Bei einem weiteren Blick konnte Kuja Stufen unterhalb dieser neuen Kammer entdecken, fast so, wie Leitersprossen, die direkt in den Felsen gehauen waren. Sie führten hinunter bis zur Wasseroberfläche.
Kuja überlegte. Um dort hinzukommen, würde er schwimmen... Nein , stellte er fest. Er konnte auf der steinernen Uferböschung, auf der es sich gerade befand, bis zur Stirnwand gehen. Dort konnte er einen schmalen Sims erkennen, der direkt bis zu dieser Leiter reichte. Mit etwas Glück würde er trockenen Fußes dorthin gelangen.
Kuja beschloss, es zu versuchen.
Es dauerte weniger als zwei Minuten und er stand am unteren Ende der natürlichen Felsenleiter. Ohne zu zögern erklomm er sie. Dabei musste er durchaus vorsichtig sein, denn der Stein schien bearbeitet worden zu sein und war daher ziemlich rutschig. Dennoch gelangte er schnell und sicher nach oben.
Dort musste er erkennen, dass es sich bei der vermeintlichen Kammer lediglich um den Beginn eines weiteren Stollens handelte, der in einer Linkskehre recht steil weiter in den Berg hineinführte. Im ersten Moment war Kuja deswegen etwas genervt, da er aber hinter dem sichtbaren Ende noch immer das strahlende Funkeln erkennen konnte, beschloss er weiterzugehen.
Der Gang beschrieb einen Halbkreis und endete schließlich in einem kurzen, vielleicht zehn Meter langen, geraden Stück, das auf einen Durchgang zuhielt. Als Kuja ihn erreicht hatte, konnte er dahinter eine große, kuppelförmige Halle ausmachen. Der Fürstensohn war ziemlich sicher, dass er sich jetzt direkt unter dem See befand. Wände und Decke zeigten schroffen Fels mit scharfen Kanten und teilweise mächtigen Vorsprüngen. Der Boden war überraschenderweise mit einer, einige Zentimeter dicken, Sandschicht bedeckt. Außerdem lagen überall verstreut überwiegend kleinere und mannshohe, aber auch einige noch größere Felsbrocken herum. Während sich der Fels der Halle jedoch in dunkelgrau und schwarz präsentierte, zeigten die Felsbrocken am Boden blaue, rote und teilweise sogar hellgrüne Farben. Außerdem wiesen sie weitaus glattere Oberflächen auf.
Kujas Herz tat einen Satz. Mochten das Edelsteine sein? Von dieser Größe?
Im hinteren Bereich der Halle musste es eine starke Lichtquelle geben, die Kuja von seinem Standpunkt aus jedoch noch nicht sehen konnte. Während sich das Licht an den schroffen Kanten und Vorsprüngen der Wände und der Decke brach und mächtige, dunkle Schatten darauf warf, spiegelte es sich in den glatten Flächen der Felsbrocken am Boden und brachte sie auf fantastische Weise in allen nur erdenklichen Farben zum Funkeln.
Kuja war augenblicklich fasziniert und er spürte, wie sich sein Pulsschlag erhöhte. Das muss ich Giovanni und Tizian zeigen! dachte er, doch bewegte er sich nicht.
Plötzlich hörte er Geräusche. Erst schien es ein leises Rauschen oder auch Plätschern zu sein, dann aber war er sich immer sicherer, dass es ein Wispern war. Eine helle, aber sehr leise Stimme flüsterte etwas. Im ersten Moment meinte Kuja, dass es ein eher allgemeines Flüstern war, doch schon einen Augenblick später war sein ganzer Kopf davon erfüllt und hallte dort deutlich lauter nach. Kuja konnte nichts verstehen, war sich aber sicher, dass es Worte waren, die er hörte. Worte in einer Sprache, die ihm vollkommen unbekannt war. Und die jetzt immer eindringlicher wurden. Obwohl er sie nicht verstand, spürte er einen inneren Drang, als würde Jemand auf ihn einreden, etwas zu tun.
Doch es war kein negatives Gefühl, das ihn dabei befiel. Ganz im Gegenteil: Er spürte Freude, Erregung und Zuversicht in sich aufsteigen, eine wundervolle Wärme, die sich ausbreitete, ein strahlendes Licht, das ihn einhüllte.
Wie automatisch setzte er daher einen Fuß vor den anderen und drang in die Halle vor.
Die Tatsache, dass er seinem Körper nicht den Befehl dazu gegeben hatte, war für ihn in diesen Momenten nicht relevant, denn er empfand einfach nur ein großes Glücksgefühl.
Immer weiter schritt er voran, kam an kleinen und mannshohen Gesteinsbrocken vorbei, war immer und immer wieder fasziniert von ihrem magischen Funkeln und strahlenden Glitzern. Links neben ihm tauchte einer der großen Brocken auf und ein pulsierendes, tiefrotes Leuchten hüllte seinen Körper ein.
Kuja umrundete den Fels und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, denn vor sich konnte er sie endlich sehen: Die Quelle, die dieses immense Licht ausstrahlte.
Ein Spiegel! schoss es Kuja sofort in den Kopf. Ein riesiger Spiegel mit einem Durchmesser von bestimmt drei Metern!
Er atmete hörbar ein, seine Augen wurden groß und begannen zu leuchten, sein Mund öffnete sich und er stöhnte tief beeindruckt.
Vor ihm befand sich eine besondere Felsformation, die tatsächlich die Form eines aufrecht stehenden Rings bildete. Der Spiegel, wie Kuja ihn für sich benannte, war in Wahrheit jedoch eine glänzende, strahlende Fläche inmitten dieses Rings. Doch konnte man sich in ihr nicht spiegeln, sie wirkte eher wie dickflüssiges Silber, dessen Oberfläche innerhalb des Rings ständig in kleinen Wellen in alle Richtungen in Bewegung war.
Kuja war absolut fasziniert von diesem Gebilde, doch spürte er auch ein deutliches Maß an Unsicherheit in sich, denn er war fast sicher, dass dieser Spiegel nichts war, was Menschen zu schaffen je im Stande wären.
Aber ihm blieb keine Zeit mehr für Überlegungen, nicht einmal dafür, dass sich seine Unsicherheit in Angst und somit in Vorsicht hätte wandeln können.
Denn schon einen Lidschlag später ertönte ein dumpfer Knall, der sich in Kujas Körper selbst gebildet zu haben schien. Alles in ihm vibrierte und schoss dann blitzschnell aus ihm hinaus und auf den Lichtspiegel zu, wie die Druckwelle einer Explosion. Sein ganzer Körper erzitterte, sogar sein Haar wehte, wie in einem stürmischen Wind.
Als diese unsichtbare Druckwelle auf den Spiegel traf, drückte sie ihn wie mit einer Riesenfaust schlagartig ein. Ein Trichter von rund zwei Metern Tiefe bildete sich. Gleichzeitig wurde aus dem beständigen Wispern, das ihn hier umgab, ein erst leises, weit entferntes, dann rasend schnell lauter werdendes und näherkommendes Brüllen. Es war, als würde man ein Tier aufschrecken. Ein großes Tier... ein Monstrum .
Aus dem Jaulen wurde ein Brüllen, während sich der Trichter im Spiegel zurückbildete. Doch nur, um sich sofort danach in die andere Richtung, direkt auf Kuja zu, auszudehnen. Dabei änderte sich das Geräusch erneut und es wurde zu einem zornigen Fauchen.
Kuja jedoch bekam davon nichts mit. Sein ganzer Körper vibrierte noch immer, er hörte nur ein sanftes Rauschen und war ansonsten noch immer komplett fasziniert von dem, was er sah.
Der Trichter, der auf ihn zu schwebte, wandelte sich in einen Tentakel, der freibeweglich im Raum mal nach links oder rechts, mal nach unten oder oben schwebte und ihn dabei von allen Seiten zu betrachten schien, ohne ihm dabei jedoch näher zu kommen, als einen Meter. Aus dem Fauchen wurde dabei ein Knurren und Zischeln.
Kujas Augen verfolgten jede Bewegung dieses Tentakels mit noch immer wachsender Faszination, während auf seinen Lippen ein breites Grinsen zu sehen war.
Plötzlich spaltete sich der Tentakel auf, wurde dabei deutlich dünner. Eine Sekunde später spalteten sich die beiden neu entstandenen Tentakel erneut auf, einen Moment später noch einmal und dann noch einmal. Innerhalb eines Augenblicks waren aus dem einen Tentakel sechzehn sehr viel dünnere Tentakeln geworden. Sie breiteten sich aus, kamen deutlich näher, als es noch der eine Tentakel getan hatte, jedoch weiterhin, ohne Kuja zu berühren. Für wenige Sekunde schwebten sie um Kujas Körper, als würden sie ihn aus allen Winkeln betrachten
Dann bildeten sich an ihren Enden sehr spitze, krallenartige Fortsätze, die sich ihm immer weiter näherten und ihn am Ende dann auch berührten. Kuja spürte sie wie feine Nadelstiche auf seinem Körper.
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