„Gibt es jetzt die ganze Reise nur Apfelsaft?“
„Reg dich ab“ erwiderte Haberkorn „mein Opa hat mir heimlich zwei Flaschen Korn zugesteckt“, Beyer unterbrach ihn „meine Mutter hat mir auch eine mitgegeben“, „also“ fuhr Haberkorn fort „wir sind vorerst versorgt. Und wenn wir unser Lager aufschlagen sollten wir das in der Nähe eines Dorfes tun, da gibt es mit Sicherheit eine Gastwirtschaft und auch ein Bierchen für uns.“
Sie grinsten sich an, die drohenden Schatten eines nahenden Krieges nahmen sie jetzt nicht wahr, sie genossen ihre Freiheit nach dem Abitur. Der Fluss wiegte die Boote leicht und am Nachmittag erreichten sie einen größeren Ort. Sie zogen die Boote an Land, geschickt und schnell bauten sie die Zelte auf, das hatten sie in der Hitlerjugend oft geübt und auch das Übernachten unter freiem Himmel hatte stets dazu gehört. Der Tag war nicht anstrengend gewesen, der Fluss hatte ihnen die Arbeit angenommen und sie beschlossen in den Ort zu laufen um zu essen und zu trinken. Ihre Wertsachen verstauten sie in den Rucksäcken und nach zwei Kilometern erreichten sie den Ort, die Schänke war nicht zu verfehlen. Die Luft der Gaststube war mit Tabakqualm und Bierdunst gesättigt, alle Tische bis auf einen waren besetzt, die Gäste spielten Karten oder unterhielten sich. Eine junge Kellnerin trat an ihren Tisch und fragte nach den Wünschen.
„Für jeden ein Bier. Was können wir essen?“
Sie blickte sie spöttisch an.
„Bier, vertragt ihr das denn überhaupt?“
„Sicher“ gab Weber selbstbewusst zurück „es wäre nicht das erste, das wir zischen.“
Sie bestellten alle Bauernfrühstück, das billigste Gericht, bald standen die Biere auf dem Tisch und sie tranken mit langen Zügen. Als sie das zweite Bier hatten kam das Essen und als das Mädchen zum Tresen zurückging schaute Weber ihr interessiert hinterher.
„Die hat ganz schön Holz vor der Hütte, die Dinger würde ich mir gern mal ansehen.“
„Spinnst du“ fuhr ihn Haberkorn an „mach keinen Mist, ich will hier nicht mit blauen Augen rausgehen.
„Hab‘ dich nicht so, die Kleine ist doch hübsch, vielleicht hat sie auch Lust“ sagte Weber nach dem dritten Bier mit schon schwerer Zunge.
Beyer ging zum Tresen, bezahlte die Rechnung, dann hängten sie Weber zwischen sich und stolperten zu ihrem Lagerplatz. Unterwegs mussten die beiden sich anhören, dass sie ja noch nie mit einer Frau zusammen gewesen wären, er schon, und was das für einen Spaß mache. Er packte sie an einer Stelle die weh tat, Erfahrung mit Frauen hatten sie wirklich nicht, da war er ihnen voraus.
Fred Beyer, Panzerlehrschule 1939, Sommer
Sadist, Sadist hämmerte es in seinem Schädel. Oberfeldwebel Freitag hatte seinen Spind nach dem Stubendurchgang kurzerhand angekippt, alles was in ihm gewesen war verteilte sich auf dem Boden. Der Unteroffizier trat noch scheinbar unabsichtlich auf Wäschestücke, die Beyer am nächsten Tag tragen musste. Schweigend räumte er den Schrank wieder ein, griff sich die Uniformjacke, die deutlich sichtbar einen Stiefelabdruck aufwies und ging in den Waschraum. Dort nahm er sich eine Handbürste und versuchte den Abdruck mit Waschpaste zu entfernen, nach fünf Minuten hatte er es geschafft, das Kleidungsstück war allerdings an dieser Stelle klatschnass, unmöglich, dass es bis zum Morgen trocknen würde, dazu war die Stube zu kalt. Er hängte die Jacke auf einen Bügel und kroch unter die Bettdecke.
„Mach‘ dir nichts draus“ sprach ihn sein Bettnachbar leise an.
Kowalski war Schlesier, ein kräftiger und robuster Bauernjunge, dessen Gesicht Akne Narben aufwies und den scheinbar nichts aus der Ruhe brachte. Wenn Freitag ihn schikanierte blieb sein Gesichtsausdruck unbeweglich, ohne Gefühlsregung baute er sein Bett neu oder brachte den Spind wieder auf Vordermann, körperliche Strapazen steckte er weg.
„Der Mann ist einfach krank, irgendwie muss er sich wahrscheinlich abreagieren“ fuhr er fort.
Beyer nickte zustimmend, er wusste jedoch, dass Freitag der Prototyp eines Ausbilders der Wehrmacht war und keineswegs eine Ausnahme, das Ganze hatte System und auch die anderen Vorgesetzten unterschieden sich in ihrer Art nur wenig von dem Unteroffizier. Soldaten sollten im Kampf funktionieren und keine Befehle in Frage stellen, der Drill bereitete sie darauf vor. Im Grunde war Beyer nicht überrascht, nach seinem Verständnis konnte eine Armee nur so funktionieren, dass es bedingungslosen Gehorsam und Disziplin gab. Er musste sich Freitag unterordnen, Freitag führte Befehle des Kompanieführers aus und dieser unterstand dem Regimentskommandeur. Eigentlich eine klare und logische Sache sagte er sich, irgendwann würde er die Grundausbildung überstanden haben und dann sollte es besser werden. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Der nächste Morgen war trotz der Sommerzeit kalt und die Soldaten der Kompanie stießen Atemwolken aus als sie auf dem Appellplatz in kurzer Sportkleidung angetreten waren, das Thermometer zeigte acht Grad. Freitag stand vor der Kompanie, er trug Uniform, die Kälte konnte ihm nur wenig anhaben. Der Kompaniechef, Leutnant Schulze, ließ sie 20 Minuten warten, die jungen Männer begannen zu zittern. Freitag warf scharfe Blicke, ob sich jemand bewegte. Als Schulze erschien trat Freitag rechts neben die Kompanie und meldete: „Kompanie mit drei Zügen angetreten, ein Mann in der Krankenbaracke, ein Mann im Arrest.“
„Guten Morgen, Soldaten“ brüllte Schulze, die Männer antworteten mit „Guten Morgen, Herr Leutnant.“
„Herhören“ fuhr Schulze fort, „Zug 1 geht zur Geländeausbildung, Zug 2 zum Schießstand und Zug 3 absolviert die erste Fahrstunde. Wegtreten zum Frühsport.“
Die Ordnung löste sich auf und die Männer bildeten eine lockere Reihe von Läufern, die sich auf der Aschenbahn mit unterschiedlichem Tempo bewegten. Freitag stand in der Mitte des Ovals und brüllte ab und zu „schneller“, „nicht so lahm, ihr kastrierten Kater“, „da ist ja meine Großmutter schneller“ und ähnliches. Beyer lief in der Spitzengruppe, das Boxtraining zahlte sich aus, sein Atem ging regelmäßig und das Herz schlug schnell, aber regelmäßig und nicht angestrengt. Ohne sich besonders ins Zeug zu legen übernahm er die Spitze und erreichte als erster nach fünf Runden das Ziel, auspendelnd lief er noch ein Stück weiter und ging zu seinem Platz in der Antrete Formation. Nach und nach kamen die anderen dazu, nur der dicke Kammer keuchte noch über die Bahn, er kam als letzter in die Formation.
Beyers Zug rannte die Treppen zu den Stuben empor, in Eile zogen sie ihre Uniformen an und postierten sich sofort wieder auf dem Gang. Ihr Zugführer, Feldwebel Kurz, Ende Zwanzig, musterte sie mit herablassender Miene und befahl ihnen: „Im Laufschritt zu den Fahrzeughallen.“ Die Reihe stürzte die Treppen herunter und trat nach einem 200 Metern Lauf Atem holend vor den Hallen an. Kurz folgte ihnen im gemächlichen Spazierschritt, er schien keine Eile zu haben. Vor den Hallen standen drei turmlose Panzer I, sie sahen wie eigenartig konstruierte Trecker aus, der Fahrersitz war sichtbar, dahinter befand sich erhöht ein zweiter für den Ausbilder, diese standen bereits neben den Fahrzeugen. Die Männer kannten die Panzer aus dem theoretischen Unterricht in- und auswendig, Beyer hatte keine Erinnerung wie oft sie Aufbau und Bedienung des Fahrzeuges gepaukt hatten, er hätte im Schlaf aufsagen können, wie der Motor funktionierte und wie er welche Störung beheben würde. Im kam zugute, dass er in der Schule gut aufgepasst und ein technisches Verständnis hatte, das andere nicht mitbrachten. Das Zusammenspiel der Teile des Fahrzeugs war ihm klar, die Konstruktion des Panzers beeindruckte ihn schon, obwohl er gerade Platz für zwei Mann bot und nur mit zwei Maschinengewehren ausgerüstet war, die Panzerung würde gerade einmal schweren Schützenwaffen standhalten können.
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