Allen war klar, dass sie hier nicht viel länger bleiben konnten und Schutz in einer Höhle suchen mussten. Also hielten sie angestrengt Ausschau danach.
Die immer und immer wieder aufflammenden Blitze halfen hierbei sogar, tauchten sie ihre ansonsten in einen dunklen, grauen Schleier gehüllte Umgebung doch für Sekundenbruchteile in grelles Licht.
Und bei einem dieser Blitze konnte Tizian es erkennen: Ein großes, tiefschwarzes Loch, eindeutig eine Höhle, groß genug für sie alle, direkt über ihnen, vielleicht zwanzig Meter entfernt. "Da!" rief er dann auch aus so laut er konnte, um den anschließenden Donner zu übertönen und deutete gleichzeitig mit dem rechten Arm in die entsprechende Richtung. Nicht alle schienen ihn gehört zu haben, denn nur Kuja, Moretti und zwei seiner Leute wandten ihre Blicke in seine Richtung, konnten aber natürlich nichts mehr erkennen, da sich die Umgebung bereits wieder verdunkelt hatte.
Doch als wollte der Herrgott ihnen einen sicheren Ort zuweisen, flammte schon eine Sekunde später ein weiterer Blitz auf, der dieses Mal nicht irgendwo auf dem Weg zur Erde endete, sondern mit einem irrsinnig lauten Knall auf den hinteren Bereich des Höhlendaches krachte und für Augenblicke zusätzlich zu seinem normalen Licht auch noch ein heftiger Funkenflug zu sehen war. Dieses Schauspiel zog die Aufmerksamkeit aller auf sich und jeder konnte jetzt die große Höhe direkt über ihnen erkennen.
"Los, rein da!" brüllte Moretti, doch gerade, als sich alle dorthin umgewandt hatten, war ein tiefes, mächtiges Grollen zu hören, dass ganz eindeutig kein Donner war. Zeitgleich konnten alle eine zunächst nur leichte, aber sehr schnell sehr viel deutlicher werdende Erschütterung des Felsbodens spüren. Doch bevor sich noch irgendeiner von ihnen fragen konnte, welchen Ursprungs sie sein mochte, schoss eine riesige Welle aus der Höhle über ihnen hervor und ein mächtiger Schwall gewaltiger Wassermassen, die mit Unmengen an Geröll vermischt waren, donnerte auf sie zu.
Augenblicklich begannen alle wild zu schreien und rissen ihre Pferde nach rechts, wo einige größere Felsbrocken Sicherheit versprachen. Die Tiere spürten die Panik der Menschen und wieherten angstvoll.
Dann schoss das Wasser brüllend den Hang hinab und riss alles mit sich, was sich ihm in den Weg stellte.
Nur ihrer ausgezeichneten, körperlichen Konstitution und dem hervorragenden Umgang mit ihren Pferden hatten sie es zu verdanken, dass sie nicht von der Flutwelle erfasst wurden. Gerade noch rechtzeitig erreichten sie die schützenden Felsen, wenngleich sie dabei trotz Regenkleidung nass bis auf die Knochen wurden.
In den nächsten Sekunden atmeten alle erst einmal tief durch und mussten den Schrecken verdauen.
"Sind alle okay?" rief Kuja dann und blickte in die Runde. Er erntete überall ein Nicken. Er wollte gerade durchatmen, als er stutzte. "Wo ist Giovanni?" Er sah sich nochmals um, konnte ihn aber nirgendwo erkennen.
"Er war direkt neben mir!" erklärte Tizian. "Ich bin mir sicher, dass auch er ausweichen konnte!" Sein Blick war jedoch längst nicht so zuversichtlich, wie seine Worte.
"Und wo ist er dann?" fragte Moretti.
Darauf wusste Tizian im Moment auch keine Antwort.
"Oh nein, verdammt!" rief Kuja und starrte nervös mit großen Augen bergab. "Sucht ihn! Na los!" Er selbst riss sein Pferd herum und sein Blick zuckte umher, doch noch immer war der Regen so dicht, dass man kaum mehr als ein paar Meter weit sehen konnte. "Macht schon!" rief er erneut und spürte, wie sich zu seiner Nervosität auch Angst gesellte.
Die anderen Männer taten wie geheißen. Es entstand eine gewisse Unruhe, die durch das Wiehern der Pferde noch verstärkt wurde.
"Macht nicht so einen Lärm!" donnerte dann plötzlich Giovannis Stimme durch den grauen Regenvorhang. Augenblicklich erstarrten alle in ihren Bewegungen. Die meisten sahen sich verdutzt an, einige blickten in die Richtung, aus der sie die Stimme glaubten gehört zu haben.
Als Giovanni dann nur einen Lidschlag später triefnass, aber ruhig und langsam wie aus dem Nichts in ihre Mitte ritt, war Tizian derart überrascht davon, dass er beinahe entsetzt aufschrie. "Oh Gott!"
"Danke!" erwiderte Giovanni trocken und ausdruckslos. "Aber das ist zu viel der Ehre!" Er grinste kurz schief und freudlos und wandte sich dann an Kuja. "Was soll der Lärm?"
"Wir dachten, du wärst...!" Der Fürstensohn deutete in die Tiefe.
Wieder grinste Giovanni schief, dieses Mal aber doch etwas belustigt. "Blödsinn! Aber während ihr euch in die Hosen geschissen habt, habe ich mich hier mal umgesehen!"
"Umgesehen?" Tizian starrte ihn mit großen Augen an.
Giovanni nickte. "Und auch was gefunden!"
"Eine weitere Höhle?" fragte Kuja.
Giovanni sah seinen Freund an, dann begannen seine Augen zu funkeln und er grinste breit. "Kommt mit und seht selbst!" Dabei machte er mit dem Kopf ein Zeichen, ihm zu folgen und schon huschte er wieder in die Richtung, aus der er so plötzlich gekommen war.
Seine Aufforderung ließ sich natürlich niemand zweimal sagen und alle folgten ihm dichtauf.
Zunächst verblieb er noch auf seinem Pferd, dass Moretti sich schon fragte, wie weit zum Teufel Giovanni in dieser kurzen Zeit seiner Abwesenheit wohl gekommen sein mochte, als er abstieg. Er blickte die anderen an und deutete ihnen an, ihm weiter zu folgen.
Giovanni erklomm einen kleinen Anstieg, auf dessen Kuppe einige mittelgroße Felsbrocken dicht beieinanderstanden. Als er sie erreicht hatte, stellte er sich aufrecht dahinter und wartete auf den Rest des Trupps. Dann deutete er über die Felsen hinweg. "Da!" sagte er nur.
Die anderen drängten sich zusammen und blickten in den Regen. Anfangs konnten sie eigentlich nichts erkennen, doch allmählich schälten sich Konturen heraus. Es war zu sehen, dass der Boden hinter den Felsen deutlich stärker abfiel, als auf dieser Seite und schließlich auf einem doch ziemlich großen Hochplateau endete, welches zu den anderen Seiten hin wiederrum durch mehr oder weniger steile Felswände umrahmt wurde.
Kuja konnte einen Bach dort erkennen und auch einen ziemlich großen Kiefernhain, als er plötzlich stutzte. Da war Rauch! "Ist das ein Haus?" fragte er sichtlich überrascht und sah Giovanni mit großen Augen an.
Sein Freund nickte mit einem weiteren Grinsen. "Mehr als das!" sagte er und deutete auf den hinteren Bereich des Plateaus, wo weitere Schornsteine und Dächer zu erkennen waren. "Da ist ein ganzes Dorf!"
Die Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen oblag natürlich Kuja, doch zögerte der nur wenige Augenblicke.
Giovanni hatte Recht: Im Moment war ein Abstieg viel zu gefährlich. Und die Aussicht auf ein trockenes Dach über dem Kopf, ein warmes Feuer und etwas zu essen und zu trinken, war wirklich sehr verlockend. Außerdem schien es Kuja, als würde das Gewitter allmählich davonziehen. Vielleicht hatten sie ja Glück und es würde in einer Stunde oder so möglich sein, wieder aufzubrechen. Bestimmt gab es in dem Dorf dort unten Jemanden, der einen sicheren und schnellen Weg hinab ins Tal kannte. Dann konnten sie die verlorene Zeit womöglich sogar aufholen.
Also stimmte Kuja zu und der Trupp machte sich auf den Weg auf das Plateau.
Sie benötigten keine fünf Minuten und hatten den Abstieg hinter sich gebracht.
Tatsächlich war mittlerweile deutlich zu spüren, dass das Gewitter nach Norden davonzog und auch der Regen ließ immer weiter nach.
Das bestätigte Kuja in seiner Entscheidung und auch in seiner Hoffnung.
Mit einem jetzt deutlich besseren Blick über das Plateau erkannte er, dass es sich bei dem ersten Haus, dass sie gesehen hatten, um einen kleinen Bauernhof handelte. Es gab zwei recht große Ställe, einige umzäunte Wiesen, auf denen Ziegen, Schweine und auch Hühner zu sehen waren. Im Haupthaus brannte Licht und aus dem Schornstein stieg Rauch.
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