„Aber Kommandeur! Wenn wir diesen Shuttle nun einfach spurlos verschwunden sein lassen?“
Aru deutete durch das Fenster der Kommandobrücke auf den Schauplatz. „Da schwimmen sie noch. Sie werden sie jetzt auf der Flucht erschießen lassen, Kommandeur? Noch bevor sie fliehen können? Das geht viel diskreter und schneller, als sie groß jagen und aburteilen zu lassen!“
Sarkindu Sarjowärs Mimik verdüsterte sich schlagartig. „Herr Aru! Ich werde die beiden Erzsucher weder abschießen noch sie ersaufen lassen! Wir nehmen sie fest.“
Er wandte sich seinem Adjutanten zu.
„Hauptmann, ziehen sie die Beiden aus dem Gewässer und nehmen sie sie fest!“
Der diensteifrige Hauptmann blickte ihn mit aufgerissenen Augen an. „Bitte, Herr Kommandeur?“
„Festnehmen! Nicht erschießen! Das war ein Befehl!“
„Jawohl, Herr Kapitänskommandeur!“
„Augenblicklich!“
Der Hauptmann entschwand, ließ die Erzsucher aus dem Wasser fischen.
Sarkindu Sarjowär begab sich zu Steuerpult, setzte sich und befehligte einen Fähnrich. Arus Einwände ignorierte er.
''Ändern sie unsere Position so, dass die Erzsucher aufgenommen werden können! Verhaften! Und dann fertig machen zum Rückflug ins Hauptquartier!“
Generalstabs-Kapitänskommandeur h. c. Sarfazzu Sarjowär verschluckte sich an den Rahm-Ravrokylkörnern so heftig, dass ihm das Armbanddisplay vom Handgelenk rutschte. Er blickte aus dem Brückenfenster des Cockpits und staunte nicht schlecht, als er die Holofunkmail zur Kenntnis genommen hatte. Nun musste er sich ersteinmal setzten. Die kaiserliche Regierung ordnete auf Grund eines diplomatischen Abkommens an, die beiden im Grenzgebiet festgenommenen, cisnairschen Staatsbürger direkt auf freien Fuß zu setzen. Die Spionageabwehr von Sarkar befasse sich nicht mit zivilen Mineraliensammlern. Kommandeur Sarjowär wurde zudem für sein korrektes Verhalten gelobt.
Tüngör und Gugay waren lange verhört worden. Zum Glück hatte er Gugay nichts von seiner Mission erzählt. Und es hatte Tüngör geholfen, dass er im Unterschied zu Tüngör sarkarisch verstand. Er gab sich als Arbeit suchender Gastarbeiter aus, der Gugay nur begleitet hatte, und zeigte seine alte Arbeitserlaubnis für sarkarische Firmen. Der Übersetzer hatte sie immer wieder über ihre Erzraubpläne befragt, doch als kleiner Stiefbruder eines wohlbekannten „Mineraliensammlers“ war er den Sarkariern nicht verdächtig erschienen, auch nicht, als sich das cisnairsche Konsulat dann mit dem entsprechenden Freilassungsgesuch an Kommandeur Sarjowär wandte. Gugay bekam für den versuchten Erzraub zwar ein Einreiseverbot und Tüngör war seine Arbeitserlaubnis los, aber ein Aufenthalt im Straflager blieb ihnen nun erspart. Die illegalen Mineraliensammler mussten versprechen, ihren Erzfund nicht weiter zu publizieren, doch ansonsten durften sie – mit einer offiziellen Ausweisung bedacht – gehen.
Tüngörs falsche Identität als Arbeit suchender sarkarischer Gastarbeiter hielt. Tüngör’s eigentlicher Arbeitgeber hatte natürlich von der Festnahme erfahren – und auf diplomatischem Wege die Freilassung der cisnairschen Staatsbürger erreicht – im Tausch gegen das Versprechen, dass die Lithiumerzfunde nicht veröffentlicht werden. Die Aggregate aus Amblygonit-Erz im Naturschutzreservat waren gewöhnlichen Quarzkristallen optisch ohnehin so ähnlich, dass mit weiteren Erzsuchern nicht zu rechnen war. Nur gewiefte Mineralogen konnten es durch Flammfärbung oder durch umständliches Lösen in Säure mit anschließender Phosphatfällung identifizieren. Und die anderen Lithiumerze lagen schließlich so tief in den kaum zugänglichen Urwäldern des Kaisers, dass wohl auch dort kaum wieder Erzräuber hinkommen würden – trotz ihrer Begehrtheit als Rohstoffe für Ionenakkus, Shuttle- und Raketentreibstoffe oder die Fusionsreaktoren im Orbit (Selbst Malalos Shuttle flog mit Li-Bioethanol A und B geflogen, das gelöstes Lithiumhydrid bzw. Lithiumperchlorat enthielt).
„Na siehste!?“, triumphierte Gugay, als die Sarkarier ihnen ihre Freilassung ankündigten, „Die können uns garnix, wir sind freie Cisnairi!“
Als Gugay Fiscaux mit seinem jungen Stiefbruder die Grenze passieren und in die cisnairschen Wälder bei Clénairville zurückkehren, erwartete ihre Schwester Nachwuchs. Das Nest war schon gebaut. Tüngör wollte ihr gerade bei den langsam mühsam werdenden, täglichen Geschäften helfen, da erreichte ihn eine verschlüsselte Nachricht der RAGA auf dem Display.
„Unsere Kryptologen haben in verborgenem Anhang der Joséfien-Datei Hinweise entdeckt auf eine sarkarische Kryptodatei mit Lithiumerz-Abbauplänen für den Mobilmachungsfall – inklusive mögliche Konstruktion von Li-Fusionsbomben. Kopie liegt auf Server bei Gouverneur Aru. Muss besorgt werden. Trojanerchip dazu bei mir abzuholen. Treffen uns auf Jubiläumsfeier. Jenis.“
Tüngör überredete Gugay somit, mit ihm nach Monastair zu fliegen. Die Aussicht auf mögliche Geschäftskontakte ersten Ranges dort war ein schlagkräftiges Argument – obwohl Gugay offizielle Feierlichkeiten hasste. Noch dazu, wenn es um Großereignisse ging!
Zwei Puntirjandays später waren sie in Monastair. Als sich der republikanische Kaiser von Monastair erhob, ging ein Raunen durch die Menge. Von der Empore des Domus-Tempels aus beobachtete er die Bedeckung Wemurs durch den Wemuriel, betete und das Volk verstummte. Stern- und Mondfinsternisse waren keine Seltenheit im Wemursystem, dessen Planeten fast ausschließlich in der Ekliptik lagen und von denen gleich zwei bewohnbar sind. Dieses Mal jedoch fiel das Transitereignis auch noch auf das religiöse Jubiläum der I.P.O.-Kalendereinführung.
Langsam schob sich Wemuriel, einer der beiden Puntirjanmonde, vor das Antlitz Wemurs, der Sonne von Puntirjan. Ein schwarzer Schatten raste über die Wolkenfelder vor den Hügeln heran, auf dem Domus, der Tempel des priesterlichen Hochkaisers stand. Dann wurde es dunkel. Die Flugechsen, Vögel und Vogelmenschen verstummten. Wein kalter Wind kam auf und es kühlte merklich ab. Die Phase der Totalität hatte eingesetzt.
Schweigend betrachtete die Menge das himmlische Schauspiel. Die Korona erstrahlte am Firmament, und man sah den Nachbarplaneten erstrahlen, der – eine weitere Besonderheit dieses Planetensystems – ebenfalls in der bewohnbaren Zone des Zentralgestirns kreiste. Mikroben- und Pilz-Stämme hatten ihn bevölkert, bevor die ersten puntirjanischen Kosmonauten dort gelandet waren, und dann hatte man ihn kolonisiert. Damals entstand die Sariah-Sage, der Traum von der bewohnbaren Neuen Welt jenseits des Planetensystems von Wemur.
Am Horizont wurde es wieder hell. Das Licht schoss auf den Tempelberg zu, und der Gesang der Vögel setzte wieder ein. Wemuriel verschob sich, so dass die Korona verschwand, und die Sichel Wemurs erschien.
Der Kaiser erhob seine Hände, deutete dann zum Himmel und sprach ein Lob des Schöpfers aus.
„Gawar Elohím josefim! Anachnu hallelím attím!“ sang das Volk jubelnd. Es stimmte den Großen Lobgesang an, den man nur an den höchsten Feiertagen im Tempel hörte, und der Kaiser antwortete mit dem prepstlichen Hochgebet, dem Großen Segen und der Abschluss-Ansprache an das Volk von Monastair.
„Brüder und Schwestern, Gemeinde von Monastair und Puntirjan!“, begann er vom Thron des Prepstus aus zu verkünden. „Wemuriel bedeckte Wemur erneut, und Puntirjan gedenkt des Anfangs der neuen Zeit – einer Zeit, in der unsere Zivilisation nach den Sternen greift, um sie dereinst zu besiedeln. Aus Altakol kam das Signal, dass es andere bewohnbare Welten gibt. Drei Annus ist es her, und die Zeit des Altakolia-Projektes begann, in der unsere Völker …“
„Bewohnbare Welten, Tüngör, was für ein Mist!“, krächzte Gugay. Er langweilte sich angesichts der langen Zeremonie, und sein Magen knurrte. „Genießbare Speisen, Tüngör, das wäre jetzt mein Anliegen, hier vor mir – und nicht Kolonisierungspläne ferner Welten.“
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