi?“
„Wie, wir brauchen doch keine halbe Stunde, um uns die Haare zu kämmen“, protestiere ich.
„Wir müssen noch ein wenig was an unseren Outfits verändern, so lassen die uns da nicht rein.“
„Wieso, was stimmt denn nicht mit uns?“ Ich gucke an mir runter. Klar, das sind jetzt nicht meine besten Klamotten, aber ganz so schmuddelig sehe ich nicht aus. Pullover, Jeans, Turnschuhe. Ganz normales Outfit.
„Komm, Sasha, wir durchwühlen mal meine Klamotten, du müsstest in meine Kleider passen. Du hast Schuhgröße 39 oder?“
„Ja, immer noch.“
„Wir finden schon was Feines.“ Marly nimmt mich an die Hand und zieht mich in Richtung Treppe. Nicht schon wieder diese ewig endlosen Stufen! Hätten die sich nicht auch noch einen Aufzug einbauen lassen können?
„Ok Jungs, wir treffen uns dann um halb zehn im Soho-Club“, höre ich Fabian rufen, bevor wir in ihrem großzügigen Schlafzimmer verschwinden.
Marly wühlt in einem der Kartons und wirbelt dabei ein paar Kleider auf den Boden, die ich noch nie zuvor bei ihr gesehen habe.
„Ich wusste gar nicht, dass du so viele Kleider besitzt.“
„Einige von denen sind auch brandneu. Guck mal, das hier könnte dir stehen.“ Sie hat ein silbernes Cocktailkleid aus dem Karton gefischt, das elegant wirkt.
„Gib mal her.“ Ich ziehe meine Jeans aus und schlüpfe in die ungewohnte Garderobe. Es passt, ich sehe aus wie eine feine Dame, denke ich, als ich mich in dem angelehnten Spiegel betrachte. Nur die störrischen roten Locken geben meiner Erscheinung einen wilden Touch.
„Perfekt“, quietscht Marly. Ich lächle. Ich wusste gar nicht, was so ein Kleid aus mir machen kann.
„Hier, zieh mal die Schuhe an.“ Marly reicht mir dazu passende silberne elegante Pumps mit einem leichten Absatz. Ich kann einigermaßen mit ihnen laufen und bin froh darüber.
Marly selber ist jetzt ganz in Schwarz gekleidet. Ihr Kleid hat einen tiefen Ausschnitt und ihre Schuhe sind um einiges höher als meine.
„Wow, Marly, bist du hübsch“, entwischt es mir.
„Danke“. Sie ist ein wenig rot im Gesicht geworden. Aber auch dieser Teint steht ihr.
„Seid ihr soweit?“, ruft es von unten.
„Gleich, nur noch kurz schminken.“
„Ich glaube das reicht so, Marly“. Mir ist diese Veränderung schon genug, da muss sich nicht auch noch mein Gesicht anpinseln.
„Keine Angst, ganz dezent.“ Marly schleift mich in das obere Badezimmer. Ihre Schminkutensilien haben schon ihren Platz in dem großen Badezimmerschrank gefunden. Man muss eben Prioritäten setzen.
Meine Überraschung über Marlys Makeup-Künste ist groß. Der Blick in den Spiegel, nachdem sie Hand an mein Gesicht gelegt hat, lässt mich in die Augen einer hübschen, eleganten jungen Frau blicken.
„Oh, ich wusste gar nicht, was so ein bisschen Makeup aus einem Menschen machen kann.“
„Es unterstreicht nur unsere natürliche Schönheit!“, antwortet Marly. Natürlich, na ja, so komme ich mir momentan nicht wirklich vor. Eher verkleidet. Aber ich finde Gefallen an dieser Verkleidung und spüre eine angenehme Vorfreude auf die für mich ungewöhnliche Abendveranstaltung.
„Ok, dann lass uns mal den Abend in Angriff nehmen!“, sage ich.
Wir gehen die Treppe hinunter, ich ein wenig langsamer als sie, da ich mich erst an das Laufen in den ungewohnten Schuhen gewöhnen muss.
Wir lassen uns mit einem Taxi in die Überseestadt karren. In einem Kleid ist Fahrradfahren wahrscheinlich nicht die beste Option. Gerade bei den draußen herrschenden unterkühlten Temperaturen.
Der Soho-Club befindet sich im fünften Stock. Natürlich besitzt das Gebäude einen Fahrstuhl. Als wir ankommen, sind wir Zeugen einer hitzigen Diskussion eines türkisch aussehenden jungen Mannes und den zwei Türstehern, beide bullige Typen, der eine glatzköpfig, der andere mit kurz rasierten Haaren. Klischeetürsteher, denke ich.
„Das hat nichts mit Rassismus zu tun, ich habe dir doch gesagt, wir haben hier Einlassstopp, der Laden platzt aus allen Nähten!“, äußert sich der Glatzköpfige.
„Ich kann hier keinen übervollen Laden erkennen! Ihr hört von meinem Anwalt!“ Der junge Mann ballt seine Hand zu einer Faust und bewegt sich wutentbrannt in Richtung Fahrstuhl. Die Türsteher schauen ihm mit eiserner Miene hinterher.
„Ah, Herr Cordes, schön Sie zu sehen. Und was haben Sie heute für bezaubernde Begleitungen mitgebracht!“ Der rasierte Typ hat uns erspäht und lässt uns eine Exklusivbehandlung zuteil kommen.
Fabian zieht seine Mundwinkel zu einer Art Lachen zusammen. „Ja, heute sind es gleich zwei bezaubernde Ladies.“
Pah, von so einem Kotzbrocken als bezaubernde Lady betitelt zu werden, hebt nicht gerade meine Laune. Was für ein elitäres Gehabe. Ich wünsche mich in meinem Wohlfühloutfit ins Viertel, mit einer Marly, die sich nichts aus Oberklassengehabe macht und mit mir um die Häuser zieht.
Ich scanne die Partymeute nach bekannten Menschen, doch es wundert mich nicht, dass mir keines der zum Teil grotesk geschminkten Gesichter bekannt vorkommt. Der Club ist nicht wirklich überfüllt, entgegen der Behauptung des Türstehers. Das Interieur ist elegant gehalten, das lilafarbene Licht gibt der Atmosphäre etwas Verzaubertes. Aus der Anlage dröhnt billiger Elektropop.
Fabians guter Kumpel Johannes winkt uns herüber. Er sitzt mit einer Gruppe junger Männer und zwei Mädels an der Theke. Ich erkenne drei der weiteren Umzugshelfer, die zwei anderen Typen und die Mädels sind mir unbekannt. Fabian begrüßt sie alle überschwänglich mit einer Umarmung und die Frauen mit einem Bussi links und rechts. Als Johannes mir eine Umarmung anbietet, springe ich über meinen Schatten und lasse ihn gewähren.
„Wow, was für eine Lady! Gut siehst du aus!“
„Danke, du auch.“
Komplimente bekommen und verteilen ist nicht unbedingt mein Metier.
„Was willst du trinken?“
„Champagner“, sage ich scherzhaft. Johannes winkt sofort einen der Barkeeper heran. „Champagner für die Dame, bitte!“
Ich habe vergessen, dass ich mich hier in anderen Kreisen bewege als sonst.
Das Glas wird vor mir auf der Theke platziert und ich bin froh darüber, mich ab und zu mit dem Nibbeln an dem Champagnerglas zu beschäftigen. Ich komme mir vor wie eine unschuldige Schönheit vom Lande, die zum ersten Mal das Nachtleben schnuppert.
„Warst du schon einmal hier?“
„Nee, noch nie.“
„Na dann wird es ja mal Zeit.“
Das bezweifle ich.
„Mir gefällt das Lila.“ Mann, was für ein bescheuerter Satz, der da aus mir herauskriecht.
„Und die Aussicht erst, hast du sie schon genossen?“
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