Linguri brauchte gut zehn Minuten, um den Trank zuzubereiten.
In dieser Zeit musste Torrini Avato immer wieder davon abhalten, das restliche Bier aus dem Krug, der immerhin noch halb voll war, zu trinken. Kuja, Giovanni und Tizian kamen derweil mit den Gästen ins Gespräch, wobei es ihnen nicht immer leichtfiel, sich als Kaufleute auszugeben und ihre wahre Identität zu verbergen.
Dann kam der Koch mit einem großen Becher aus der Küche. Mittlerweile wusste natürlich jeder in der Schankstube, was vor sich ging und alle verfolgten aufmerksam Linguris Weg zum Tisch der Fremden. Dort stellte der Koch den Becher direkt vor Avato. Der Inhalt war tiefschwarz, er dampfte und er stank absolut erbärmlich.
"Oh Mann!" stieß Giovanni hervor und musste sich wegdrehen. Tizian hielt die Hand vor den Mund, ebenso Torrini. Avato starrte nur mit riesengroßen Augen darauf. Kuja riss sich zusammen und behielt sein Lächeln bei, obwohl er sich eigentlich lieber übergeben hätte.
"Du hast da was falsch verstanden!" brummte Avato.
Linguri sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Du sollst mich ausnüchtern, nicht umbringen!"
Der Koch lachte heiser auf. "Eben drum!" sagte er. "Das Zeug riecht zwar wie schon mal verdaut, dafür hilft es aber!" Er nickte Avato zu. "Also mach schon, runter damit!"
Avato starrte erst den Koch, dann den Becher an. Schließlich aber brummte er wieder, schob beide Hände auf den Tisch und legte sie darum.
"Ich habe es erhitzt!" erklärte Linguri Kuja leise. "Das erhöht die Wirkung noch!" Dann blickte er wieder zu Avato.
Dessen Mut schien in einer Sekunde vollkommen geschwunden zu sein, bevor er den Becher mit leuchtenden Auge ansah, nochmals brummte, ihn daraufhin fest umklammerte, dann tief einatmete und den Inhalt in einer schnellen, flüssigen Bewegung in sich hineinstürzte.
"Nein, Halt!" rief Linguri noch. "Doch nicht alles!"
Aber es war bereits zu spät. Avatos Kopf zuckte wieder nach vorn und der Becher krachte mit einem lauten Knall zurück auf den Tisch. Das Gesicht rot angelaufen, waren seine Augen scheinbar noch größer geworden. Außerdem glänzten sie, dass man meinen konnte, er würde weinen. Avato hatte seinen Atem angehalten, sein Körper war stocksteif. Sein Blick zeigte eine Mischung aus Überraschung, Entsetzen und Hilflosigkeit.
Kuja war sich nicht sicher, ob sein Gegenüber platzen, kotzen oder einfach nur durch einen simplen Herzinfarkt sterben würde.
Doch Avato tat nichts dergleichen, stattdessen löste sich ein Rülpser aus seinem Innersten, der an Tiefe, Lautstärke, Länge und Rohheit wohl kaum noch zu überbieten war.
Der Geruch, der dabei seinem Mund entströmte, konnte kaum von dieser Welt sein. Kuja musste sich wirklich zusammenreißen, um sich nicht lautstark zu übergeben.
Avato aber schien es deutlich besser zu gehen, denn ihm entfuhr ein langes, erleichtertes "Ahhh!", dem ein Lächeln folgte. Allerdings nur für einen kurzen Augenblick, dann wurde daraus ein beinahe schon entsetztes. "Oh...oh!" Mit weit aufgerissenen Augen und sofort wieder krebsrot glühendem Gesicht sprang er auf, schob Torrini mit den Worten "Weg, weg!" und hektischem Händefuchteln beiseite und rannte dann breitbeinig, aber so schnell er konnte aus der Schankstube in den hinteren Bereich des Hauses.
Alle schauten ihm in einer Mischung aus Überraschung, Unverständnis und Schadenfreude hinterher und hofften, dass es ihm noch rechtzeitig genug gelungen war, das Klo aufzusuchen, bevor sein Darm unkontrolliert ausbrach und sich die Sauerei überall verteilte.
Dann erfüllte schallendes Gelächter die Schankstube.
Kaum war das einigermaßen verklungen und Linguri hatte ihnen erklärt, dass sie jetzt etwas Geduld haben mussten, wurde die Außentür zur Schankstube geöffnet und Torrinis Junge, gefolgt von Moretti, kam herein.
Kuja registrierte das im ersten Moment erst gar nicht. Erst als das Gelächter offener Neugierde wich, sah er den Kommandanten der Leibwache auf sich zukommen. Torrinis Junge hatte ein breites, gewichtiges Grinsen auf den Lippen. Offensichtlich gefiel er sich in Begleitung des Hünen.
"Herr!" Moretti nickte Kuja zu, als er an seinem Tisch angelangt war.
Der Fürstensohn erhob sich daraufhin ruckartig und raunte seinem Kommandanten leise zu. "Still! Es soll hier keiner wissen, wer wir sind!"
Moretti sah seinen Herrn zunächst etwas überrascht an, doch dann nickte er erneut. "Ich verstehe!"
"Warum seid ihr überhaupt hier?" setzte Kuja etwas gereizt nach. "Ich hatte euch einen Befehl erteilt!"
"Tut mir leid!" erklärte Moretti. "Aber ihr seid schon so lange fort, dass ich selbst nach dem Rechten sehen wollte!"
"Es ist alles in Ordnung!" erwiderte Kuja. "Vielleicht bekommen wir ja auch noch unseren Führer für heute!"
Moretti nickte stumm.
"Was ist mit den beiden Frauen?" hakte Kuja nach.
"Keine Sorge!" erklärte der Kommandant mit ernster Miene. "Sie haben sich im Griff!"
"Gut!" meinte Kuja. "Also setzt euch schon, bevor den anderen noch die Augen ausfallen!" Denn er konnte sehen, dass Moretti nicht nur noch immer angestarrt, sondern dass auch vielfach getuschelt wurde. Kuja konnte nur hoffen, dass Linguris Trank schnell genug wirkte, bevor ihre Lüge doch noch aufflog.
Zehn weitere Minuten später aber war Avato noch immer nicht wieder zurück, doch Linguri erklärte mit einem breiten Grinsen, dass der Alkohol erst seinen Weg aus dem Körper finden müsse. Grund zur Sorge sah er ganz offensichtlich noch immer keinen.
Die fröhliche Stimmung unter den Gästen hatte angehalten und es waren lockere Gespräche entstanden, in die die Fremden allerdings nicht mehr eingebunden waren. Kuja wusste, dass dies kein gutes Zeichen war und die Gespräche wohl tatsächlich längst nicht so locker verliefen, wie sie wirken sollten. Torrini sah immer wieder zu ihm, doch gab er dem Bauern zu verstehen, dass er nicht vorhatte, sich zu offenbaren.
Vor fünf Minuten war Tizian aufgestanden und wollte nach Avato sehen. Als auch er nicht zurückkehrte, folgte ihm Kuja mit steigender Nervosität. Er fand seinen Freund vor dem Toilettenraum. Schon als er nähertrat, wallte ihm ein furchtbarer Geruch entgegen, dass er Mühe hatte, Atem zu finden. Dann hörte er aus dem Raum dahinter tiefes, gequältes und teilweise auch schmerzhaftes Stöhnen, gepaart mit den typischen Geräuschen, die ein Mensch verursachte, der erhebliche Verdauungsprobleme hatte. Außerdem konnte Kuja hören, wie Avato sich gleichzeitig erbärmlich erbrach. "Und?" fragte er Tizian dennoch.
"Das kommt bei ihm oben und unten raus!" erwiderte sein Freund mit fast schon gequält wirkender Miene. "Du hörst es ja selbst!"
Kuja nickte mit verzogenen Mundwinkeln.
"Und das geht jetzt schon die ganze Zeit!" meinte Tizian weiter. "Ich weiß echt nicht, wo er das alles herholt?"
Kuja brummte mürrisch. Es mochte ja sein, dass Avato nach Linguris Prozedur wieder nüchtern war, dafür aber wäre er wohl so schlapp, dass er sie dennoch nicht würde führen können.
Plötzlich war hinter der verschlossenen Tür ein noch lauteres, tieferes, längeres und erbärmlicheres Stöhnen zu kören, als schon zuvor. Tizian und Kuja blickten sich unsicher an.
"Ist er jetzt vollends von der Welt gegangen?" fragte Giovanni mit einem breiten Grinsen.
Seine beiden Freunde waren sichtlich überrascht, ihn hier zu sehen, denn sie hatten ihn nicht kommen hören.
Tizian zuckte in den Schultern. "Keine Ahnung. Vielleicht...!?"
Tatsächlich war in den nächsten Augenblicken auch nicht einmal mehr ein Piep von Avato zu hören. Es war beinahe totenstill geworden.
"Das ist mir zu ruhig da drinnen!" raunte Kuja, halb besorgt, halb verärgert. Er trat einen Schritt vor und wollte schon das rechte Bein heben, um die Tür mit einem wuchtigen Tritt auszuhebeln, als plötzlich deutlich der Riegel zu hören war. Der Fürstensohn stoppte ab und zusammen mit seinen beiden Freunden starrte er auf die Tür.
Читать дальше