Einen Lidschlag später schrie Moretti kurz auf, seine gesunde rechte Hand zuckte hinauf zu seiner Kehle, er begann zu röcheln.
Kuja versuchte Atem zu holen, doch es klang quälend und auch er röchelte schwer.
Nun begann Moretti zu würgen, weil es ihm nicht mehr gelang, Luft in seine Lungen zu bekommen. Seine Augen wurden immer größer, sein Körper begann zu zittern.
Der Fürst wankte, stieß rücklings gegen den Tisch, seine Beine gaben unter ihm nach. Mit einem letzten verzweifelten Atemzug, der ihm nicht gelang, sank er vollständig zu Boden, wo er reglos liegen blieb.
Dem Kommandanten erging es kaum anders. Er sackte ruckartig auf seine Knie, seine Hände krampften um seine Kehle, doch auch ihm wurde der lebensrettende Sauerstoff verwehrt. Nur einen Augenblick, nachdem Kujas Kampf endete, kippte sein Oberkörper nach hinten und er schlug reglos zu Boden.
Dann schien sich Totenstille ausbreiten zu wollen und diesem bizarren, furchtbaren Szenario ein Ende zu bereiten.
Doch nur beinahe...
Kuja
Der schwarze Hengst erklomm die kleine Anhöhe mühelos.
Kuja gebot ihm anzuhalten und während er auf den Rest seines kleinen Trupps wartete, ließ er den Blick über die vor ihm liegende Ebene schweifen. Es war ein prachtvolles Land, das sich vor ihm auftat. Fruchtbare Felder voller Getreide und Gemüse, tiefgrüne Wälder voller gutem Bauholz, etliche Obstbäume, saftige Wiesen mit vielerlei Nutzvieh, durchzogen von natürlichen Wasserläufen und Seen mit glasklarem Inhalt, welcher im Licht der strahlenden Sonne am wolkenlosen Himmel funkelte wie lupenreine Diamanten.
Dazwischen konnte er mehrere Dörfer erkennen. Es waren nur kleine Ansiedlungen, doch die Häuser waren geräumig und in einem ordentlichen Zustand.
Ihre Einwohner, die aus dieser Entfernung auf Kuja wie Ameisen wirkten, gingen auf den Feldern und in den Dörfern ihren Arbeiten nach.
Ein weiterer arbeitsreicher Tag für das eigene Wohl und das des Fürstentums.
Seit über dreißig Jahren herrschte Frieden, sowohl innerhalb des Volkes, als auch mit den benachbarten Reichen. Die Politik und die Führung des Fürsten waren besonnen, gerecht und dennoch herzlich. Er und auch seine Familie wurden vom Volk geliebt. Sein Leitsatz lautete: Das Land ist für das Volk da, der Fürst für die Menschen.
Zufriedene Bürger waren die Regel, nicht die Ausnahme. Es galt das gleiche Recht für alle, ungeachtet des Standes, es gab freie Berufswahl und Frauen waren in nahezu allen Bereichen den Männern gleichberechtigt und wurden auch gleichbehandelt. Es gab privates Eigentum, wie Bauernhöfe, Schmieden, Kaufläden, etc., für das jeder Besitzer eigenverantwortlich war, und es gab öffentliches Eigentum, wie Straßen, Schulen, Versammlungshallen, Verwaltungsbehörden, für die alle gleichermaßen verantwortlich waren.
Die Steuerlast war absolut erträglich und lag zurzeit bei einem Fünftel, wobei dieser Betrag letztlich noch einmal in vier gleiche Teile aufgeteilt wurde.
Zwei Teile flossen direkt dem Fürsten zu. Einer davon war jedoch dem Militär vorbehalten, um damit die Grenzen des Fürstentums dauerhaft zu sichern. Der andere Teil stand dem Fürsten und seiner Familie zum Leben zu, wobei hiervon auch die Instandhaltung der Herrscherburg bezahlt werden musste.
Ein dritter Teil ging an die Distriktverwaltungen. Das Fürstentum war in gut zwei Dutzend Bezirke unterteilt, wobei der Verwaltungssitz in der dort jeweils größten Stadt untergebracht war. Von diesem Anteil musste der öffentliche Besitz des Distrikts instand- und die innere Ordnung aufrechterhalten werden.
Der vierte und letzte Teil verblieb direkt in jedem einzelnen Dorf und diente als Rücklage für erntearme Zeiten, sowie für die Anschaffung neuer, notwendiger Maschinen.
Innerhalb des Fürstentums herrschte die allgemeine Schulpflicht. Jedes Kind im Alter von vier Jahren musste vormittags die Schule besuchen und das für mindestens sechs Jahre. Erst dann waren ein Ausscheiden und somit ein Wechsel in die Arbeitswelt möglich. Für besonders begabte Jungen und Mädchen gab es danach die Möglichkeit ein Stipendium zu bekommen, das eine weitere Ausbildung bei freier Kost und Logis an der Hochschule von Alimante ermöglichte, um hochqualifiziertes Fachpersonal zu erhalten.
Ja, das Fürstentum Carracassini war ein großes und mächtiges Herrscherhaus, das von seinen Einwohnern geliebt und von seinen Nachbarn geachtet wurde.
Und das nun schon seit mehr als dreißig Jahren.
Kujas Großvater hatte es seinerzeit geschafft, das Volk wieder zu vereinen und einen dauerhaften inneren und äußeren Frieden zu erlangen.
Kujas Vater hatte das Erbe seines Vaters übernommen und weiter ausgebaut und mittlerweile profitierten nicht nur das eigene Volk, sondern auch die umliegenden Fürstentümer jeden Tag immer tiefgreifender von dieser stabilen Konstellation.
Auch er, Kuja, schwor sich diesen wunderbaren Weg mit der ganzen Kraft seines Herzens weiter zu gehen, damit auch nachfolgende Generationen noch davon zehren konnten.
Und dieser Schwur war weiß Gott nicht einfach nur so daher gesagt für einen weit entfernten, ungewissen Tag seiner eigenen Machtübernahme. Oh nein!
Denn Kuja wusste, dass er in nicht einmal vier Wochen mit der Heirat seiner geliebten Mariella seinem Vater auf den Fürstenthron folgen würde.
Bei diesem Gedanken machte Kujas Herz einen freudigen Satz. Nicht nur, dass ihm der Herrgott mit Mariella die atemberaubend schönste, intelligenteste, liebevollste und leidenschaftlichste Frau, die es nur geben konnte, offenbart hatte, nein, er durfte sie alsbald sogar zur Frau nehmen und würde somit am selben Tag gleichermaßen zum neuen Fürsten ernannt werden.
Diese uralte Tradition sollte verhindern, dass der Fürstenthron zu lange von einer Person gehalten wurde und gleichzeitig, dass der Herrscher dieses Landes stets aus der Generation hervorging, deren Tatkraft am höchsten war.
Und so würde Kuja schon bald seinem Vater auf den Thron folgen, ihn aber natürlich weiterhin als sehr engen Vertrauten in seiner Nähe behalten.
Eigentlich hätte Kuja ein wirklich glücklicher Mann sein können, doch gerade im Moment war er es nur bedingt.
Denn in dem Fürstentum gab es vielerlei Traditionen und neben der, als Erstgeborener bei der eigenen Hochzeit auch den Thron zu besteigen, war er verpflichtet, die Stadthalter der Distrikte in den Wochen davor persönlich zu diesem Fest einzuladen.
Und so war er, zusammen mit seinen beiden besten Freunden, Giovanni und Tizian, sowie einer sechsköpfigen Leibgarde unter der Führung von Kommandante Moretti vor nunmehr drei Wochen aus Alimante aufgebrochen, um alle siebenundzwanzig Distrikte aufzusuchen und der Tradition gerecht zu werden.
Hierzu würden sie noch etwa weitere zwei Wochen benötigen, bevor sie wieder nach Alimante zurückkehren konnten.
Eigentlich fand Kuja diese Tradition auch richtig und sinnvoll, weshalb er nicht gezögert hatte, als sein Vater ihn dazu aufforderte.
Er liebte sein Heimatland und die Menschen darin. Er war stolz darauf, hier leben zu dürfen, fühlte sich tief verpflichtet in dem Privileg, es alsbald zu regieren und freute sich darauf, es in eine weiterhin glorreiche, wundervolle Zukunft führen zu dürfen.
Doch spürte er mit jedem neuen Tag eine immer größer werdende Sehnsucht nach seiner geliebten Mariella. Zwar hatte er vor seiner Abreise eine wahrhaft denkwürdige Nacht mit ihr verbracht, in der beide mehrmals zum Höhepunkt gekommen waren, doch reichte dies natürlich nicht aus, um eine derart lange Durststrecke zu überbrücken. Immer wieder musste Kuja daran zurückdenken, war dann anfangs fast schon entsetzt darüber, dass die Erinnerungen scheinbar bereits zu verblassen drohten, nur um sich daraufhin noch intensiver darauf zu konzentrieren, bis er schließlich schier wahnsinnig bei dem Verlangen nach ihr wurde.
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