Impressum
Frank Hille
Lebenswege – Eine ostpreußische Familiengeschichte
Band 2
1976 - 2005
Copyright: © 2015 Frank Hille
Published by: epubli GmbH, Berlin
www. epubli.de
ISBN 978-3-7375-4291-3
Katastrophe, Kassel, 1975
Schulprobleme, Sachsen, 1976
Das Seegrundstück, Woltersdorf, 1976
Einweihungsfeier, Woltersdorf, 1976
Sorgenkinder, Berlin, 1978
Hannas Probleme, Berlin, 1980
50. Geburtstag, Berlin, 1980
Ferienarbeit, Berlin, 1980
Das erste Mal, Berlin, 1980
Erste Trennung, Berlin, 1980
Probelauf, Sachsen, 1981
Wehrdienst, Thüringen, 1981
Die Wanderung, Elbsandsteingebirge, 1981
Die Entscheidung, Berlin, 1982
Ein Vorschlag, Sachsen, 1982
Vertane Zeit, Thüringen, 1983
Zelturlaub, ČSSR, 1983
Verliebtheit, Berlin, 1983
Julia Frenzel, Kassel, 1983
Erfolge, Sachsen, 1983
Die Auswahl, Kassel, 1985
Alltagssorgen, Berlin,1986
Die neuen PKW, Berlin, 1987
Familienleben, Berlin, 1987
Partnerwahl, Kassel, 1987
Karriereplanung, Berlin 1986
Götterdämmerung, Berlin, 1988
Schuleinführung, Berlin, 1988
Nachwuchs, Berlin, Frühjahr 1989
Zweifel, Sachsen, 1989
Zusammenbruch, Berlin, 1989
Einwände, Berlin, Sommer 1989
Rauswurf, Berlin, 1990
Neuer Start, Sachsen, 1991
Arbeitssuche, Berlin, 1991
Neue Orientierung, Berlin, 1991
Unternehmenskauf, Berlin, 1991
Kontaktaufnahme, Kassel, 1991
Entlassungen, Berlin, 1991
Der Weg in den Osten, Kassel, 1991
Ohne Alternative, Berlin, 1992
Eine Versuchung, Halle, 1992
Erste Fortschritte, Berlin, 1993
Prognosen, Sachsen, 1993
Investitionen, Berlin, 1994
Rente, Berlin, 1995
Keine Ziele, Berlin, 1996
Eine Entscheidung, Berlin 1996
Rückblick, Woltersdorf, 1996
Erweiterungen, Berlin, 1996
Neubeginn, 1978, Schleswig Holstein
Das Treffen, Woltersdorf, 1996
Erste Anzeichen, Berlin, 1997
Schicksalsschlag, Berlin, 2000
Eingewöhnung, Sachsen, 2001
Zielsetzung, Berlin, 2002
Beratschlagung, Berlin, 2003
Bemühungen, Sachsen, 2003
Nachdenken, Berlin, 2004
Abrechnung, Sachsen, 2004
Fehlstart, Berlin, 2004
Abschiednehmen, Berlin, 2005
Katastrophe, Kassel, 1975
Die Tage verliefen in einem steten und ermüdenden Gleichklang. Morgens richtete sie für die Familie das Frühstück her, ihr Mann ging in die Praxis, das Mädchen zur Schule und Franz Frenzel fuhr ins Behindertenheim, wo er seinen Zivildienst ableistete. Um ihn machte sich Berta Frenzel Sorgen. Der junge Mann hatte sein Abitur gerade so mit großer Mühe geschafft und somit den Unmut seines Vaters auf sich gezogen, außerdem war er unentschlossen, was er studieren wollte. Allgemein war er auch sehr interessenlos, die meiste Zeit hing er nur vor dem Fernseher herum. Während der vergangenen Jahre war ihr aufgefallen, dass er im Gegensatz zu seinen Schulkameraden noch nie eine Freundin gehabt hatte und sich nur in der Clique der Jungs bewegte, sie gab allerdings nichts darauf. Auch als seine Gesten und die Ausdrucksweise immer weibischer wurden schob sie das auf seine zarte Konstitution. Irgendwann würde ihm schon eine über den Weg laufen die ihn interessieren könnte.
Den Tag der Katastrophe sollte sie nie wieder vergessen: es war der 23. Mai 1975 nachmittags, ein Freitag. Die Kinder waren schon wieder zu Hause, ihr Mann noch in der Praxis. Sie sah die Polizeibeamten, die bei ihnen geklingelt hatten, verwundet an, schließlich bat sie die beiden Männer ins Haus.
„Frau Frenzel, uns liegt eine Strafanzeige gegen ihren Sohn Franz Frenzel vor, wir möchten Ihnen und ihm dann später einige Fragen stellen“ begann einer der Männer.
„Ihr Sohn leistet seinen Zivildienst im Behindertenheim der Diakonie, dort soll er sich in der vergangenen Zeit mehrfach an geistig behinderten jungen Männern vergangen haben. Wir haben zwei Aussagen die belegen, dass ihr Sohn sich von einem hat befriedigen lassen und mit dem anderen Analverkehr ausgeübt hat. Können Sie uns etwas zu den Neigungen ihres Sohnes sagen?“
„Wie meinen Sie das, seine Neigungen“ fragte sie unsicher.
„Ganz konkret seine sexuelle Orientierung“ erwiderte einer der Männer.
„Nun, er hat keine Freundin, aber das geht anderen in seinem Alter genauso“ sagte sie.
„Hatten Sie nicht das Gefühl, dass er sich mehr zu Männern hingezogen fühlt“ war die nächste Frage.
„Wieso, er ist immer mit seinen Kumpels zusammen, das dürfte doch mit zwanzig Jahren ganz normal sein.“
„Können Sie bitte ihren Sohn holen?“
Sie stieg die Treppe zu den Kinderzimmern hoch, klopfte an die Tür ihres Sohnes und trat ein. Der Junge lag auf dem Bett und blätterte in einer Zeitung.
„Die Polizei ist da, wenn du mir etwas zu erzählen hast dann tu es jetzt“ sagte sie ausdruckslos.
„Wie meinst du das“ fragte er zurück und sie konnte keine Spur von Verwirrung in seinem Gesicht erkennen.
„Gut, wenn nichts ist können wir runtergehen“ fuhr sie fort.
Franz Frenzel setzte sich mit auf das Sofa, schlug die Beine übereinander, und sah die Polizisten ruhig an.
„Herr Frenzel, Sie werden beschuldigt, sich zwei Behinderten im Heim in eindeutig sexueller Absicht genähert zu haben, was können Sie dazu sagen?“
„Nichts“ sagte der junge Mann „es ist nicht wahr, ich habe niemand belästigt. Wahrscheinlich ist es der Phantasie der beiden entsprungen, haben Sie eine Ahnung, wie sich Behinderte verhalten?“
„Nein“ erwiderte der eine Polizist „davon wissen wir nichts, aber die beiden haben dem Heimleiter gesagt dass Sie mit ihnen Spiele gemacht hätten, bei denen Sie sich ausgezogen und sie angefasst hätten.“
„Warum sollte ich mich vor diesen Leuten ausziehen, können Sie mir das erklären, und was konkret wird mir vorgeworfen“ sagte Franz Frenzel jetzt gereizter.
„Nun, es gibt die Aussage, dass Sie diese Dinge getan haben sollen, wir haben den Auftrag das zu klären und müssen Sie bitten uns zu folgen, den entsprechenden richterlichen Beschluss haben wir mit.“
„Wissen Sie wer mein Mann ist“ warf Berta in der Hoffnung ein, dass alles nur ein schlechter Traum wäre.
„Das wissen wir, Frau Frenzel“ erwiderte einer „aber das entbindet uns nicht von der Pflicht den Anschuldigungen nachzugehen. Ihr Sohn wird verhört und untersucht werden, und wenn sich die Aussagen der Behinderten nicht bewahrheiten, bringen wir ihn schon heute wieder nach Hause zurück. Wir wollen kein großes Aufheben machen, Sie können ihn selbst zum Revier bringen, denn auch wir haben kein Interesse, dass irgendwelche Gerüchte entstehen.“
Berta Frenzel nickte schwach, zusammen mit ihrem Sohn fuhr sie zum Revier. Während der Fahrt fing er an zu heulen und dann tonlos zu erzählen.
„Ja, ich bin schwul Mutter, hast du das nie gemerkt? Weißt du, warum ich den Wehrdienst verweigert habe? Nicht weil ich keine Waffe in die Hand nehmen wollte sondern weil ich es nur unter Männern nicht ausgehalten hätte, verstehst du das? Ich habe es schon vor ein paar Jahren gemerkt dass mich Mädchen nicht interessieren, Männer schon, aber mit wem sollte ich denn reden? Mit Vater, der nie da ist, oder mit dir, wenn du schon davon genervt bist, dass dir der Tag so lang wird? Ich habe versucht das zu unterdrücken, aber die beiden habe ich angefasst weil ich dachte dass die sowie so im Kopf wirr sind und sie davon nichts mitbekommen. Ich werde alles abstreiten, aber jetzt weißt du wenigstens Bescheid.“
Berta Frenzel fühlte etwas zusammen brechen. Zwanzig Jahre hatte sie ihr Kind großgezogen und war nicht in der Lage gewesen zu erkennen, dass ihr Sohn anders war. Sie musste sich auch eingestehen, dass weder sie noch ihr Mann sonderlich viel Zeit für ihre Kinder aufgewendet hatten. Solange sie gute Noten aus der Schule mitbrachten und sonst keinen Ärger machten waren sie eher an sich selbst orientiert, Frieder an seiner Karriere, sie an ihren Seitensprüngen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Franz sein Abitur nur mit Mühe und Not zustande gebracht hatte, weil er in dieser Zeit wahrscheinlich erkannt hatte, wie es um ihn stand. Noch gab es keinen Grund zur größeren Beunruhigung, und da Frieder seine wöchentliche Vorlesung hielt auch keine Möglichkeit, ihn über den Zwischenfall zu informieren.
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