Das Knurren und Zischen wandelte sich in eine Art Stöhnen und Hecheln und Geifern, das immer erregter wurde.
Plötzlich zogen sich die Tentakel blitzartig mit einem heiseren Fauchen komplett in den Spiegel zurück, als hätten sie sich an einer heißen Herdplatte verbrannt. Doch nur, damit einen Augenblick später wieder ein einzelner dicker Tentakel daraus hervor- und in einem hohen Bogen auf Kuja zuschießen konnte.
Der Fürstensohn hob seinen Kopf an und wie eine Wasserfontäne traf die silbrige, zähflüssige Masse Kujas Gesicht, ohne es jedoch zu berühren. Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt prallte es wie an einer unsichtbaren Wand ab und zeichnete dabei seine Konturen nach.
Mit einem Mal erschien am Ende der Wasserfontäne ein schemenhaftes Gesicht. Zwei schwarze, runde Flecken bildeten die Augen, ein unförmiger schwarzer Strich die Nase, ein ovaler, schwarzer Fleck den Mund. Und dieser Mund wurde beständig immer größer, während sich die Wasserfontäne immer weiter Kujas Gesicht näherte, und wandelte sich zu einem furchterregenden Maul. Als es größer war, als Kujas Kopf, stülpte es sich über ihn, wurde noch breiter, sank tiefer herab, über Kujas Schultern, immer tiefer, bis es schließlich den Boden der Halle erreichte und den kompletten Körper des Fürstensohns in sich aufgenommen hatte.
Plötzlich erklang ein tiefes, bösartiges, mächtiges, aber auch zutiefst zufriedenes Brüllen, dann schloss sich das Maul und riss Kujas Körper ruckartig in den Spiegel.
Sämtliche Geräusche erstarben augenblicklich. Die Oberfläche des Lichtspiegels wogte noch einige Male hin und her, dann lag sie wieder ruhig da, während sich kleine Wellen über die zähflüssige Masse hinwegbewegten.
Tizian lag auf der rechten Seite, als er leise zu stöhnen begann und sich dann auf den Rücken drehte.
Fast schien es so, als könne er in dieser neuen Position weiterschlafen, doch dem war nicht so.
Nach einigen tiefen Atemzügen öffnete er seine Augen und schaute zunächst unbewegt zur Höhlendecke.
Es war nicht vollkommen dunkel, daher konnte er einige Umrisse erkennen. Aber es war ganz still um ihn herum - zumindest bis zu dem Moment, da einer seiner Freunde einmal laut schnarchte.
Tizian schloss die Augen wieder, doch war der Druck auf seiner Blase, der ihn wohl geweckt hatte, einfach zu groß, als dass er ihn bis zum Morgengrauen noch ignorieren konnte. Also erhob er sich.
Dabei erkannte er, dass der wüste Schnarcher Giovanni gewesen sein musste, da Kuja nicht anwesend war.
Tizian zog die Augenbrauen herab und trat an den Ausgang der Höhle. Es regnete noch immer in Strömen, doch lieferte der Mond ausreichend Licht, dass er erkennen konnte, dass draußen alles ruhig war.
Wo aber war Kuja? Tizian machte sich sofort Sorgen. Er drehte sich zurück in die Höhle und wollte auch schon Giovanni wecken, als er ein Geräusch hörte. Es kam von dem schmalen Durchgang im hinteren Bereich. Als Tizian dorthin sah, konnte er ein fahles Leuchten erkennen. Er ging darauf zu und schob sich schließlich durch den engen Tunnel.
Nach wenigen Metern öffnete sich der Stollen in eine größere Kammer. Tizian konnte auch hier Umrisse erkennen, ebenso wie eine feuchte Stelle an der rechten Felswand, die auffällig nach Urin roch.
Hatte Kuja sich hier erleichtert? Und wenn ja, warum war er dann nicht wieder in die Höhle zurückgekehrt? Tizians Sorge stieg wieder.
Sein Blick glitt in den hinteren Bereich der Kammer, wo er eine Rampe erkennen konnte, die abwärts tiefer in den Berg führte. Dort unten sah er auch das fahle, flackernde Leuchten, dass sogleich seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Tizian machte ein paar Schritte in diese Richtung, als er plötzlich gegen etwas am Boden stieß. Als er hinuntersah, konnte er ein kleines Messer in seiner Lederhülle erkennen, das über den Boden hüpfte. Es war eindeutig Kujas Obstmesser, das er normalerweise am Gürtel trug.
Also war er hier gewesen! Und ist dem Gang gefolgt!? Tizian war sicher, dass auch seinen Freund dieses flackernde Leuchten neugierig gemacht hatte.
Kurzerhand beschloss er, dem nachzugehen.
Unbewusst folgte der Blonde dem Weg seines Freundes und gelangte schließlich in die Kammer mit dem unterirdischen See. Wie auch Kuja war Tizian fasziniert von dem Lichtspiel der fluoreszierenden Algen am Grund, doch im Gegensatz zu dem Fürstensohn, erblickte er das funkelnde Strahlen in der Kammer oberhalb des Sees wesentlich schneller.
Ohne zu zögern kletterte Tizian über die Felsenleiter dort hinauf und gelangte schließlich in die Höhle mit dem Kuppeldach. Ebenso fasziniert von den glitzernden und funkelnden Gesteinsbrocken am Boden trat er ein und stand nur wenig später, wie auch Kuja zuvor, vor dem Lichtspiegel.
Mit leuchtenden Augen verfolgte er die kleinen Wellenbewegungen auf der, wie zähflüssiges Silber wirkenden Substanz in dem Felsenring.
Plötzlich hörte er ein Wispern, das schnell lauter wurde und zu einer Stimme anwuchs. Eine Stimme, von der er nicht wusste, woher sie kam und die in einer Sprache redete, die er nicht verstand, wenngleich er sicher war, dass es Worte waren, die er hörte.
Anfangs klangen sie beiläufig, doch wurden sie sehr schnell bestimmter und schneller gesprochen. Dabei wurde die Stimmfarbe immer dunkler, rauer und härter. Für Tizian klang sie zornig und befehlend.
Je lauter sie wurde, desto mehr Bewegung konnte der Blonde auf dem Lichtspiegel erkennen, dessen Oberfläche sich jetzt schon deutlich kräuselte.
Im nächsten Moment brüllte die Stimme laut auf, dass ihre Worte hart in der Höhle widerhallten und zeitgleich zog sich der Lichtspiegel trichterförmig ein paar Meter in die von Tizian entgegengesetzte Richtung zurück.
Für einen Augenblick verharrte er so, dann schoss er wieder zurück und einige Meter weiter in Tizians Richtung. Dabei erklang ein wilder, schmerzhafter und verzweifelter Schrei. Doch es war eine andere Stimme, die der Blonde jetzt hörte. Eine Stimme, die er nur zu gut kannte.
Kuja! schoss es ihm in den Kopf und tatsächlich brach der Körper des Fürstensohns aus dem Lichtspiegel heraus und klatschte dumpf und mit dem Gesicht voraus auf den Sandboden.
Während sich der Trichter zurückzog und sich die Oberfläche des Lichtspiegels in dem Felsenring schnell wieder beruhigte, als wäre nichts geschehen und ebenfalls auch die fremde Stimme verstummte, blieb Kuja stöhnend und noch größtenteils mit der silbrigen Substanz bedeckt auf dem Boden zurück.
Tizian stand stocksteif da und starrte mit weit geöffneten Augen auf seinen Freund hinab. Sein Puls hämmerte unter seine Schädeldecke, Schweiß trat auf seine Stirn, sein Herz raste, er wagte kaum zu atmen.
Dabei war er nur zu einem Teil entsetzt darüber, seinen Freund stöhnend und mit dieser zähflüssigen Masse überzogen vor seinen Füßen zu sehen. Der andere Teil versuchte überhaupt erst einmal zu verstehen, was er da soeben gesehen hatte.
War das wirklich die Realität gewesen oder nur eine Halluzination? War Kuja da eben tatsächlich wie aus dem Nichts aus diesem faszinierenden, aber auch geheimnisvollen Lichtspiegel gestürzt? Und wenn ja, wie war er überhaupt dort hineingeraten? Und wo war er dann gewesen? Hinter dem Lichtspiegel? Und wenn ja, was war dort?
Tizian hämmerte der Kopf von diesen Fragen und er konnte anfangs keinen klaren Gedanken fassen. Erst als Kujas Stöhnen immer mehr zu ihm durchdrang, riss er sich zusammen und kam zurück in die Realität. "Kuja!" rief er sofort aus und kniete sich vor seinen Freund. "Um Himmels willen!" Tizians Hände wollten ihm wie selbstverständlich behilflich sein und ihn auf den Rücken drehen, doch als der Blonde den Fürstensohn berührte, ging ein brutaler Ruck durch dessen Körper.
Читать дальше