Es fiel ihm zusehends schwerer, sich zusammen zu reißen, doch war ihm klar, dass er seine Reise jetzt nicht einfach ab- oder auch nur unterbrechen konnte. Nein, er musste Vernunft walten lassen und sich in Geduld üben, bis er wieder in Alimante war, wo er - und das schwor er sich bei allen Heiligen, an deren Namen er sich erinnern konnte - eine weitere Nacht mit Mariella verbringen würde, die die letzte sogar noch in den Schatten stellte.
Bei seinen Gedanken spürte Kuja erneut Erregung zwischen seinen Beinen aufsteigen und so zwang er sich, an etwas Anderes zu denken.
Glücklicherweise fiel ihm das nicht so schwer, wie sonst, denn war die vor ihnen liegende Ebene noch immer unter wolkenlosem Himmel sonnenüberflutet, so waren über den Gipfeln des rund sechzig Kilometer entfernten Tandorini-Gebirges erste dichte, dunkle Wolken zu erkennen. Und diese Tatsache zerstob seine erotischen Gedanken, denn ihr Weg in den nächsten Distrikt führte sie geradewegs über dieses Gebirge.
Es war die mit Abstand größte Etappe auf ihrer Reise, insgesamt fast hundert Kilometer lang, doch war sie normalerweise in einem harten Ritt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zu bewältigen.
Aus diesem Grunde hatten sie einen Tag länger in Polina , der letzten Stadt, in der er zur Hochzeit eingeladen hatte, verbracht. Denn natürlich ließ es sich kein Stadthalter nehmen, bei dieser Nachricht selbst ein kleines Fest zu Ehren des Bräutigams und zukünftigen Fürsten zu veranstalten, bei dem es einfach von ihm erwartet wurde, weder Nahrung, noch Getränke zu verschmähen. Meistens gelang es Kuja, das Fest mit der Begründung seines noch weiten Weges durch das Land frühzeitig genug zu verlassen, bevor er betrunken war, aber dennoch spät genug, um niemanden zu beleidigen.
In Polina aber glückte ihm das nicht. Er konnte sich weiß Gott nicht mehr daran erinnern, wie er in sein Bett gelangt war und seine beiden Freunde sagten ihm, dass das schlicht daran lag, dass er sturzbetrunken gewesen sei.
Der Kater am nächsten Morgen strafte sie leider keine Lügen und so fiel der Beginn ihrer Abreise noch vor Sonnenaufgang gründlich ins Wasser. Doch die Reise über das Tandorini-Gebirge zu ihrem nächsten Ziel Santarole im äußersten Osten war bei einem späteren Start nicht an einem Tag zu schaffen. Zwar hätten sie die Nacht auch in den Bergen verbringen können, doch hatte keiner von ihnen Lust auf das kühle und raue, vor allem aber tückische, weil sehr wechselhafte Wetter in über zweitausend Metern Höhe.
Deshalb beschlossen sie, noch einen Tag länger in Polina zu bleiben und ihren Pferden eine Ruhepause zu gönnen, um dann am heutigen Tage wie geplant vor Sonnenaufgang zu starten.
Und genau so war es auch gekommen.
Vor etwa einer Stunde waren sie losgeritten und hatten anfangs auch eine gute Distanz zurückgelegt, doch seit ein paar Minuten schien der Schlendrian Einzug gehalten zu haben.
Kuja schätzte, dass sie gute zehn Kilometer zurückgelegt hatten und war guten Mutes, dass sie die ersten Ausläufer des Gebirges noch deutlich vor der Mittagszeit erreichen würden, als er erkennen musste, dass er allein ritt und der Rest des Trupps zurückgefallen war.
Also stoppte er auf der kleinen Anhöhe ab und während er den Ausblick über sein Reich genoss, wartete er darauf, dass die anderen aufschlossen.
Der erste, der ihn erreichte, war Tizian.
Der hochgewachsene, schlanke Mann war ein Jahr älter als Kuja. Er hatte schulterlanges, blondes Haar und leuchtend blaue Augen. Sein Gesicht war ebenmäßig und ein sanftes Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen. Seine Haltung war aufrecht, sein Körper zeigte jedoch nur geringe Muskelbildung, wirkte aber dennoch geschmeidig.
Auf Frauen machte er einen attraktiven Eindruck. Tizian aber war noch nicht verheiratet und Kuja wusste, dass dem auch niemals so sein würde, denn sein Freund liebte sein eigenes Geschlecht viel mehr, als das weibliche. Homosexualität war im Fürstentum nicht weit verbreitet und obwohl es stillschweigend geduldet wurde, achtete Tizian sehr auf Diskretion.
Kuja hatte mit der sexuellen Ausrichtung seines Freundes kein Problem, akzeptierte aber, dass Tizian zurückhaltend damit umging und achtete darauf, dass niemand hinter sein Geheimnis kam.
"Ah!" stöhnte Tizian erfreut und mit einem tiefen Atemzug auf, nachdem er sein Pferd neben Kuja zum Stehen gebracht hatte. "Ist das nicht ein wundervoller Anblick?" Seine Augen leuchteten, als er seinen Blick ebenfalls über die vor ihnen liegende Ebene schweifen ließ.
Kuja nickte eher gelangweilt. "Schon. Nur steht mir gerade nicht der Sinn danach!"
"Wieso?" fragte Tizian und sah den Fürstensohn mit großen Augen an. "Was ist denn?"
In diesem Moment kam Giovanni zu ihnen heran, ritt auf die andere Seite von Kuja und stoppte ab. "Stimmt etwas nicht?" fragte er mit ernster Miene. Er war so ziemlich das genaue Gegenteil von Tizian. Groß, braungebrannt, muskelbepackt, kampferprobt. Seine schwarzen Haare waren zu einem sehr kurzen Stoppelschnitt gestutzt, ebenso sein Vollbart. Seine eisgrauen Augen funkelten im Licht der Sonne fast weiß. Giovanni war einige Monate jünger, als Kuja. Auch er war noch nicht verheiratet, wenngleich er, wenn auch auf eine grundlegend andere Art und Weise, wie Tizian, sehr attraktiv auf das weibliche Geschlecht wirkte. Und Giovanni war weiß Gott kein Kostverächter, hatte schon Dutzende von Frauen gehabt, allerdings niemals sehr lange. Das Militär sei seine wahre Liebe, sagte er immer, doch Kuja war sicher, dass Giovanni nur noch nicht die richtige Frau für sich gefunden hatte. Wenn es soweit war, würde er auch heiraten, denn der muskelbepackte, kantig wirkende Mann hatte ein Herz aus purem Gold und war äußerst kinderlieb. Kuja wusste, dass er für sich selbst einen Erben wünschte, dem er alles beibringen konnte, was er vom Leben wusste.
Zurzeit war Giovanni noch Offizier der fürstlichen Garde, doch Kuja hatte sich längst vorgenommen, seinem Freund ein Kommando in einer der Distriktstädte zu verschaffen, wenn er erst einmal die Krone trug.
Kuja verzog die Mundwinkel. "Wir sind zu langsam!" erklärte er und blickte dabei nach hinten. Dort hatten Moretti und seine Männer mittlerweile ebenfalls aufgeschlossen.
Giovanni lächelte. "Keine Sorge, mein Freund! Wir sind schnell genug!"
Doch Kuja war da anderer Meinung. "Seht ihr die Wolken dort über den Gipfeln?" Er deutete nach vorn. "Das sieht nach Regen aus!"
"Regen?" Tizian lachte leise auf. "Das soll wohl ein Scherz sein, hör mal?" Er schüttelte den Kopf. "Sieh dir den Himmel an. Sonne, soweit das Auge reicht. Und das wird auch so bleiben. Wenn wir das Gebirge erreicht haben, haben sich diese kleinen Miniwölkchen da längst verdrückt!" Tizian sprach mit voller Überzeugung.
Er war der Sohn eines der mächtigsten Kaufleute im Land. Doch er würde nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten, sondern hatte sich der Wissenschaft verschrieben. An der Hochschule von Alimante war er der persönliche Assistent von Professor Donotari, dem klügsten Kopf im Fürstentum und wohl auch der gesamten bekannten Welt. Und da Tizian selbst ebenfalls hochintelligent war, lernte er jeden Tag wertvolles Wissen von ihm. Eines der Forschungsgebiete der beiden war die Meteorologie. Ja, sie erforschten tatsächlich das Wetter, dachte Kuja amüsiert, wenngleich er den Ernst darin durchaus sah. Schließlich geschah es zum Wohl der Menschen, denn mit ihren Beobachtungen und Aufzeichnungen versuchten sie verlässliche Vorhersagen, etwa für die beste Zeit der Aussaat oder Ernte zu treffen, oder gar eine Prognose für die zu erwartende Ernte.
Doch zeigte sich schon bald, dass die Erforschung des Wetters unendlich schwierig war, denn es hielt sich meist nie an Regeln oder Vorhersagen, weshalb Tizian und der Professor bisher nur geringe Erfolge zu verzeichnen hatten.
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