„Ähm, ein Irrtum“ hatte er mit schweren Zunge gestammelt „Sie wollten doch erst morgen kommen.“
„Ich habe Ihnen doch heute früh eine Mail geschickt, dass ich früher komme“ hatte der Mann freundlich geantwortet.
Es hatte sich dann noch folgender Dialog entwickelt:
„Ist doch kein Beinbruch. Ihr Zimmer ist vorbereitet. Soll ich Ihnen noch ein paar Eier in die Pfanne hauen?“
„Ist nicht nötig, ich habe im Flugzeug gegessen.“
„Noch n Bierchen, so zum Feierabend?“
„Das schon gern.“
„Kommen Sie mit rein, ich zapfe uns noch zwei Große. Noch n Körnchen dazu?“
„Was ist das?“
„Ein klarer Getreideschnaps.“
„Probier‘ ich mal.
„Sie sprechen ja ein perfektes Deutsch.“
„Meine Vorfahren stammen aus Deutschland.“
Drechsler hatte dann die Tür geöffnet, und nachdem Lange eingetreten war, sofort wieder verriegelt. Er hatte auf einen Tisch mit vier Stühlen gedeutet, und der Mann hatte dort Platz genommen. Der Wirt war zum Tresen geeilt und der Amerikaner hatte somit Zeit gehabt, sich ein bisschen umzusehen. Der Gastraum entsprach genau dem, was er von Deutschland erwartet hatte. Die Wände waren holzgetäfelt, an den Wänden und Ecken waren Sitzbänke vorhanden, einige Tische und Stühle standen im Raum. Ein kleinerer Tresen mit einer Zapfanlage stand vor einen Glasschrank, in welchem sich Unmengen von Gläsern aneinanderreihten. Unter dem Glasschrank gab es eine Art Anrichte, dort waren Schnapsflaschen aufgebaut worden. An den Wänden hingen gerahmte Bilder mit besonders spektakulären Skatblattkonstellationen. Drechsler kam leicht schwankend mit zwei großen Bieren wieder und holte dann noch die Schnäpse.
„Prost“ hatte er gesagt und erst einen ordentlichen Schluck Bier genommen, und dann den Schnaps gekippt.
„Ach so“ hatte Drechsler noch gesagt “füllen Sie doch bitte noch dieses Anmeldeformular aus, das ist hier in Deutschland Pflicht.“
Kanpersky hatte sich selbstredend mit „Paul Lange“ eingetragen und Drechsler seinen Pass vorgelegt. Der Wirt hatte das Dokument lange und ausgiebig studiert, denn er hatte noch nie einen amerikanischen Ausweis gesehen.
„Sieht ja toll aus“ war sein Kommentar gewesen „ist sicher fälschungssicher.“
„Darauf können Sie sich hundertprozentig verlassen“ hatte Kanpersky geantwortet.
Kanpersky/Lange war von dem vollen Geschmack des Bieres überrascht gewesen. Was er nicht gewusst hatte war, dass er erstmalig in seinem Leben Bockbier mit einem Alkoholgehalt von satten 7,2 Prozent zu sich nahm. Von zu Hause war er die leichten und dünnen Biersorten gewohnt und hatte festgestellt, dass ihm das Bier schnell in den Kopf gestiegen war, Drechsler aber schon ein zweites vor ihm aufgebaut hatte. Notgedrungen hatte Lange dieses dann auch noch ausgetrunken, und den jetzt schon erheblich betrunkenen Wirt gedrängt, ihm nun doch endlich sein Zimmer zu zeigen. Drechsler hatte sich von rechts nach links taumelnd die Treppe empor bewegt und dann große Mühe gehabt, den Lichtschalter in dem langen, schmalen und dunklen Flur zu finden. Auch das Schloss am Zimmer des Amerikaners hatte den Mann vor Probleme gestellt, aber irgendwie war es ihm dann doch noch gelungen, die Tür zu öffnen.
Langes Blick war wegen den Bieren und dem Schnaps auch schon etwas getrübt, er aber von der Qualität seines Quartieres durchaus angenehm überrascht gewesen. Da er aber nun endlich mit dem Headquarter in Fort Meade Kontakt hatte aufnehmen wollen, hatte er Drechsler gebeten, ihn zu verlassen. Der Wirt war mit einem genuschelten „Nacht“ dann endlich verschwunden und offensichtlich die Treppe heruntergestürzt, denn der Amerikaner hatte ein dumpfes Poltern und dann Flüche gehört. Lange war dann sofort an den Aufbau der Verbindung gegangen. Zu seiner großen Verwunderung hatte sich rein gar nichts getan, und was auch immer er probiert hatte, nichts passierte. Seine Nervosität war deutlich gestiegen, und da er keinen anderen Ausweg gesehen hatte, war er nach unten gegangen, um den Wirt zu befragen. Auf sein Klopfen an der Tür zu den Privaträumen des Wirtes hatte es zunächst keine Reaktion gegeben, dann waren umstürzende Gegenstände und Klirren zu hören gewesen und der trunkene Drechsler hatte die Tür geöffnet. Als er endlich verstanden hatte was sein Gast meinte, war der Wirt in Schlangenlinien zu seinem Computer gegangen, hatte diesen angeworfen und auch versucht eine Internetverbindung aufzubauen. Auch bei ihm funktionierte nichts.
Der NSA Mann war nun immer unruhiger geworden und hatte Heiner Drechsler nach einer Möglichkeit befragt, wie er denn an eine funktionierende Internetverbindung herankommen könnte. Der Wirt hatte etwas wie „Landeshauptstadt Internetkaffee“ genuschelt, war wieder kurz verschwunden, mit einem Schlüssel zurückgekommen, und hatte diesen Lange mit folgenden Worten in die Hand gedrückt.
„Auto steht vor der Tür. Navi ist drin.“
Paul Lange hatte blitzartig begriffen, dass er das Fahrzeug des Wirtes nutzen könnte. Mithilfe des Navis sollte es doch möglich sein, in Dresden ein Internetkaffee zu finden, eine andere Wahl hatte er gar nicht mehr. Er hatte den Laptop und die „Wonderbox“ zusammengerafft und schon leicht kopflos den Gasthof verlassen. Dann hatte er mit zitternden Fingern das Auto (einen A4 Avant) geöffnet, die Landeshauptstadt als Ziel eingegeben und war losgefahren.
Paul Lange steckte die Angst vor den Cops von Kindesbeinen an in den Knochen. Er ging davon aus, dass die Polizisten in Deutschland noch einen Zacken schärfer waren. Schließlich hatten die Krauts schon immer eine Vorliebe für Uniformen und militärische Abenteuer gehabt. Dass sie ihre ambitionierten und hochgesteckten Ziele zur Welteroberung mehrfach nicht erreichen konnten, war auch dem Eingreifen seiner Nation zu verdanken gewesen. Aus diesem Grund war Lange mehr als nervös gewesen, als er sich mit dem Auto des Wirtes auf den Weg gemacht hatte, zumal er sich auch ordentlich angetrunken gefühlt hatte. Es war mittlerweile schon nach 22 Uhr und Lange hatte sich eigentlich schon lange in Fort Meade melden sollen. Als er durch die große Stadt fuhr staunte er über den geringen Straßenverkehr und die wenigen Menschen auf den Fußwegen. So konnte er auch problemlos anhalten und einen der Passanten fragen. Er sollte die zweite Straße rechts einbiegen, dann gut 50 Meter weiter fahren, und müsste dann somit direkt auf das Kaffee stoßen.
An der Straße reihten sich Häuser aneinander, die alt waren, aber in frischen Farben strahlten. Lange registrierte, dass nirgendwo ein Parkplatz frei war. Dann sah er aber doch noch eine Stelle direkt vor dem Internetkaffee, auf der allerdings mit weißer Farbe das Piktogramm eines Rollstuhlfahrers aufgebracht war. Ohne eine ihm zur Verfügung andere stehende Wahlmöglichkeit stellte der Mann das Auto dort kurzerhand ab. Dann sammelte er sich noch einen Moment, stieg aus, und betrat das Internetkaffee. Er bezahlte 5 Euro für die Nutzung eines Anschlusses und suchte sich einen Platz in dem recht leeren Lokal. Sein Jackett hatte er über die Stuhllehne gehängt. Lange hatte sich einen Ort gewählt, von wo aus er die anderen Personen im Raum gut im Blick hatte. Dann stöpselte er die kleine „Wonderbox“ zwischen Anschluss und Laptop ein. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als die Verbindung schnell zustande gekommen war. Durch den andauernden Stress hatte er bislang vollkommen verdrängt, dass seine Blase wegen der Biere mächtig drückte. Rechts von ihm ging es zu den Toiletten. Er würde keine zwei Minuten benötigen, um sich dort erleichtern zu können.
Lange erhob sich nach einem letzten prüfenden Blick auf die anderen Gäste (die alle auf ihren Tastaturen herumhackten) und betrat die Toilette. Exakt 127 Sekunden später erschien er wieder auf der Bildfläche und wollte jetzt die Nachricht absetzen. Vollkommen schockiert stellte er fest, dass die „Wonderbox“ verschwunden war, der Laptop stand noch da. Nun konnte er kaum jemand der Leute im Kaffee nach dem Verbleib des Zauberkastens befragen und verließ mit irrem Blick, rasendem Puls und total von der Rolle das Lokal. Das Jackett hatte er hektisch übergestreift, den Laptop trug er mit der Hand. Zu irgendeiner rationalen Handlung war Paul Lange in diesem Moment einfach nicht mehr in der Lage gewesen.
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