Ich konnte die Klotür auf und wieder zu gehen hören.
„Fay?“, drang Lias leise Stimme durch die geschlossene Kabinentür.
„Jetzt nicht, Kleine“, krächzte ich mit rauer Stimme. Ich hatte noch nicht wirklich was gegessen und so ziemlich jeder weiß wohl, wie es ist, sich auf leeren Magen zu übergeben.
„Fay, es tut mir leid.“
Ich schwieg.
„Fay?“
„Mhh?“
„Bist du böse auf mich?“ Sie klang bedrückt.
„Nein.“ Ich konnte ihr nie böse sein. Nicht lange zumindest. Außerdem hatte ich gerade andere Probleme. Nämlich zum Beispiel meinen Magen unter Kontrolle zu bringen.
„Ich hätte das nicht sagen dürfen.“
„Schon gut.“ Ich hockte an einer Wand der Kabine, den Kopf daran gelehnt, die Augen geschlossen. „Du hättest es erst mal mir sagen können. Aber ich kenne dich ja. Immer direkt.“ Ich musste grinsen. Ein Punkt, in dem wir uns glichen.
Sie kicherte. „Aber weißt du was?“
„Mh mh“, verneinte ich.
„Das war nicht das Geheimnis, was ich meinte.“ Ihre Stimme wurde etwas leiser.
„Nicht?“ Jetzt horchte ich auf. Ich hätte gedacht, dass es das gewesen war.
„Nein. Ich glaube aber, es ist fair, wenn ich es dir erzähle.“
„Tu es nicht. Es ist ein Geheimnis.“
„Aber es ist meins und ich kann es erzählen, wem ich will“, sagte sie und klang leicht eingeschnappt.
„Na dann, schieß mal los.“
„Deaken steht genauso auf dich.“ Sie sprach leise und ich wusste, sie wollte nicht, dass es sonst jemand hörte. Auch wenn hier, genau wie im Speisesaal, niemand war. Im Gegensatz zu den anderen hier lebenden Schülern durfte ich ja heute nicht ausschlafen.
Ruckartig löste ich meinen Kopf von der Wand und sah die geschlossene Tür an. „Das kannst du doch gar nicht wissen“, gab ich ihr argwöhnisch zurück.
„Kann ich wohl.“ Sie klang wieder eingeschnappt.
„Und woher bitte?“
„Das merkt man doch! Und ich habe ihn mit May reden hören, als ich ihn besuchen wollte.“
Das hatte ich auch und auch da hatte man etwas raushören können. „Das hat nichts zu sagen. Ich bin seine Schülerin. Wir mögen uns als Freunde.“
„Hat es auch nichts zu sagen, wenn er zugibt, Gefühle für dich zu haben?“
„Hat er das denn?“ Ich runzelte die Stirn. Hatte er?
„Hat er. Nur weiß er nicht, was er tun soll, weil er ja auch dein Professor ist. Er macht sich Sorgen, die anderen Schüler könnten dummes Zeug reden. Er will nicht, dass du schlecht da stehst.“
Genug. Jetzt musste ich ihr in die Augen sehen, um sicher zu wissen, dass sie mich nicht auf den Arm nahm. Ich rappelte mich hoch und öffnete die Tür. Lia hockte im Schneidersitz davor und schaute zu mir auf.
„Was hast du gehört? Und wann?“ Ich setzte mich vor sie und lehnte mich an die Tür, die hinter mir zugefallen war.
Sie reichte mir einen Pfefferminzbonbon. Offensichtlich wusste sie, was passiert war. „Was ich gesagt habe. Er hat zu May gesagt, dass er ständig an dich denken muss. Und er weiß nicht, wie er es dir sagen soll und ob überhaupt. Er denkt, du würdest ihn sowieso zurückweisen, schon wegen der Lehrer-Schüler Sache. Und er macht sich Sorgen wegen deiner Ausbildung. Er hat was von einem Wächter gesagt und dass du keinen hättest. Ich glaube, dass du deswegen das Kampftraining machen musst. Außerdem hat er May gebeten, dass er dich unterrichten darf.“
„Wann war das?“, hakte ich noch mal nach.
„Vor ungefähr einer Woche. Ich glaube allerdings, dass er schon länger auf dich steht.“
„Ah ja?“
„Mhh“, raunte sie zustimmend und spielte mit ihren Schnürsenkeln.
Ich warf ihr einen auffordernd fragenden Blick zu.
Sie hob den Kopf, fing ihn auf und grinste verschlagen. „Schon seit der Anstalt.“
„Was? Ehrlich? Aber da kannte er mich doch noch gar nicht richtig.“
„Wahrscheinlich doch. Er hat mich ständig nach dir gefragt.“
„Was hast du ihm denn erzählt?“
„Was er eben wissen wollte.“
„Lia?!“ Himmel, ich wollte lieber nicht wissen, was das alles war.
„Alles okay, keine Sorge. Es waren nur nette Sachen“, feixte sie und spielte weiter mit ihren Schnürsenkeln. Ich lehnte den Kopf an die Klotür und seufzte, als ein leises Klopfen ertönte. Wir wandten beide unsere Aufmerksamkeit der Tür zu, die in dieses Mädchenklo führte. Ich überlegte gerade, wer klopfte, weil Mädchen es ja nicht mussten, da beantwortete die Person mir meine unausgesprochene Frage selbst.
„Lia? Fay? Ist alles in Ordnung?“ Deaken, wer sonst.
Lia sprang auf, noch bevor ich sie davon abhalten konnte und öffnete ihm. Ich seufzte erneut und lehnte den Kopf wieder an die Klotür, die Augen abermals geschlossen. Drei große Schritte und er war bei mir. Ich öffnete die Augen wieder und erkannte Besorgnis in seinem Gesicht.
„Geht’s dir gut?“, fragte er und runzelte die Stirn. Er hockte jetzt vor mir und musterte mich eingehend.
„Alles klar.“ Ich versuchte ein Lächeln, doch es schien mir nicht zu gelingen.
„Wenn es dir nicht gut geht, sollten wir besser nicht trainieren“, meinte er und sah mich abschätzend an.
Oh, die Gelegenheit könnte ich ergreifen. Nicht mit einem Schwert herumfuchteln zu müssen und jemandem, sehr wahrscheinlich ihm, aus Versehen den Kopf abzuschlagen, hatte einen großen Reiz. Doch ich musste es ja lernen und nun hatte ich einmal zugesagt.
„Nein, ist schon gut“, resignierte ich halb und senkte den Blick zu Boden. Lia, die halb hinter Deaken stand, grinste. Ich sah es gerade noch und warf ihr einen warnenden Blick zu.
Er wandte sich kurz zu ihr um und dann gleich wieder zu mir. „Na gut, wenn du sicher bist. Komm, du solltest noch was essen, bevor wir anfangen.“ Er hielt mir seine Hand hin.
Ich ergriff sie und er zog mich hoch. „Ich habe keinen Hunger mehr. Lass uns gleich anfangen, dann hab ich das hinter mir“, murrte ich und richtete meine Klamotten.
Er grinste. „Du weißt schon, dass es nicht bei dem einen Training bleibt, oder?“
„Mhh“, murrte ich abermals. „Aber vielleicht bin ich ja wirklich ein Naturtalent.“ Ich verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
„Wir werden sehen.“ Er lächelte und sofort waren die Schmetterlinge wieder da. Diesmal zum Glück aber nicht so viele und ich konnte meinen Magen davon abhalten auszuflippen. Deaken wandte sich um und ging voraus. Ich folgte ihm, hinter mir kam Lia.
„Ich komme mit“, flötete sie in einem Singsang und hüpfte uns nach. Für sie war es das reinste Wunderland. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich ebenfalls ein Schwert geschnappt und sich in den Kampf gestürzt. Doch die jüngeren Schüler durften erst mit 13 anfangen die schweren Waffen zu benutzen. Bis dahin hielten sie sich an zum Beispiel Pfeil und Bogen oder Kampfstäbe. Lia beherrschte natürlich bereits beide wirklich gut und das in nur drei Monaten auf Weave. Ich war ungemein stolz auf sie. Es war eines ihrer wahlfreien Fächer und sie war schon Jahrgangsbeste.
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