Heute, 10 Jahre später, war er fest entschlossen, diesen Mann, gemeinsam zusammen mit der Hilfe vieler anderer Gesinnungsgenossen, zu beseitigen. Dass es nicht ausreichen würde Hitler allein zu liquidieren, um eine grundlegende Wende für Deutschland zu erreichen stand für ihn fest, es musste eine Operation sein, die das gesamte System erschüttern und die viele der bisherigen Werte und Strukturen zerstören und durch andere ersetzen müsste. Generaloberst Anton Fiedler fühlte sich schon lange nicht mehr an seinen Eid an Hitler gebunden und er wusste auch, dass, wenn der Plan aufgehen sollte, viele Menschen sterben mussten. Deutsche Menschen.
Darunter könnte er selbst auch sein.
Führerhauptquartier, 5. Juli 1943
Adolf Hitler war entgegen seiner Gewohnheit nicht erst gegen 4 Uhr früh ins Bett gegangen sondern hatte sich von seinem Leibarzt kurz nach 22 Uhr ein starkes Beruhigungs- und Schlafmittel spritzen lassen. 3 Uhr wollte er wieder geweckt werden. Es war nicht so, dass ihn die gegenwärtige Lage stark beunruhigte, aber es war unverkennbar, dass die deutschen Truppen die Initiative im Osten verloren hatten. Nach der Niederlage in Stalingrad war die Stimmung in der deutschen Bevölkerung trotz aller propagandistischen Einpeitschungen auf einen Tiefpunkt gesunken und für Hitler war klar, dass er dringend einen strategischen Erfolg brauchte. Einerseits gebot das die ungünstige Lage an der Ostfront, zum anderen war dringend ein positiver psychologischer Effekt notwendig. Ein erster Erfolg war die Wiedereroberung von Charkow im März 1943 gewesen und Hitler gedachte den sich dadurch gebildeten Frontvorsprung der Russen um Kursk herum mit gleichzeitigen nördlichen und südlichen Zangenbewegungen in einen Kessel zu verwandeln und damit die seit einiger Zeit erwartete Offensive der Roten Armee so zu verhindern. Obwohl Teile des Generalstab ihn drängten, die Lage nach dem Fall von Charkow auszunutzen und möglichst schnell nach dem Ende der Schlammperiode gegen Kursk loszuschlagen, sah es Hitler als günstiger an, zuerst die Verluste an Menschen und Material auszugleichen und erst dann zu handeln. Insbesondere setzte er auf die nunmehr schneller anlaufende Zuführung der neuen Panther Panzer, die die Speerspitze dieser Operation bilden sollten. Trotz der Einwände von anderen Vertretern des Generalstabs, den neuen Panzertyp erst ausgiebig im Truppeneinsatz zu testen und nicht in Kursk massiert einzusetzen, lehnte Hitler dies ab und bestand vehement darauf, den Panthern eine entscheidende Rolle beim Angriff zuzuweisen. Eine ausreichende Anzahl dieser neuen Kampffahrzeuge würde aber erst im Sommer 1943 zur Verfügung stehen, so dass die Russen damit Zeit gewinnen würden, die bereits stark ausgebauten Verteidigungsstellungen weiter zu verstärken. Die Kritiker des Operationsplanes wiesen Hitler verzweifelt darauf hin und prognostizierten ein Scheitern des Planes, aber dieser wiegelte alle Bedenken mit dem Verweis auf die Überlegenheit der Panther ab. Diese würden jede noch so stark ausgebaute Verteidigung überwinden können und die Standardpanzer der Wehrmacht, die Panzer III und IV, in diese Lücken hineinstoßen und Frontvorsprung im Osten von Norden und Süden her in einen Sack verwandeln, der dann von der nachströmenden Infanterie endgültig zu liquidieren wäre. Dass die Russen die deutschen Truppen gut vorbereitet erwarten würden war allen klar, aber es gab keinen anderen Weg um die Initiative wiederzugewinnen.
Der Angriffsbefehl sah vor, dass die deutschen Truppen 3 Uhr 30 ihre Operationen beginnen sollten.
Prochorowka, 8. Juli 1943
Der Kompaniechef Leutnant Hans Naumann stand auf dem Turm des Panthers und beobachtete mit dem Fernglas die Gegend. Neben ihrem Fahrzeug waren rechts und links leicht in der Tiefe gestaffelt ebenfalls zirka 20 dieser Panzer aufgefahren. Nach den ersten Anfangserfolgen der Operation „Zitadelle“ hatte sich der Widerstand der Russen versteift, die Geländegewinne der Deutschen reduzierten sich deutlich. Auf dem Weg zu ihrer Bereitstellungsposition hatten die Panzer eine von Granaten zerpflügte Landschaft passiert. Von der Gnadenlosigkeit der Kämpfe zeugten die zerstörten und vielfach noch mit öligem Rauch brennenden deutschen und russischen Panzer, die zermalmten PAK Geschütze und die auf dem Boden liegenden toten Soldaten beider Seiten. Naumann war seit 1941 an der Ostfront und hatte die Euphorie der schnellen Siege in dieser Zeit miterlebt. Damals war er fassungslos gewesen, wie planlos die Russen gegen die Deutschen anstürmten und ganze Gruppen im Feuer der MG der Panzer oder der Sprenggranaten starben. Er konnte nicht begreifen, wie Infanterie dazu eingesetzt wurde, den Kampf gegen gegnerische Kampffahrzeuge aufzunehmen. Auch die russischen Panzer waren größtenteils eine leichte Beute gewesen, denn sie waren zwar schnell und beweglich, aber viel zu schwach gepanzert und bewaffnet. Insgesamt hatte Naumann damals den Eindruck gehabt, dass die russische Führung ihre Truppen in totaler Konfusion und ohne Rücksicht auf Verluste nach vorn warf, ein koordiniertes Vorgehen war nicht erkennbar. Die endlosen Gefangenenkolonnen, die er damals aus seinem vorbeirollenden Panzer III betrachtete, schienen ihm ein deutliches Zeichen dafür zu sein, dass der Gegner bereits vernichtend geschlagen war und es nur eine Frage von wenigen Wochen sein würde, ihn endgültig zu Boden zu zwingen. Diese Überzeugung wurde das erste Mal erschüttert, als er mit seiner Einheit auf vollkommen unbekannte russische Panzer stieß: T 34.
Der deutsche Panzermann war schon immer der Auffassung gewesen, dass der Panzer III zwar ein gutes Kampffahrzeug, aber zu schwach bewaffnet und gepanzert war. Die 37 Millimeter Kanone konnte zwar die Panzerung der leichten Fahrzeuge des Gegners durchschlagen, gegen die T 34 war sie aber wirkungslos. Naumann musste konstatieren, dass der Gegner über eine Waffe verfügte, die seiner eindeutig überlegen war. Die Geschosse seines Kampffahrzeuges prallten an der günstig geformten Panzerung des russischen Tanks einfach ab. Zum Glück der Deutschen war die Taktik der Russen zu diesem Zeitpunkt nur wenig ausgereift und außerdem überwog der Bestand an leichten Panzern noch deutlich. Dieser Schock, dass der Gegner über bessere Technik verfügte, führte bei den Deutschen zu Improvisationen wie Zusatzpanzerungen oder die Erhöhung der Kaliber der Panzerkanonen. Dennoch blieb vieles Stückwerk und so wurde die Idee geboren, den T 34 in gewissen Merkmalen zu kopieren. In diesem stahlgewordenen Ergebnis, einem Panzer vom Typ Panther, würde Leutnant Hans Naumann heute in den Kampf eingreifen.
Glücklicherweise war das Wetter nicht typisch für einen Moskauer Wintertag, an dem Schneeschwaden durch die Stadt zogen und Eiseskälte herrschte. Zur Freude des Mannes in der dunkelblauen Uniform strahlte der Himmel und so würde es auch möglich sein, die Formationen des neuesten Strahljägers gut beobachten zu können. Da der Mann die Routen der Landfahrzeuge zum Roten Platz jedes Jahr neu festlegte um möglichen Angreifern jegliche Zeit zur Vorbereitung eines Anschlags zu nehmen, musste er natürlich die Abmaße und Gewichte der Panzer und anderen Fahrzeuge kennen um eine geeignete Strecke auswählen zu können. So wusste er auch, dass bei der diesjährigen Parade ein gänzlich neuer Panzertyp gezeigt werden würde. Im ständigen Wechsel der Anfahrstrecke zum Paradeort sah er einen Garanten dafür, dass es für einen Gegner unmöglich wäre, sich in der dann schwer bewachten Sicherheitszone in Stellung zu bringen, zumal den sich in Gefechtsbereitschaft befindlichen Truppen erst um 4 Uhr früh bekanntgegeben wurde, wo sie Aufstellung zu nehmen hatten. Da zur Nachrichtenübermittlung und zum Empfang Kleinrechner zum Einsatz kamen und darauf kryptographische Programme für die Verschlüsselung sorgten war es ausgeschlossen, dass diese Informationen der Gegenseite bekannt worden. Gleiches galt für die Befehle an die Sicherungseinheiten. Diese Spezialtruppen bestanden aus Pionieren, Scharfschützen und in Zivil gekleidete Nahkämpfer. Die Pioniere würden binnen kürzester Frist sämtliche Zugänge zu den Sammelpunkten der Truppen wie Gully Deckel, U-Bahnzugänge und anderes verschweißen oder abriegeln, die Scharfschützen sich an genau festgelegten Positionen in Deckung legen und vor allem die Fenster der umliegenden Häuser beobachten. Da es unmöglich war, die gesamte Strecke der sich aufstellenden Bodentruppen zu sperren kam den Nahkämpfern die Aufgabe zu, sich unter die Bevölkerung zu mischen und nach verdächtigen Personen Ausschau zu halten. Der Mann war der Meinung, dass die Ausgangspositionen der Truppen damit ausreichend geschützt waren.
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