Michel stand zur bezeichneten Stunde vor dem Thron des Herrschers der Gläubigen von Ifrikija. Der Bej reichte ihm die Hand zum Kuß, eine große Auszeichnung.
»Erhabener Bej«, begann Michel in wohlgesetzten Worten, »ich habe nun deinen Sohn alles gelehrt, was ich hinsichtlich schnellen Schießens, überlegenen Fechtens und anderer königlicher Sportarten weiß. Und ich habe mein Leben eingesetzt, um Leben und Thron für dich, Erhabener, zu retten.«
»Allah ist Zeuge, daß du die Wahrheit sprichst«, rollte der tiefe Baß des Bej durch den Thronsaal.
»Darf ich nun eine Gnade erbitten?«
»Es sei dir gewährt, und Allah weiß, daß ich versuchen werde, sie zu erfüllen.« »Ich habe gehört, daß du Geschenke an deinen kaiserlichen Bruder, den Sultan der Osmanen, zu schicken beabsichtigst. Vielleicht könntest du auch mich mit dieser Karawane deiner Boten nach Istanbul gehen lassen als einen, der es versteht, die Würdenträger der Pforte in den Vollkommenheiten der Schießkunst und anderer vornehmer Sportarten zu unterrichten. Ich hörte, daß der Sultan viele Turnierplätze besitzt, auf denen seine Vasallen Mut und Geschicklichkeit erproben.«
»Er besitzt außerdem noch Armeen zu Fuß und zu Pferde«, sagte der Bej.
Michel zögerte, bevor er seine nächste Bitte aussprach. Doch dann fragte er fest entschlossen:
»Wirst du auch die Gnade haben, mir einen Firman [25] Geleitbrief
mitzugeben, der mich der Pforte empfiehlt?«
»Das kann ich schon machen; denn ich nehme an, daß der Oberbefehlshaber des Sultans Verwendung für dich hat.«
»Und wenn ich dann noch bitten dürfte, mich mit dem Nötigen für die Reise auszustatten...«
Der Bej kniff die Augen zusammen und fixierte den Pfeifer. Dann lachte er:
»Bei Allah, du weißt, wie man seine Anliegen geschickt und nacheinander vorbringt! Du willst also nicht wie ein armer Militärinstrukteur nach Istanbul gehen, sondern wie ein großer Effendi, dem man alle Ehre erweist.« Die Lippen des Bej verzogen sich zu einem Lächeln.
»Wieviel Piaster würden nach deiner Meinung nötig sein, um dich als reichen, unabhängigen Herrn erscheinen zu lassen?«
»Zehntausend«, anwortete Michel schnell.
»Zehntausend? Maschallah, mit zehntausend würdest du meinen Gesandten ausstechen! Du sollst fünftausend haben.Und ich hoffe, daß mein Gesandter mir gute Nachrichten über dich sendet.«
»Allah sei mit dir«, sagte Michel froh; denn er hatte auch nicht mit fünftausend gerechnet. »Der Großwesir wird dir den Firman ausstellen und die fünftausend Piaster geben. Ich werde dich mit meiner Karawane auf einem englischen Schiff nach Istanbul schicken. Die Engländer schulden mir Tribut und haben sich verpflichtet, besonderen Wünschen von mir nachzukommen.«
Michel verbeugte sich. Die Audienz war beendet.
Als er den Raum verließ, trafen ihn Hammudas lächelnde Blicke. Der »Kronprinz« nickte ihm heimlich zu, als habe er sich mit ihm verschworen.
Wenn der Bej die Behauptung aufgestellt hatte, daß die Engländer Tribut an ihn zu entrichten hatten, so war daran etwas Richtiges. Alle seefahrenden Nationen, deren Schiffe die Wellen des Mittelmeeres durchpflügten, zahlten dem Bej eine jährliche Taxe, wofür sich dieser verpflichten mußte, seine Korsaren nicht auf ihre Schiffe anzusetzen. Damit hatten sie wenigstens vor dem tunesischen Araberfürsten Ruhe. Es war schon genug, daß Baba Ali, der Daj von Algier, ihre Schiffe belästigte.
Am folgenden Morgen gingen Michel und Ojo mit den übrigen Boten des Bej an Bord einer britischen Fregatte, die vor Goletta ankerte. Es war das stolze Schiff »King Charles«, bestückt mit vierundzwanzig schweren Kanonen.
Der Kapitän, John Byron, empfing sie höflich, aber zurückhaltend. Es war ihm gar nicht angenehm, diese Barbaren an Bord zu haben. Er fürchtete sie nicht etwa; aber er hatte wie alle Kapitäne der christlichen Länder eine Abneigung gegen Menschen, die unter der Herrschaft der Piratenfürsten Nordafrikas lebten.
Ein Offizier der Hampers geleitete Michel und die Boten an Bord und wies sich dem Kapitän als offizieller Abgesandter des Bej aus. Er sprach gebrochen Englisch und erklärte Mr. Byron, welche Bedeutung die einzelnen Passagiere am Hofe des Bej hatten. Von Michel alias Abu Hanufa sprach er mit Hochachtung und empfahl ihn der besonderen Obhut des Kapitäns. Michels Herz klopfte vor Freude, als er über die Planken des Schiffes schritt. Sie waren wie ein Stück europäischen Bodens. Er sah in die Gesichter der Matrosen und fühlte sich der Heimat nahe.
Ojo schlief bereits in seiner Kabine. Michel ging zu ihm und setzte sich auf den Rand seines Bettes. Eine Weile hörte er sich das Schnarchen des Kameraden an. Dann jedoch rüttelte er ihn wach.
Ojo fuhr auf und blickte verwirrt um sich. »Wie fühlst du dich, amigo?« fragte Michel.
»Ach so--wir sind ja jetzt wieder unter Christen! Hoffentlich kommt dieses Schiff nie nach Konstantinopel! Ich wünschte, es würde gleich Kurs nach England nehmen.« »Seit wann liebst du die Engländer, alter spanischer Korsar?«
»Seit ich die Bekanntschaft der Araber gemacht habe. Jeder abendländische Vagabund ist mir lieber als das ganze braune Geschmeiß.«
»Du vergißt schon wieder«, mahnte Michel freundlich, »daß alle Menschen gleich wertvoll sind. Nicht ob Araber, Engländer, Türke oder Spanier, ist entscheidend, sondern daß sie Menschen sind.«
»Hört auf, Senor Doktor, die Mauren sind blutrünstige Tiere! Wie könnt Ihr sie mit Engländern oder gar Spaniern vergleichen?«
»War Hammuda ein blutrünstiges Tier? Ist Aladin nicht ein bewunderungswürdiger Mensch? Du darfst nicht alle über einen Kamm scheren. Auch unter den Weißen gibt es Verbrecher und Lumpen.«
»Ach, ich bin froh, daß hier Europäer in der Nähe sind.«
»Das wird dir nicht viel nützen, amigo. Du mußt weiter den Taubstummen spielen, und auch ich werde mich den Engländern nicht zu erkennen geben. Nicht einmal ihre Sprache werde ich reden, so schwer es mir auch fällt. Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Wir sind und bleiben Abgesandte des Bej und werden als solche auch in Konstantinopel unsere Nachforschungen nach Marina betreiben.«
»Schon gut«, sagte Ojo seufzend, »Ihr wißt ja, daß ich Euch mit Leib und Seele verbunden bin. Bleibe ich halt ein Taubstummer.«
Jetzt hörten die beiden Abenteurer das Knarren der Ankerwinde. Kommandos drangen bis in die Kabine. Und nach einigen Minuten ging das Schiff auf Fahrt.
Der kleine Atlas
Staatsrat
Kleine
Friede über dich (mohammedanische Grußformel)
Und über dir sei Friede (Entgegnung auf die Grußformel)
Unübersetzbarer Ausdruck, etwa wie das international gewordene »Comme ci, comme sa« der Franzosen.
Cous—Cous ist die Bezeichnung fьr zwei verschiedene Speisen. Die eine setzt sich wie oben beschrieben zusammen, die andere besteht aus Reisballen, die in Hammelfleischtunke getaucht werden.
Empfangszimmer
Der äußerste Westen, gemeint ist Marokko
Statthalter, Gouverneur
Guter Freund
Mekkapilger
Jesus, Sohn Mariens
Trinkgeld
Tunis
Rejs = Schiffsoffizier, auch Kapitän
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