"Mein Sohn!" Marietta krabbelte jetzt über das Bett auf ihn zu.
Kuja starrte sie wieder entsetzt an. "Verdammtes Miststück!" zischte er.
Im selben Moment hörte er ein Klopfgeräusch. Sein Kopf wirbelte herum und er war höchst erstaunt, Tizian und Giovanni zu sehen, die direkt vor dem Fenster auf der anderen Seite des Bettes standen. Sie winkten ihn zu sich und Giovanni drückte gleichzeitig den Rahmen auf.
Das ließ sich Kuja nicht zweimal sagen. Ohne zu zögern rannte er quer über das Bett auf sie zu.
Burini stieß die Schlafzimmertür auf und rief gleichzeitig noch einmal den Namen seiner Frau. Seine Stimme war hörbar verärgert, sicherlich auch, weil das Kind im Nebenraum jetzt lauter schrie.
Als er in den Raum trat, blieb er nach einem Schritt wie angewurzelt stehen.
Was er sah, war seine Frau, die stocksteif vor dem Bett stand, gerade noch ihr halbdurchsichtiges Seidennachthemd vor den Körper ziehend, und ihn mit vor Entsetzten geweiteten Augen anstarrte. Deutlich war zu erkennen, dass sie darunter nackt war. Dann sah er das zerwühlte Bett und quasi zeitgleich konnte er Bewegung vor dem Fenster ausmachen, als Kuja mit einem Kopfsprung durch die Öffnung ins Freie hechtete. Burini registrierte aber, dass da ein Mann, ein nackter Mann, das Weite suchte.
Sein Kopf wirbelte herum und er starrte Marietta wutentbrannt und hasserfüllt an. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr. "Hure!" zischte er und schon krachte der Rücken seiner rechten Hand hart in ihr Gesicht. Marietta schrie auf und sackte zurück aufs Bett.
Burini aber war zu diesem Zeitpunkt schon zum Fenster gerannt. Er spähte hinaus, riss seine Waffe von der Schulter, visierte an und schoss.
*
Kuja flog durch das Fenster ins Freie und hatte Glick, das sich dahinter durch den Regen aufgeweichter Boden befand. So gelang ihm eine halbwegs saubere Rolle. Auch verlor er dabei keines seiner Kleidungsstücke.
Während Tizian ihn ziemlich geschockt ansah, musste Giovanni sogar kichern.
Doch alle drei waren sich auch ohne Worte einig, dass es elementar wichtig war, so schnell, als möglich von hier zu verschwinden.
Also nahmen sie ihre Beine in die Hände und rannten, was das Zeug hielt.
Etwa zehn Meter hinter dem Haus gab es einen kleinen Schuppen, links daneben eine recht große, aber verkrüppelte Eiche. Darauf hielten die drei zu. Sie hatten sie gerade erreicht, als hinter ihnen ein hohles Geräusch erklang, dann eine Art Zischen. Einen Lidschlag später schlug ein kurzer, aber massiver Metallbolzen in den Stamm der Eiche.
Tizian erschrak und stieß einen kurzen Schrei aus. Es war klar, dass dieses Projektil nur von Burini abgegeben worden sein konnte. Der Blonde musste erkennen, dass es sich bei der Waffe, die dieser Hüne besaß, nicht um ein normales Gewehr, sondern um ein Bolzenschussgerät mit Trommelmagazin handelte, denn nur einen Augenblick später zischte ein zweites Projektil dicht an ihnen vorbei. Außerdem war zu hören, dass der Riese aus dem Fenster kletterte und hinter ihnen herrannte.
Kuja, Giovanni und Tizian hetzten weiter voran.
Hinter dem Schuppen gab es eine kleine Baumgruppe mit vielleicht zwanzig Kastanien. Dahinter konnten sie bereits den steilen Hügel erkennen, der aus dem Plateau hinaus auf den Berg führte.
Instinktiv hielten sie sich jedoch rechts, um an dem Schuppen vorbei auf der anderen Seite wieder zurück zum Wirtshaus zu gelangen. Doch sie mussten feststellen, dass der Hügel dort so dicht an den Schuppen heranreichte, dass sie nicht hindurchschlüpfen konnten.
Zurück konnten sie aber auch nicht, da sie bereits hörten, dass Burini schnell näherkam.
Also blieb ihnen nur die Flucht durch die Kastanienbäume den Hügel hinauf.
Obwohl der Anstieg alles andere als einfach zu nehmen war, trieb sie ihre Angst vor dem Riesen derart an, dass sie ihn in Rekordzeit hinter sich bringen konnten. Oben angelangt, lagen einige größere Felsbrocken vor ihnen. Hinter einem stoppten sie keuchend und japsend ab. Tizian und Giovanni blickten sich um, doch konnten sie Burini nirgendwo erkennen. Kuja machte sich schnell daran, sich anzuziehen, da er ja noch immer nackt war.
"Alter, der meint es wirklich ernst!" schnaufte Giovanni.
"Da hat er ja wohl auch jedes Recht zu, oder?" erwiderte Tizian und sah Kuja vorwurfsvoll an.
"Ehrlich Leute!" erklärte der Fürstensohn. "Das habe ich nicht gewusst. Weder, dass sie verheiratet ist, noch, dass sie ein Kind hat!"
"Sie hat ein Kind?" rief Tizian.
"Oh Mann!" Giovanni lachte heiser auf. "Da hast du ja ganz schönen Mist gebaut!"
Kuja nickte. "Gott sei Dank war ich noch nicht soweit!"
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, bohrte sich ein weiterer Bolzen nur wenige Zentimeter neben ihm in den Felsen.
"Das sieht der Riese wohl aber ganz anders!" meinte Giovanni und trieb seine Freunde weiter.
*
Wie lange sie letztlich gelaufen waren, konnte keiner der drei mehr sagen. Sie hatten mehrmals die Richtung gewechselt und einige Entfernung hinter sich gebracht. Ihre Lungen brannten, kalter Schweiß lief ihnen die Stirn hinab, doch erst als es sehr schnell wieder sehr heftig zu regnen begann, stoppten sie ab.
"Da!" rief Tizian und deutete auf eine Höhle auf einer kleinen Anhöhe.
Sie rannten hinein. Die Höhle war nicht sonderlich groß, aber vollkommen ausreichend für drei Leute. Im hinteren Bereich war eine Art schmaler Stollen zu erkennen, doch keiner der drei hatte Lust, ihn weiter zu erkunden.
Ihre Lage war vorteilhaft. Da sich die Höhle auf einer Anhöhe befand, war jeder, der sich ihr näherte, frühzeitig zu erkennen.
"Wir bleiben hier!" erklärte Kuja dann auch und erntete sofort Zustimmung.
"Eine gute Idee!" stöhnte Tizian. "Sonst braucht es den Hünen nicht mehr, um mich umzubringen!" Er rang schwer nach Luft.
"Gut!" Giovanni nickte. Er hatte sich erstaunlich schnell wieder erholt. "Dann bleiben wir heute Nacht hier und gehen morgen zurück ins Dorf!"
"Bist du irre?" rief Tizian entsetzt. "Der ist bestimmt auch morgen noch stinksauer auf Kuja!"
"Er hat sein Gesicht nicht gesehen!" erklärte sein Freund jedoch. "Er kann das nicht mit Sicherheit sagen. Und Marietta wird wohl den Mund halten. Und wir...!" Er sah Kuja an. "...werden uns auf dem Rückweg eine nette Geschichte ausdenken, die klarstellt, dass Kuja überall, nur nicht...!" Er grinste mit verzogenen Mundwinkeln. "...in Marietta gewesen sein kann!"
"Na, danke auch!" erwiderte der Fürstensohn, musste aber einen Augenblick später selber grinsen.
"Ihr seid verrückt!" meinte Tizian und schüttelte den Kopf. "Deshalb liebe ich euch!" Er lächelte. "Aber jetzt könnte ich wirklich eine Mütze voll Schaf vertragen!"
Kuja stimmte ihm zu und Giovanni erklärte sich bereit, die erste Wache zu übernehmen. "Für alle Fälle!" meinte er.
Dem hatte keiner etwas zu entgegen und so suchten sich Kuja und Tizian einen halbwegs vernünftigen Schlafplatz.
Schnell wurde es sehr still in der Höhle und während sie dem monotonen Plätschern des Regens außerhalb lauschten, schliefen sie schnell ein.
Kuja erwachte und sein Kopf zuckte kurz in die Höhe.
Im ersten Moment dachte er, dass ihn ein Geräusch geweckt hätte. Sein Blick war daher finster. Während er lauschte, erhob er sich leise.
Er blickte zu Giovanni, doch musste er erkennen, dass sein Freund eingeschlafen war.
Kuja verzog die Mundwinkel und ging dann langsam zum Ausgang der Höhle.
Draußen regnete es noch immer in Strömen, doch konnte er den Bereich unterhalb der Anhöhe gut erkennen, weil ein Beinahe-Vollmond durch eine Wolkenlücke herabschien. Es war niemand zu sehen, alles war still.
Kuja beruhigte sich wieder.
Plötzlich verspürte er einen ziemlich unangenehmen Druck auf der Blase. Er hatte sich gerade umgewandt, als ein raues, tiefes Schnarchen von Giovanni zu hören war. Fast rechnete Kuja damit, dass sein Freund selbst davon erwachte. Aber er rekelte sich nur, brummelte etwas Unverständliches und schlief dann sofort weiter.
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