Frank Hille - Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 20

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Im Herbst 1944 ist die Rote Armee schlagkräftiger denn je, und ihre Kommandeure haben im Krieg viel gelernt. Der Angriff der Sowjets im Bereich der deutschen Heeresgruppe Mitte kommt nicht unerwartet, und der Erfolg dieser großangelegten Operation zerreißt die schwachen deutschen Verteidigungslinien sehr schnell. Der Zusammenbruch artet in eine heillose Flucht nach Westen aus und jetzt sind die Zeichen für den Krieg klar zu erkennen. Deutschland kann nur noch defensiv handeln, und seine Kräfte werden jeden Tag schwächer. Fred Beyer und Günther Weber geraten direkt in diese Apokalypse hinein und versuchen so gut es geht Widerstand zu leisten. Martin Haberkorn ist aus Brest in Frankreich auf den Weg nach Hamburg zur Baubelehrung für ein neues Elektroboot, aber gerät in den Strudel der alliierten Invasion in der Normandie hinein.

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Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 20

1944

Copyright: © 2019 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Günther Weber, Mogilew, 27. Juni 1944

Martin Haberkorn, 28. Juni 1944, auf dem Weg nach Hamburg

Fred Beyer, 29. Juni 1944, Weißrussland

Martin Haberkorn, 30. Juni 1944, Frankreich

Günther Weber, 30. Juni 1944, Waldgebiet, Weißrussland

Fred Beyer, 30. Juli 1944, Weißrussland

Martin Haberkorn, 31. Juni 1944, Frankreich

Fred Beyer, 30. Juni 1944, Weißrussland

Günther Weber, 1. Juli 1944, Waldgebiet, Weißrussland

Fred Beyer, 1. Juli 1944, Weißrussland

Günther Weber, 1. Juli 1944, Waldgebiet, Weißrussland

Martin Haberkorn, 1. Juli 1944, Frankreich

Fred Beyer, 2. Juli 1944, Weißrussland

Günther Weber, 2. Juli 1944, Weißrussland

Martin Haberkorn, 2. Juli 1944, Frankreich

Fred Beyer, 3. Juli 1944, Weißrussland

Günther Weber, 3. Juli 1944, Weißrussland

Günther Weber, Mogilew, 27. Juni 1944

Vor drei Minuten hatte eine explodierende Granate das Leben des SS-Panzergrenadiers Alfred Becker beendet. Das 12-Zentimeter-Geschoss war direkt im Schützenloch des Soldaten eingeschlagen und hatte dessen Körper zerrissen. Als sich der Explosionsqualm verzogen hatte konnte man an dieser Stelle einen gut anderthalb Meter tiefen und knapp zwei Meter breiten Trichter sehen. Von dem 18jährigen Soldaten waren rein gar keine Überreste mehr vorhanden, die höllische Explosionsenergie und die Splitter des Geschosses hatten seinen Körper pulverisiert. Günther Weber hatte zu Beginn der Offensive der Sowjets mit einer heftigen Artillerievorbereitung gerechnet und wollte seine Männer nicht nur in den Gräben konzentrieren, sondern im Gelände vereinzeln. Diese Deckungslöcher sollten nur so lange besetzt bleiben wie der Gegner schoss. Dann würden die Männer wieder Positionen in den Schützengräben einnehmen, um eine geballte Feuerkraft der Einheit zu gewährleisten. Weber wusste ganz genau, wie stark belastend das einsame Hocken in so einem Schützenloch war, und deswegen wollte er diese Deckungen nur für die Zeit des Granatbeschusses besetzen lassen. Dass es einen überall erwischen konnte war allen Männern klar gewesen, in so weit war es ihnen auch relativ unwichtig erschienen, welche Positionen sie wo besetzen mussten. Weber hatte den Tod des Grenadiers Becker als Führer des Kampfverbandes formal zu verantworten, aber so eine Art von Verantwortung kam in seinen Gedanken gar nicht vor. Verantwortlich zu handeln hieß für ihn seine Männer richtig einzusetzen, den Gefechtsauftrag zu erfüllen, und vor allem, Verluste zu vermeiden. Dass ein Geschoss einen seiner Männer tötete oder verwundete konnte er nicht beeinflussen.

Wie erwartet, war das Bataillon von Minsk verlegt worden, und zwar nach Mogilew. Damit waren die SS-Männer jetzt in die 4. Armee eingegliedert. Die Sowjets hatten nicht eine einzige Hauptstoßrichtung für ihre Offensive gewählt, sondern Aufgaben an ihre Kräfte an drei Frontabschnitten übertragen. Im ersten nördlich gelegenen Abschnitt sollte die 3. deutsche Panzer-Armee vernichtet, und die festen Plätze Witebsk und Orscha eingenommen werden. Im zweiten Abschnitt war die Liquidierung der 4. Panzer-Armee als Ziel ausgegeben worden. Im dritten Abschnitt sollte Bobruisk eingenommen und die 9. Armee vertrieben werden. Ein Blick auf die Karte machte klar, dass Bobruisk und Witebsk die Ausgangspunkte einer Zangenbewegung sein würden, deren Spitzen sich dann im Verlauf der Operation hinter Minsk vereinen, und so einen Kessel von ungeahnten Ausmaßen bilden sollten. Sollte dies gelingen, würde sich der größte Teil der Heeresgruppe Mitte in einer eisernen Umklammerung befinden. Auf der deutschen Seite sprach niemand von den Kräfteverhältnissen, aber es erschien eigentlich sehr wahrscheinlich, dass die Sowjets sowohl bei den Soldaten als auch bei den Waffen ein deutliches Übergewicht aufweisen würden. Wäre dies der deutschen Führung näher bekannt gewesen hätte dies sicher Gefühle in der Nähe der Verzweiflung hervorgerufen. 850.000 deutschen Soldaten standen 1.400.000 Rotarmisten gegenüber, 560 deutsche Panzer und Sturmgeschütze würden gegen 5.200 russische antreten müssen, gerade einmal 3.200 deutsche Geschütze würden 31.000 gegnerischen gegenüberstehen. 600 deutsche Flugzeuge würden im Gefecht auf 5.300 sowjetische treffen. Der Kampf war von vornherein entschieden. Weißrussland würde vermutlich in überraschend kurzer Zeit von den Sowjets besetzt sein werden.

Die deutschen Einheiten, die die Verteidigungsstellungen ausgebaut hatten, waren sehr überlegt vorgegangen. Es gab zwei gut angelegte Hauptverteidigungslinien vor Mogilew, danach existierte aber praktisch nichts mehr, nur frei durchstoßbares, aber sehr bewaldetes Hinterland ohne größere Hindernisse. Günther Weber interessierte das momentan überhaupt nicht, er hatte den Auftrag, zusammen mit den anderen Truppen die Stellungen zu halten. Als er die Stellung inspiziert hatte war ihm aufgefallen wie schwach die Ausrüstung mit schweren Abwehrwaffen war. Zwischen der ersten und zweiten Linie waren einige wertvolle Acht-Acht-Flakgeschütze gut getarnt eingegraben worden, wenige 5-Zentimeter-PAK standen mit in der Linie. Weiter hinten waren ein paar Panzer postiert worden, aber diese waren so kostbar, dass man sie nur im Falle eines brutalen und heftigen Einbruchs der Sowjets in den Kampf werfen wollte. Es handelte sich um Panzer IV Ausführung G, also Typen mit der 48 Kaliber langen 7,5-Zentimeter Kampfwagenkanone, Kettenschürzen und breiten Ostketten. Diese Panzer waren ein gutes Beispiel für eine gelungene Kampfwertsteigerung, denn sie waren den T 34 in der Feuerkraft immer noch überlegen. Der mittlerweile übliche Mangel an Panzerabwehrwaffen sollte durch die Ausstattung der Infanterie mit Panzerfäusten ausgeglichen werden. Für Weber war schon allein dieser Fakt ein untrügliches Zeichen für den nahenden Zusammenbruch der Ausstattung mit schweren Waffen. Diese „Westentaschenartillerie“, wie er sarkastisch zu seinen Offizieren sagte, war doch immer ein noch nicht ausgereifter Notbehelf. Mit einer Reichweite von maximal 30 Metern war es eher eine selbstmörderische Waffe, denn der Schütze musste erst einmal in eine günstige Angriffsposition kommen. Eine Bekämpfung feindlicher Panzerkräfte auf Distanz lag also nur bei den starken Rohrwaffen. Wenn die gegnerischen Panzer mit Tempo in die Stellungen eingebrochen wären würde es sehr schwierig werden sie zu vernichten. Aber ein entschlossener und kaltblütiger Soldat mit einer Panzerfaust konnte einen herumkurvenden Kampfwagen vernichten.

Die Russen hatten ihr Vorbereitungsfeuer von der Intensität und der Dauer nach den zu beschießenden Zielen unterschiedlich geplant. Von der Aufklärung ermittelte lohnenswerte deutsche Ziele wurden 90 Minuten unter Beschuss genommen, die Hauptkampflinie und die Verteidigungsstellungen insgesamt 35 Minuten. Die Rohrdichte bei den Russen lag bei rund 180 Geschützen pro Kilometer, aller knapp 6 Meter stand eine Artilleriewaffe. Günther Weber war mit seinen Männern in den Erdbunkern verschwunden und hoffte auf keinen Treffer auf den Unterschlupf. Mit ihm saßen fünf Soldaten in dem nur durch eine flackernde Kerze erleuchteten modrig riechendem Raum. Weber ließ unter seinem Stahlhelm hervor heimlich Blicke schweifen, er beobachtete die Männer. Es waren vier Grenadiere, die ihre Karabiner zwischen die Beine gestellt hatten, der fünfte war ein Unterscharführer, der seine MPi 40 über die Beine gelegt hatte. Drei der Männer waren erfahrene Soldaten, die weiß Gott nicht das erste Mal unter Beschuss lagen. Zwei waren gerade 17Jahre alt und seit drei Wochen in der Einheit.

„Na ja“ sagte einer jetzt „der Iwan muss wohl überzählige Bestände abbauen, dass er so heftig und lange trommelt.“

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