»Was wird er nun tun?« fragte Michel Baum den erschrockenen, wie gelähmt dastehenden Beamten.
Der blieb die Antwort schuldig. Michel lachte.
»Ich werde ihm die Hose ausziehen. Dann kann er seinem Landgrafen mit nacktem Hintern eine Visite machen.«
Ritsch — fuhr der scharfe Degen über die Gürtellinie und schnitt die Hose von oben bis unten durch.
Angstschweiß brach dem Polizisten aus, als er seine Beinkleider, die jeden Halt verloren hatten, an den Beinen hinabgleiten sah. Die Gesichter der Umstehenden verzogen sich. Kaum konnten sie sich des Lachens enthalten. Aber sie hatten Angst; denn wer einen Staatsbeamten auslachte, der konnte sehr leicht vor die Schranken eines landgräflichen Gerichts kommen. Und dann winkte — der bunte Rock.
So zogen es die meisten vor, sich langsam und unauffällig zurückzuziehen, ehe sich der geschändete Beamte ihre Gesichter merken konnte.
Michel aber steckte ruhig den Degen ein und ging pfeifend weiter.
»Nun, Junge, wie gefällt es dir daheim?« fragte ihn später zu Hause der Vater. Michel zündete sich eine Pfeife an und sah auf.
»Ich fürchte, es wird ein wenig anders werden, als ich es mir vorgestellt habe, Vater.« Andreas Baum sah seinen Sohn erstaunt an.
»Ich dächte, es müßte dir Spaß machen, wieder einmal den Boden Kassels unter den Füßen zu spüren. Ist dir irgend etwas Unangenehmes begegnet?«
Michel erzählte dem Vater sein Erlebnis mit dem Schutzmann. Der Alte wußte nicht recht, ob er lachen oder weinen sollte.
»Glaubst du, daß er dich erkannt hat?«
»Das weniger. Aber er wird mich zweifelsohne wiedererkennen, wenn ich ihm später einmal begegne. Die Luft hier in Kassel ist zum Ersticken. Dieser Polizist zum Beispiel bewies das durch sein Verhalten. Mir behagt diese Unfreiheit nicht mehr. Der Untertanengeist macht mich ganz krank. Man kommt sich vor wie in Spanien zur Zeit der Inquisition.« Andreas Baum sah ernst zu Boden.
»Es liegt wie ein Fluch auf unserer Familie. Du scheinst den unruhigen Geist deiner Vorfahren geerbt zu haben. Ich kannte keinen Baum, der sich je hätte unterordnen können. Ich bin der einzige, der sich ein Leben lang beherrscht hat. Nimm dich noch eine Weile zusammen, dann kannst du in deiner eigenen Praxis den Menschen auf deine Weise helfen.« »Und was sagt Ihr, Vater, zu den 12 000 Mann, die Friedrich an die Engländer verkaufen will?« Ein Schatten glitt über das Gesicht des Älteren. Er zog heftig an seiner Pfeife. Qualmwolken verdunkelten die flackernde Petroleumlampe.
»Es ist eine Schande«, drängte es sich zwischen seinen Lippen hervor. »Man kann sich nur wundern, daß ihn die anderen Fürsten gewähren lassen, daß nicht einmal Kaiser und Reich etwas dagegen unternehmen. Nun, Landgraf Friedrich ist nicht der einzige, der solche Dinge tut. Die Höfe von Hanau, Braunschweig, Waldeck, Anhalt und Ansbach versuchen ebenfalls, auf diese Weise ihr feudales Leben zu finanzieren. Es ist eine Schande.« Michel lenkte auf ein anderes Thema über. »Wie geht es Charlotte? Ist sie schon verheiratet?« Andreas lachte.
»Das glaubst du doch selbst nicht. Sie ist ein treues Mädchen. Ich wette meinen alten Tabaksbeutel gegen einen neuen Hut, daß sie sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal die Frau eines gewissen Doktor Baum zu werden. Nun, warum auch nicht. Die alten Ecks sind rechtschaffene Menschen und haben wohl auch einen schönen Batzen beiseite gelegt. Na, und dein Vater ist auch nicht gar so arm, wie er ausschaut.« Michel wurde lebhaft.
»Meint Ihr, daß ich die Ecks morgen vielleicht besuchen könnte?«
»Ich bin fest davon überzeugt, daß sie geradezu darauf warten.«
Michel klopfte seine Pfeife aus und stellte sie in den Ständer zurück.
Andreas sah seinen wohlgeratenen Sohn mit glänzenden Augen an und meinte dann:
»Es tut mir in der Seele weh, daß Mutter dich so nicht mehr erlebt hat. Der Herrgott hat sie wirklich ein wenig zu früh abberufen.«
Die beiden Männer, Vater und Sohn, hatten noch ein langes Gespräch an diesem Abend, in dem teils Traurigkeit und Wehmut, teils Freude und inniges Verstehen mitschwangen.
Michel hatte seinen Degen umgeschnallt, zu jener Zeit ein Zeichen der Würde und Vornehmheit, und schritt dem Stadtrand zu. Ihn zog es hinaus in den Wald, an jene Stelle, wo er vor Jahren als Kind mit der kleinen Charlotte Eck Räuber und Prinzessin gespielt hatte. Plötzlich hemmte der Aufschrei eines Menschen seinen Schritt. Lauschend streckte er den Kopf vor. Es mußte links neben ihm im Wald gewesen sein, just an der Stätte seiner Kinderspiele. Er faßte den Degen fester und brach in das Unterholz ein.
Da kam der Schrei wieder, ängstlicher jetzt, verzweifelter. Dazwischen klang das kehlige Hohnlachen eines Mannes.
Michel eilte, so schnell er konnte, dem Klang nach.Dann stand er auf einer Lichtung. Was er dort sah, trieb ihm das Blut in die Schläfen.
Ein junges Mädchen wehrte sich verzweifelt gegen die Angriffe zweier Männer, die grüne Jägerkleidung trugen.
»He!« donnerte Michels Stimme, »aufhören, ihr Halunken, laßt von dem Mädchen ab!« Die Grünen fuhren erschrocken herum, lachten aber nur ärgerlich auf, als sie den Störenfried erblickten. Das Mädchen, eine Schönheit übrigens, hielt sich die zerrissenen Teile ihres Kleides vor die Brust und warf dem Ankömmling flehende Blicke zu. »Was habt ihr mit dem Mädchen vor?« fragte Michel scharf. Die beiden Jäger lachten.
»Was wird man mit so einem hübschen Kind schon vorhaben?« Michel sah sie zornig an.
»Haut ab, sage ich euch, sonst mache ich euch Beine!«
Der eine der beiden, ein ziemlich junger Kerl, kam jetzt auf ihn zu.
»Wer seid Ihr überhaupt?«
»Dumme Frage«, antwortete Michel gelassen und zog mit einem Griff den Degen. »Ich bin der Verteidiger dieser ehrenwerten Demoiselle dort und werde Euch Anstand beibringen, wenn Ihr es nicht vorzieht. Euch augenblicklich aus dem Staub zu machen.« Zornesröte trat in das Gesicht des Jüngeren.
»Unverschämter!« schrie er Michel an und zog nun seinerseits den Degen. Der andere wollte ihn zurückhalten; aber der junge Hitzkopf holte bereits zum Stoß aus. Michel hatte es nicht leicht. Der Junge war ein ausgezeichneter Fechter. Dennoch war er der Fechtkunst Baums nicht gewachsen. Binnen kurzem flog sein Degen ins Gras. Michel setzte ihm die Waffe auf die Brust und meinte:
»Nun dreh dich langsam um, Bursche, aber ganz langsam.«
Die Spitze blieb immer am Körper des Besiegten. Mit zusammengekniffenen Lippen folgte er dem Befehl seines Überwinders. Als er diesem dann den Rücken zukehrte, fühlte er plötzlich die Degenspitze auf seinem Hinterteil. Michel schlitzte ihm in aller Ruhe ein großes Viereck aus der Hose. Als das nackte Fleisch in der Sonne strahlte, holte er aus und versetzte dem Lümmel ein paar Hiebe mit der flachen Klinge. »Nun macht, daß ihr fortkommt!«
Inzwischen hatte sich der andere besonnen. Rasch warf er dem Gezüchtigten einen Mantel zu, damit er die schändliche Blöße vor den Augen des Mädchens verbergen konnte. Dann zog er selbst blank.
»Ach, du auch noch?« rief Michel, in dem langsam Freude an diesem Kampf aufkam, bei dem er seine in Berlin erlernte Fechtkunst beweisen konnte.
Doch der andere war kein Gegner für ihn. Er focht schlechter als der jüngere Begleiter. Bald wirbelte auch seine Klinge in hohem Bogen durch die Luft.
Da rannten die beiden plötzlich dem Wald zu und waren im Augenblick hinter den Bäumen verschwunden.
Das Mädchen trat mit ernsten Augen auf seinen Retter zu.
»Ihr habt viel für mich getan, Herr«, meinte sie. »Vielleicht wäre es besser gewesen, Ihr hättet die Burschen gewähren lassen. Wahrscheinlich werdet Ihr große Unannehmlichkeiten deswegen bekommen.«
Michel sah sie ungläubig an.
»Unannehmlichkeiten? — Ich? — Weshalb denn? Diese Lümmel haben sich doch wie Wegelagerer benommen!«
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