»Ah, da ist er ja«, sagte er nur. »Welch ein famoses Zusammentreffen. Wie fühlt er sich?« »Ich würde Euch einen kleinen Gang im Säbelfechten vorschlagen«, antwortete Michel, ohne seine Haltung zu vernachlässigen. »Ihr könnt dann am besten meine Gefühle beobachten.«Der Leutnant sprang auf.
»Er ist ein ganz vermaledeiter Bursche! Hat er verstanden?« »Die Rache ist allein des Herrn.« »Was untersteht er sich?«
»Ich wollte lediglich beweisen, daß ich einige Kenntnis der Bibel habe, wie es sich für einen landgräflichen Musketier gehört.«
Rudolf von Eberstein wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Diesem Mann fühlte er sich in keiner Weise gewachsen. Er schlug plötzlich einen überaus freundlichen Ton an und sagte: »Setzt Euch, wir wollen in Ruhe diskutieren.«
»Ich möchte mich keiner Insubordination schuldig machen«, antwortete Michel Baum ruhig und blieb stehen. »Auch nicht, wenn ich dazu aufgefordert werde.« Abermals war der Leutnant sprachlos.
»Was seid Ihr eigentlich für ein sonderbarer Musketier?« fragte er verwundert.
»Ich bin kein Musketier, sondern ein Mensch, den man zum Musketier gemacht hat«, erwiderte Michel. »Im übrigen bin ich Doktor der Medizin Michel Baum, den man gegen alles bestehende Gesetz verurteilt hatte, weil er einem Straßenräuber zeigte, wie er sich zu benehmen hat.«
Der junge Offizier machte eine Bewegung der Ungeduld.
»Wollen wir das nicht vergessen?«
Michel Baum nickte.
»Ich will es Euch nicht nachtragen, Herr. Aber vergessen kann ich es nicht. Daran hindert mich dieser bunte Fetzen auf meiner Haut. Wahrscheinlich war es Schicksal, daß wir uns vorher begegnet sind. Kein Mensch weiß, was ihm die Zukunft bringen wird. Man muß nur versuchen, sie so gut wie möglich zu meistern. Ich habe Pech gehabt.« »Ihr versteht die Waffe so meisterhaft zu führen, daß man in Euch den geborenen Soldaten vermuten würde. Warum stört Euch die Montur?«
»Weil sie mich zwingt, die Waffe eben dann zu führen, wenn ich sie vielleicht lieber in der Scheide ließe. Was zum Beispiel haben mir Washingtons Leute in Amerika getan, daß ich gegen sie zu Felde ziehen soll?«
Der Leutnant blickte nachdenklich in eine Ecke des Raumes und schwieg. Nach einer Weile zuckte er die Achseln und sagte leichthin:
»Wozu werden dann überhaupt Kriege geführt? Schließlich haben uns die Soldaten der feindlichen Armeen in den meisten Fällen kein persönliches Leid zugefügt.« Michel lachte.
»Dieselbe Frage habe ich mir wohl schon tausendmal gestellt, ohne sie beantworten zu können. Es ist die wichtigste Frage auf der Welt überhaupt.« Der Leutnant wurde unruhig.
»Wir bewegen uns auf ein Thema zu, das sich für Soldaten nicht geziemt. Er kann jetzt gehen, Musketier Baum.«
Michel spreizte die Beine und winkelte den Hut an. Dann machte er eine zackige Kehrtwendung, wie man sie ihm eingedrillt hatte, und verließ den Raum.
Leutnant von Eberstein blieb in Gedanken zurück und lauschte dem sich entfernenden Pfeifen.
Es war unverkennbar, daß über den Mannschaften eine gewisse Spannung lag. Von Tag zu Tag verdichtete sich das Gerücht, daß die Abfahrt nach England und damit die Einschiffung nach den Vereinigten Staaten von Amerika bevorstehe.
Michel lebte äußerlich das Dasein eines Musketiers, der mit allem zufrieden war. Ein engeres Zusammenkommen mit dem Leutnant von Eberstein vermied er absichtlich; denn er wollte sich nicht abermals dem Befehl »Er kann jetzt gehen, Musketier Baum!« aussetzen, wenn der Leutnant bei einem Gespräch nicht mehr weiterwußte.
Dennoch aber begehrte das freie Blut in Michel Baum auf gegen die Fron, die er unfreiwillig leistete. Seine Vorfahren wurden in ihm lebendig. Er sah oft im Geiste seinen unbeugsamen Großvater, wie er mit schweren, besitzergreifenden Schritten über seine Äcker ging. Ein reichsfreier Bauer, der nur dem Kaiser seinen Tribut zollte.
In diese Gedankengänge hinein platzte eines Abends nach Dienstschluß der «Spieß« mit einem ungeheuerlichen Befehl.
»Musketier Baum, er ist für die nächsten zwei Tage abkommandiert, um beim Leutnant den Reitburschen zu machen. Hat er verstanden?«
Michel glaubte nicht recht gehört zu haben. Dieses junge Bürschchen wagte es, ihm durch den Kompaniefeldwebel einen derartig entwürdigenden Dienst antragen zu lassen! Nur mit Würgen brachte er das «Jawohl« über die
Lippen. In ihm begann es zu kochen. Er stapfte durch die Stube, ohne sich um seine Kameraden zu kümmern, und ballte die Fäuste. Was sollte er tun? —
Am nächsten Morgen war er frühzeitig zum Ausritt fertig.
Als der Leutnant kam, machte er gewohntermaßen seine Ehrenbezeigung.
»Baum«, sagte Eberstein, »ich habe Euch genommen, weil ich annehme, daß Ihr die nötige Erziehung habt, einer Dame den Steigbügel zu halten. Ihr werdet uns in gebührendem Abstand begleiten, um etwaige Hilfeleistungen zu geben.«
Michel Baum drückte die bequeme Reitmütze tief ins Gesicht, um zu verhindern, daß sein Vorgesetzter die Röte bemerkte, die ihm siedend ins Gesicht schoß. Die Fäuste, die den Zügel hielten, waren verkrampft. Die Knöchel schimmerten weiß. Ohnmächtiger Zorn schüttelte den Musketier, der kaum wußte, wie er seiner Wut Herr werden sollte. Es war ihm nicht klar, ob Eberstein ihn zu seinem persönlichen Dienst aus Bosheit oder Gedankenlosigkeit befohlen hatte. Sie ritten, ohne ein Wort zu sprechen, aus dem Tor und die Hauptstraße entlang. Michel sah nicht auf. Verbissen stierte er auf den Hals seines Pferdes, eines ausgezeichneten Pferdes übrigens.
Da drang die Stimme des Leutnants an sein Ohr: »Wartet hier. Wir sind an Ort und Stelle.«
Eberstein warf ihm die Zügel zu und betrat ein Haus. Michel glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er das der Ecks erkannte. Dunkle Ringe tanzten vor seinen Augen. Nun fehlte nur noch, daß die Dame...
Er brauchte diesen Gedanken nicht erst zu Ende zu spinnen. In diesem Augenblick kam der Leutnant wieder heraus und führte seine Dame am Arm. Es war Charlotte Eck.
Michel dachte nicht daran, vom Pferd zu steigen, um der einstigen Jugendgespielin in den Sattel zu helfen. Sollte sich der aufgeblasene Eberstein gefälligst selbst bemühen.
Der Leutnant fiel in seinen dienstlichen Ton zurück, als er fragte:
»Was hat er, Musketier? Will er nicht der Dame behilflich sein?«
Statt einer Antwort wandte sich Michel plötzlich an das schöne Mädchen.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, Charlotte, daß ich dir auf den Gaul helfe?«
Charlotte Eck starrte ihn mit kreidebleichem Gesicht an.
»Du — du--bist es, Michel?«
»Erstaunlich, daß du dich meiner überhaupt noch erinnerst. Ist doch eigenartig, wie so eine schneidige Leutnantsmontur im Handumdrehen selbst den anständigsten Mädchen die Köpfe verdreht.«
»Laß dir erklären, Michel...«, sagte Charlotte und trat hastig auf den Freund zu und streckte ihm die Hand entgegen.
Michel machte eine wegwerfende Geste.
»Erkläre deinem buntberockten Leutnant, was du zu erklären hast. Michel Baum ist ein Musketier des Landgrafen und hat zu gehorchen.«
Der Leutnant, der bis jetzt sprachlos der Szene gefolgt war, half Charlotte selbst in den Sattel. Doch kaum saß sie oben, als Michel plötzlich die Reitpeitsche mit beiden Fäusten packte und den dicht vor ihm stehenden Pferden einige Hiebe versetzte, daß diese mitsamt ihren Reitern laut wiehernd durchgingen.
Michel gab seinem eigenen Tier die Sporen und raste , mit laut anfeuernden Rufen hinter ihnen her. Charlotte hielt sich vorbildlich im Sattel. Schlechter allerdings war es um den Leutnant bestellt. Er hatte die Bügel nicht mehr zur rechten Zeit erwischen können. Und so klebte er jetzt förmlich wie ein Affe auf dem wild dahin-galoppierenden Pferd.
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