Frank Hille - Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2

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Die Geschwister Peter und Gerda Becker führen im Ergebnis des 2. Weltkrieges und der dann folgenden Teilung Deutschlands getrennte Leben, ohne sich lange Zeit wieder begegnen zu können. Peter Becker war klar gewesen, dass er den Ostteil nicht verlassen würde, da er gute berufliche Chancen für sich sieht. Seine Schwester Gerda hatte den Osten Deutschlands bereits Ende der vierziger Jahre verlassen und sich als Zahnarztgattin in Kassel eingerichtet. So unterschiedlich wie beide sind, so verschieden verläuft auch ihr Leben bis zur Wiedervereinigung. Während Peter Becker beruflich immer weiter aufsteigt und sich im Hamsterrad der Planerfüllung abmüht, hat Gerda Becker immer mehr Zweifel an der ihr zugewiesenen Rolle als Mutter und Hausfrau. Ihre von ihrem Vater 1950 nach dem Tod der Mutter ins Kinderheim gegebene deutlich jüngere Schwester Petra geht ihren eigenen Weg im Osten und kann aufgrund ihrer hohen Intelligenz eine wissenschaftliche Karriere einschlagen. Die Kinder von Peter und Gerda Becker werden durch ihre Eltern sehr unterschiedlich geprägt. Beide Familien erleiden Schicksalsschläge. Letztlich treffen sich Peter und Gerda Becker lange nach der Wende wieder, aber sie haben sich kaum noch etwas zu sagen.

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Impressum

Frank Hille

Lebenswege – Eine ostpreußische Familiengeschichte

Band 2

1976 - 2005

Copyright: © 2015 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

ISBN 978-3-7375-4291-3

Katastrophe, Kassel, 1975

Schulprobleme, Sachsen, 1976

Das Seegrundstück, Woltersdorf, 1976

Einweihungsfeier, Woltersdorf, 1976

Sorgenkinder, Berlin, 1978

Hannas Probleme, Berlin, 1980

50. Geburtstag, Berlin, 1980

Ferienarbeit, Berlin, 1980

Das erste Mal, Berlin, 1980

Erste Trennung, Berlin, 1980

Probelauf, Sachsen, 1981

Wehrdienst, Thüringen, 1981

Die Wanderung, Elbsandsteingebirge, 1981

Die Entscheidung, Berlin, 1982

Ein Vorschlag, Sachsen, 1982

Vertane Zeit, Thüringen, 1983

Zelturlaub, ČSSR, 1983

Verliebtheit, Berlin, 1983

Julia Frenzel, Kassel, 1983

Erfolge, Sachsen, 1983

Die Auswahl, Kassel, 1985

Alltagssorgen, Berlin,1986

Die neuen PKW, Berlin, 1987

Familienleben, Berlin, 1987

Partnerwahl, Kassel, 1987

Karriereplanung, Berlin 1986

Götterdämmerung, Berlin, 1988

Schuleinführung, Berlin, 1988

Nachwuchs, Berlin, Frühjahr 1989

Zweifel, Sachsen, 1989

Zusammenbruch, Berlin, 1989

Einwände, Berlin, Sommer 1989

Rauswurf, Berlin, 1990

Neuer Start, Sachsen, 1991

Arbeitssuche, Berlin, 1991

Neue Orientierung, Berlin, 1991

Unternehmenskauf, Berlin, 1991

Kontaktaufnahme, Kassel, 1991

Entlassungen, Berlin, 1991

Der Weg in den Osten, Kassel, 1991

Ohne Alternative, Berlin, 1992

Eine Versuchung, Halle, 1992

Erste Fortschritte, Berlin, 1993

Prognosen, Sachsen, 1993

Investitionen, Berlin, 1994

Rente, Berlin, 1995

Keine Ziele, Berlin, 1996

Eine Entscheidung, Berlin 1996

Rückblick, Woltersdorf, 1996

Erweiterungen, Berlin, 1996

Neubeginn, 1978, Schleswig Holstein

Das Treffen, Woltersdorf, 1996

Erste Anzeichen, Berlin, 1997

Schicksalsschlag, Berlin, 2000

Eingewöhnung, Sachsen, 2001

Zielsetzung, Berlin, 2002

Beratschlagung, Berlin, 2003

Bemühungen, Sachsen, 2003

Nachdenken, Berlin, 2004

Abrechnung, Sachsen, 2004

Fehlstart, Berlin, 2004

Abschiednehmen, Berlin, 2005

Katastrophe, Kassel, 1975

Die Tage verliefen in einem steten und ermüdenden Gleichklang. Morgens richtete sie für die Familie das Frühstück her, ihr Mann ging in die Praxis, das Mädchen zur Schule und Franz Frenzel fuhr ins Behindertenheim, wo er seinen Zivildienst ableistete. Um ihn machte sich Berta Frenzel Sorgen. Der junge Mann hatte sein Abitur gerade so mit großer Mühe geschafft und somit den Unmut seines Vaters auf sich gezogen, außerdem war er unentschlossen, was er studieren wollte. Allgemein war er auch sehr interessenlos, die meiste Zeit hing er nur vor dem Fernseher herum. Während der vergangenen Jahre war ihr aufgefallen, dass er im Gegensatz zu seinen Schulkameraden noch nie eine Freundin gehabt hatte und sich nur in der Clique der Jungs bewegte, sie gab allerdings nichts darauf. Auch als seine Gesten und die Ausdrucksweise immer weibischer wurden schob sie das auf seine zarte Konstitution. Irgendwann würde ihm schon eine über den Weg laufen die ihn interessieren könnte.

Den Tag der Katastrophe sollte sie nie wieder vergessen: es war der 23. Mai 1975 nachmittags, ein Freitag. Die Kinder waren schon wieder zu Hause, ihr Mann noch in der Praxis. Sie sah die Polizeibeamten, die bei ihnen geklingelt hatten, verwundet an, schließlich bat sie die beiden Männer ins Haus.

„Frau Frenzel, uns liegt eine Strafanzeige gegen ihren Sohn Franz Frenzel vor, wir möchten Ihnen und ihm dann später einige Fragen stellen“ begann einer der Männer.

„Ihr Sohn leistet seinen Zivildienst im Behindertenheim der Diakonie, dort soll er sich in der vergangenen Zeit mehrfach an geistig behinderten jungen Männern vergangen haben. Wir haben zwei Aussagen die belegen, dass ihr Sohn sich von einem hat befriedigen lassen und mit dem anderen Analverkehr ausgeübt hat. Können Sie uns etwas zu den Neigungen ihres Sohnes sagen?“

„Wie meinen Sie das, seine Neigungen“ fragte sie unsicher.

„Ganz konkret seine sexuelle Orientierung“ erwiderte einer der Männer.

„Nun, er hat keine Freundin, aber das geht anderen in seinem Alter genauso“ sagte sie.

„Hatten Sie nicht das Gefühl, dass er sich mehr zu Männern hingezogen fühlt“ war die nächste Frage.

„Wieso, er ist immer mit seinen Kumpels zusammen, das dürfte doch mit zwanzig Jahren ganz normal sein.“

„Können Sie bitte ihren Sohn holen?“

Sie stieg die Treppe zu den Kinderzimmern hoch, klopfte an die Tür ihres Sohnes und trat ein. Der Junge lag auf dem Bett und blätterte in einer Zeitung.

„Die Polizei ist da, wenn du mir etwas zu erzählen hast dann tu es jetzt“ sagte sie ausdruckslos.

„Wie meinst du das“ fragte er zurück und sie konnte keine Spur von Verwirrung in seinem Gesicht erkennen.

„Gut, wenn nichts ist können wir runtergehen“ fuhr sie fort.

Franz Frenzel setzte sich mit auf das Sofa, schlug die Beine übereinander, und sah die Polizisten ruhig an.

„Herr Frenzel, Sie werden beschuldigt, sich zwei Behinderten im Heim in eindeutig sexueller Absicht genähert zu haben, was können Sie dazu sagen?“

„Nichts“ sagte der junge Mann „es ist nicht wahr, ich habe niemand belästigt. Wahrscheinlich ist es der Phantasie der beiden entsprungen, haben Sie eine Ahnung, wie sich Behinderte verhalten?“

„Nein“ erwiderte der eine Polizist „davon wissen wir nichts, aber die beiden haben dem Heimleiter gesagt dass Sie mit ihnen Spiele gemacht hätten, bei denen Sie sich ausgezogen und sie angefasst hätten.“

„Warum sollte ich mich vor diesen Leuten ausziehen, können Sie mir das erklären, und was konkret wird mir vorgeworfen“ sagte Franz Frenzel jetzt gereizter.

„Nun, es gibt die Aussage, dass Sie diese Dinge getan haben sollen, wir haben den Auftrag das zu klären und müssen Sie bitten uns zu folgen, den entsprechenden richterlichen Beschluss haben wir mit.“

„Wissen Sie wer mein Mann ist“ warf Berta in der Hoffnung ein, dass alles nur ein schlechter Traum wäre.

„Das wissen wir, Frau Frenzel“ erwiderte einer „aber das entbindet uns nicht von der Pflicht den Anschuldigungen nachzugehen. Ihr Sohn wird verhört und untersucht werden, und wenn sich die Aussagen der Behinderten nicht bewahrheiten, bringen wir ihn schon heute wieder nach Hause zurück. Wir wollen kein großes Aufheben machen, Sie können ihn selbst zum Revier bringen, denn auch wir haben kein Interesse, dass irgendwelche Gerüchte entstehen.“

Berta Frenzel nickte schwach, zusammen mit ihrem Sohn fuhr sie zum Revier. Während der Fahrt fing er an zu heulen und dann tonlos zu erzählen.

„Ja, ich bin schwul Mutter, hast du das nie gemerkt? Weißt du, warum ich den Wehrdienst verweigert habe? Nicht weil ich keine Waffe in die Hand nehmen wollte sondern weil ich es nur unter Männern nicht ausgehalten hätte, verstehst du das? Ich habe es schon vor ein paar Jahren gemerkt dass mich Mädchen nicht interessieren, Männer schon, aber mit wem sollte ich denn reden? Mit Vater, der nie da ist, oder mit dir, wenn du schon davon genervt bist, dass dir der Tag so lang wird? Ich habe versucht das zu unterdrücken, aber die beiden habe ich angefasst weil ich dachte dass die sowie so im Kopf wirr sind und sie davon nichts mitbekommen. Ich werde alles abstreiten, aber jetzt weißt du wenigstens Bescheid.“

Berta Frenzel fühlte etwas zusammen brechen. Zwanzig Jahre hatte sie ihr Kind großgezogen und war nicht in der Lage gewesen zu erkennen, dass ihr Sohn anders war. Sie musste sich auch eingestehen, dass weder sie noch ihr Mann sonderlich viel Zeit für ihre Kinder aufgewendet hatten. Solange sie gute Noten aus der Schule mitbrachten und sonst keinen Ärger machten waren sie eher an sich selbst orientiert, Frieder an seiner Karriere, sie an ihren Seitensprüngen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Franz sein Abitur nur mit Mühe und Not zustande gebracht hatte, weil er in dieser Zeit wahrscheinlich erkannt hatte, wie es um ihn stand. Noch gab es keinen Grund zur größeren Beunruhigung, und da Frieder seine wöchentliche Vorlesung hielt auch keine Möglichkeit, ihn über den Zwischenfall zu informieren.

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