Hans Riedel und Edmund Krieger waren nach der ersten Auseinandersetzung mit Generaloberst a. D. Fritz Langsack doch schon erheblich verunsichert gewesen. Der Mann hatte sie ohne jegliche Art von Taktgefühl als Schwuchteln und Homos bezeichnet. Beide waren zwar scheele Blicke gewöhnt, aber noch nie hatte sie jemand so unflätig verbal attackiert. Die Italiener rechts neben ihnen waren da ganz anders. Offenbar immer gut gelaunt, verströmten die sieben Leute eine Lebensfreude, die den beiden sehr gut gefiel. Dass es nebenan öfter einmal laut zuging quittierten sie nur mit einem verständnisvollen Lächeln.
„Was hältst davon, dass wir die Stradivari einmal zum Grillen einladen, Edmund“ hatte Riedel seinen Partner eines Abends gefragt.
„Aber sehr gern Hans“ war die Antwort gewesen „ich liebe diese Lebensart, dieses unbeschwerte Herangehen an die Dinge. Leider gibt es in Deutschland ein ganz falsches Bild von Italien. Natürlich haben wir dort die Mafia, die korrupte Bürokratie, oder diesen Berlusconi. Aber das ist nicht das wahre Italien. Da sind die fleißigen und klugen Leute, die viel können und innovativ sind. Nicht so wie dieser ungehobelte Klotz links von uns.“
„Wer weiß, Edmund, vielleicht hat der Mann Schweres durchmachen müssen. Stell‘ dir bitte vor, er war in Afghanistan, und hat dort Schreckliches erleben müssen und ist seitdem traumatisiert. Was würdest du empfinden, wenn ein guter Freund neben dir stirbt, von Kugeln durchlöchert, oder von einer Granate zerrissen?“
„Bitte Hans, nicht diese brutalen Bilder! Ich wäre natürlich zutiefst betroffen. Ob man so etwas jemals verarbeiten kann, bezweifle ich. Nächte voller Alpträume, Gedankenwälzen, Schuldgefühle. Ich weiß ganz genau, was du meinst. Womöglich leidet der Mann am posttraumatischen Belastungssyndrom. Wir sollten seine Ausbrüche tolerieren, so wie es sich für zivilisierte Menschen geziemt.“
Die Stradivari hatten gern zugesagt und man sich für den Sonnabendabend verabredet. Salvatore Stradivari hatte es sich nicht nehmen lassen, etliches Fleisch, Antipasti und diverse andere Köstlichkeiten mitbringen zu wollen (er käme doch weit günstiger daran heran als sie), und seine Mutter, Angela Stradivari (die mittlerweile auch in Wildbach ansässig geworden war) würde alles zubereiten. Riedel und Krieger sollten die Getränke stellen. Gegen 19 Uhr wurde der Grill angeworfen.
In Wildbach herrschte keine eindeutige Windrichtung. Die meiste Zeit blies ein leichtes Lüftchen Richtung Wald. Manchmal drehte der Wind aber unverhofft, und die Luft strömte dann in Richtung der Wildbacher Straße. Das war heute Abend der Fall und hatte zur Folge, dass die Rauchschwaden des Grills vorerst über das Grundstück von Langsack zogen. Dieser erschien nach kurzer Zeit am Grundstückszaun und verbat sich die Belästigung. Salvatore Stradivari konnte gar nicht verstehen, was den Mann so auf die Palme brachte.
„Aber Herr Langsack“ hatte er freundlich lächelnd gesagt „so ein Duft von Grillgut ist doch genau richtig für so einen lauen Sommerabend, meinen Sie nicht auch?“
„Generaloberst Langsack“ hatte der pensionierte Offizier geknurrt, und sich dann nochmals über den Gestank beschwert.
In diesem Moment war die 84jährige Angela Stradivari auf den Plan getreten.
„Wisse gar nicht, was Manieren seien, junger Mann“ war sie Langsack angegangen „warum haben keine Freude an Leben, hä? Riechen nicht leckeres Grillzeug? Mussen auch mal haben Entspannung bei Vino sonst werden immer böser wenn alt sein. Was, seien nicht böse? Oh, doch, junger Mann! Immer beschweren wegen irgendwas und rumbrüllen. Sind hier nicht bei Militär! Was, seien erfolgreicher Offizier gewesen? Na und? Mein Papa großer Offizier bei Duce Mussolini gewesen und eine Menge Orden bekommen und nach Krieg dann in Generalstab neuer Armee gearbeitet. Soll zeigen Foto von Papa? Nicht sehen wollen, junger Mann? Seien ignoranter böser junger Mann, der nicht Spaß hat am Leben! Warum immer so verbissen sein, hä? Kommen doch zu uns rüber und trinken Vino und esse eine Grillwurst. Mein Bambini Salvatore guter Koch und ganz leckere Sachen gemacht. Was? Wolle nicht esse italienische Sachen? Dann jetzt endlich abhauen, böser junger Mann!“
Langsack war vor der Sprachkanonade und vor sich hin fluchend geflüchtet, und hatte die Fenster seines Hauses zu gekracht.
Professor Dai Kanegawa war eigentlich ein beherrschter und zurückhaltender Mann, der Streit noch nie als Problemlösungsmittel angesehen hatte. Als gestern jedoch wieder ein Koi verschwunden war, und nur noch zwei in dem Teich schwammen, hatte sich ziemliche Wut in ihm aufgebaut. Da der oder die Täter immer nachts zugeschlagen hatten sann er nach einer Möglichkeit, den oder die Langfinger zu ertappen. Mit seiner wissenschaftlich begründeten Herangehensweise an die Dinge hatte er mehrere Alternativen ausgearbeitet. Die einfachste wäre, seinen Schlaf-Wach-Rhythmus zu tauschen, also tagsüber zu ruhen, und sich nachts auf die Lauer zu legen. Das hatte er aber schnell verworfen, denn das Muster der Diebstähle war nicht eindeutig zu strukturieren gewesen. Als der erste Koi abhandengekommen war hatte es zwei Tage gedauert, bis wieder einer weg war. Danach war eine Pause von 11 Tagen eingetreten. Nach diesem Raub waren 6 Tage vergangen, bis der Täter wieder zugegriffen hatte. Die darauf folgenden Fischzüge hatten einen Abstand von 2, und 8 Tagen, zu den jeweils vorangegangenen Ereignissen gehabt. Kanegawa schlussfolgerte, dass man ihn mit dieser mathematisch nicht zu begründenden Terminkette bewusst verwirren wollte. Es würde also keinen Sinn machen, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen.
Die zweite Alternative wäre, das Haus, wie es der bärbeißige Mann schräg gegenüber getan hatte, mit Überwachungskameras zu bestücken. Mit dem Mann war er schon einmal aneinander geraten, weil dieser sich lautstark über den Zigarrenqualm beschwert hatte, den Kanegawa beim Beobachten der Koi am Teich produziert hatte. Kanegawa war aber nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, sondern auch ein Ästhet. Er wagte sich gar nicht vorzustellen, wie die Überwachungskameras auf das Feng Shui wirken würden. Die Sache kam demzufolge überhaupt nicht in Frage.
Da Professor Dai Kanegawa davon ausging, dass der oder die Täter aus der Siedlung oder aus Wildbach stammen mussten, war er schließlich auf eine andere Idee gekommen. Ganz wohl war ihm dabei zwar nicht gewesen, aber er sah keine andere Möglichkeit. Der Japaner hatte sich zwar anstellungsmäßig aus der Wissenschaft zurückgezogen, aber privat forschte er unermüdlich weiter. Beim Kauf des Equipments hatte Kanegawa nicht auf den Cent gesehen und nur das Beste, was gegenwärtig zu haben war, gekauft. Da er immer umfangreiche Berechnungen ausführen musste war der Plan entstanden, mehrere Rechner in einem Netzwerk gemeinsam arbeiten zu lassen. Der Wissenschaftler hatte sich 6 Desktop PC gekauft. Die Besonderheit der Rechner war, dass sie jeweils über 8 Kerne verfügten und mit 4,0 GHz liefen. Die CPU konnten dazu noch auf bis zu 4,2 GHz übertaktet werden. Kanegawa stand demzufolge eine ordentliche Rechenpower zur Verfügung, die die Verarbeitung und Auswertung größerer Datenmengen erlauben würde. Der Japaner besaß neben seinen ausgeprägten analytischen Fähigkeiten auch ein besonderes Talent im Programmieren. Die Hardware lief bereits bestens, die Software musste er jetzt noch erstellen.
Professor Dai Kanegawa wollte ein Programm schreiben, mit dessen Hilfe er die gesamte Internetkommunikation in der Siedlung und in Wildbach überwachen konnte. Zusätzlich hatte er geplant, sich in die Rechner einzuloggen, und deren zusammengeschaltete Kapazität ebenfalls zu nutzen, um die gewonnen riesigen Datenmengen auszuwerten.
Читать дальше