„Schneller, wir müssen durch!“
Der Fahrer schaltete die Gänge durch und auf der jetzt schwankenden Waffenplattform war es für Naumann schwierig, weiter durch die Winkelspiegel Überblick über die Lage zu behalten. Er war verwundert, dass die Russen ihnen keine Panzer entgegenstellten, denn die wenigen PAK und Schützennester würden für die Deutschen kein Problem darstellen. Als die Panzer noch 100 Meter von den Schützengräben entfernt waren tauchte auf einer Hügelkuppe in knapp 1.000 Metern Entfernung ein Rudel russischer Panzer auf, schätzungsweise 20 Fahrzeuge.
„Kramer, 4 Uhr, dann von rechts anfangen, Otto, Panzergranate“ brüllte Naumann in sein Kehlkopfmikrophon.
Der Panzer stoppte und Naumann ahnte, dass die Russen ihnen eine Falle gestellt hatten. Aus der Bewegung heraus zu schießen wäre sinnlos gewesen, dafür war die Entfernung zu groß und die Kanone war nicht stabilisiert. Die angreifenden deutschen Panzer standen jetzt wie auf dem Präsentierteller vor den Kanonen der T 34 und den vor ihnen postierten PAK. Der Richtschütze hatte ein erstes Ziel ausgemacht und der Turm schwenkte elektrisch angetrieben in diese Richtung. Plötzlich krachte es an der Front des Panthers aber die Granate prallte ab. Nach drei Sekunden hatte der Richtschütze den feindlichen Panzer im Visier, dann feuerte er die Kampfwagenkanone ab. Keine Sekunde später explodierte einer der russischen Panzer in einer gewaltigen Explosion, sein Turm flog meterhoch durch die Luft. Zwei weitere wurden getroffen und begannen zu brennen. Mit einem schnellen Rundumblick sah Naumann, dass es auch einen der Panther erwischt hatte. Die 5 Männer booteten blitzschnell aus. Der Fahrer und der Funker, die durch die an der Bugseite liegenden Luken flüchten wollten wurden von einer russischen MG Garbe getroffen, beide kippten mit ihren Oberkörpern nach vorn und blieben reglos liegen. Blut lief über das Bugblech. Naumann biss sich auf die Zähne, er hatte die beiden Männer gut gekannt. Die MG des Funkers ratterten und auch die anderen Panzer feuerten in schneller Folge sowohl auf die vor ihnen liegenden Stellungen als auch auf die Panzer auf der Hügelkuppe. Naumann war klar, dass Stehenbleiben die falsche Entscheidung wäre und befahl an die Panzer seiner Einheit:
„Panzer marsch! Durchbrechen!“
Er bezweckte, soweit voranzukommen, dass die erhöht stehenden russischen Panzer nicht mehr in der Lage wären, ihre Geschütze weit genug nach unten zu richten. Die Fahrzeuge setzten sich in Bewegung und näherten sich den Schützenstellungen. Granaten knallten an die Panzerung, und als sie auf bis auf 30 Meter herangekommen wurde der rechts neben ihnen fahrende Panther getroffen. Er blieb ruckartig stehen, aber die Luken blieben geschlossen. Naumann hoffte, dass es eventuell nur einen Defekt im Antrieb geben würde, aber eine Sekunde später flogen die Turmluken auf und meterhohe Stichflammen schossen aus ihnen heraus. Einen Wimperschlag später wurde das Fahrzeug von einer dumpfen Explosion erschüttert die den Turm aus seinem Drehkranz riss, ihn abhob, und über den Bug abkippen ließ. Eine riesige Flamme loderte auf.
Hans Naumann hatte sich 1935 nach dem Abitur mit Begeisterung zur Panzerwaffe gemeldet, er wollte Offizier werden. Zu seiner großen Enttäuschung war er beim Polenfeldzug nicht mit dabei, er befand sich noch in der Ausbildung. Als es gegen Frankreich ging kommandierte er einen tschechischen 38 t und war beeindruckt, wie die deutschen Truppenverbände wie ein gut geschmiertes Räderwerk ineinander spielten. Nicht zuletzt die Führungsmittel in den Panzern ermöglichten ein gut abgestimmtes Vorgehen dieser Verbände, auch die Koordination mit der Luftwaffe trug zum schnellen Erfolg bei. Auch in diesem Feldzug hielten sich die Verluste in Grenzen und Naumann war felsenfest davon überzeugt, dass der nächste Gang, nämlich gegen die Russen, ebenfalls von schnellem Erfolg gekrönt sein würde. Anfangs sah es genauso aus, und die Strecken die sie täglich vorstießen ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass der Krieg noch vor dem Winter vorbei sein würde. Als dann die Nachschubketten überdehnt waren, die Schlammperiode einsetzte und der Winter einbrach kam es zu einem ungeordneten Rückzug. Erstmalig im Krieg gingen die Deutschen zurück und der warme Mantel der Siegessicherheit bekam erste Löcher. Für Hans Naumann war das nur auf ungünstige Umstände zurückzuführen, im kommenden Frühjahr würde die Wehrmacht gestärkt aus ihren Stellungen hervorbrechen und die Russen endgültig bezwingen. Die Deutschen waren ständig dabei den Gefechtswert ihrer Panzer zu steigern, und als die ersten Panzer IV mit der langen 75 Millimeter Kanone auf dem Feld erschienen gab es Fahrzeuge, die neben den Tigern und Sturmgeschützen auch den T 34 Paroli bieten konnten. Sein Mut stieg wieder und 1942 machte sich vorsichtiger Optimismus breit, dass das Jahr der Entscheidung gekommen wäre.
Naumann war sich sehr darüber im Klaren, dass er im Gefecht sterben konnte. Insgeheim bat er für diesen Fall darum, sofort getötet zu werden. Er wusste was passierte, wenn sich eine Granate durch den Panzerstahl brannte und im Kampfraum explodierte. Die Splitter der Panzerung und der Granate würden überschallschnell, rasiermesserscharf und glühend heiß im Inneren umherfliegen und die Körper der Männer der Besatzung zerfetzen. Selbst wenn ein Treffer nicht letal sein sollte bestand die Gefahr, dass sich Luken verklemmten und wenn dann ein Feuer ausbrach würde das bedeuten, elendig zu verbrennen. Für den Fall, dass man aus einen getroffenen Fahrzeug noch entkam war die Gefahr keineswegs vorbei, denn viele der Männer waren beim Ausbooten getötet worden. Er schob diese Gedanken von sich weg und konzentrierte sich auf den Angriff. Die Panzer hatten den Graben erreicht, die Verteidiger wurden jetzt dem Feuer der MG ausgesetzt und Naumann sah die Getroffenen umkippen und zu Boden fallen. Seine Kompanie rollte über den Graben hinweg, der Rest wäre Sache der Infanterie.
Ilse Kramer hatte sich als Kind die Geräusche der Schritte eines Riesen aus dem Märchen immer als donnernd und den Boden erbeben lassend vorgestellt. Noch entfernt aber immer schneller näher kommend erschütterten Detonationen das Kellergewölbe und ließen Kalk von der Decke rieseln. Die schwach funzelnden Lampen gingen kurz aus und flackerten dann wieder auf. Mit ihr und ihren beiden kleinen Söhnen saßen ungefähr 20 Menschen auf Holzbänken in dem Luftschutzraum. Alle hatten einen kleinen Koffer vor sich stehen in dem sich wichtige Dinge wie Papiere oder Wertgegenstände befanden. Vor einer knappen halben Stunde war Luftalarm ausgelöst worden und die Leute aus dem Haus waren zwar eilig, aber ohne Panik nach unten gegangen. Seit mehreren Wochen flogen die Briten und Amerikaner Angriffe gegen die Stadt und da nicht nur Hamburg als Ziel festgelegt worden war, war die deutsche Luftverteidigung hoffnungslos überfordert, da ihr ausreichende Kräfte fehlten. Die waffenstarrenden B 17 Bomber bildeten riesige Pulks und die mitfliegenden Begleitjäger hielten die wenigen deutschen Jagdflugzeuge auf Distanz. Auch die rings um die Stadt postierten Flakbatterien und die dort schon lange von Hitlerjungen bedienten Geschütze konnten nur wenig gegen die Angreifer ausrichten und deren Verlustrate war gering. Die Amerikaner flogen tagsüber ein, die Briten nachts. Durch Fehler bei den Zielmarkierungen wurde die Stadt nach und nach wie planlos zerstört, aber das eigentliche Ziel war die Vernichtung der Zivilbevölkerung und deswegen konzentrierten sich die Angriffe vorerst nicht auf die an der Peripherie liegenden Industriegebiete, sondern auf die Innenstadt.
Gestern hatte Ilse Kramer Post von ihrem Mann erhalten. Gunter Kramer befand sich fast 1.000 Kilometer von seiner Familie entfernt in Russland. Der Feldwebel war Kommandant eines Sturmgeschützes III und stand seit Wochen in schweren Abwehrkämpfen an der Ostfront. Seine Frau und seine Söhne hatte er letztmalig im September des vorigen Jahres gesehen und ihm war angekündigt worden, dass er und die Männer seiner Besatzung Ende Mai zur Auffrischung für eine Woche in den Heimaturlaub fahren könnten. Ilse Kramer hatte große Freude über diese Nachricht empfunden und die täglichen Sorgen waren klein geworden. Bis jetzt hatten die Angriffe ihr weiter weg von Stadtzentrum liegendes Viertel nicht erreicht und es keimte die leise Hoffnung auf, dass es so bleiben könnte. Plötzliche Einschläge in der Nähe ließen den Boden beben und wieder tropfte Kalk von der Decke und den Wänden ab. Dann war das Geräusch des aufstampfend marschierenden Riesen wieder da und die Jungen drückten sich schutzsuchend an ihre Mutter.
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