Eines Morgens riefen Jagdhörner das ganze Gefolge des Bej zu einer Löwenjagd zusammen, die sich über mehrere Tage erstrecken sollte.
In dem Dorf Sidi bel Beira hatte ein Löwe die Einwohner in Angst und Schrecken versetzt. Er brach an hellichtem Tag in Ställe und Höfe ein, stürzte sich auf die spielenden Kinder und griff jeden an, der ihm zu Leibe gehen wollte.
Die Bewaffnung der Dorfbewohner bestand größtenteils aus Speeren und Lanzen. Nur wenige besaßen Flinten. Mit diesen Schießprügeln konnte man jedoch keine zehn Schritte weit ins Ziel treffen. Es waren uralte Donnerbüchsen.
Dorthin machte sich die Jagdkarawane des Bej auf. Selbstverständlich nahmen Michel und Ojo daran teil.
Die höchsten Würdenträger und der dicke, grausame Bej saßen auf Elefanten.
Einige Jäger fanden die Spur des gefährlichen Löwen sehr bald. Der Herr der Wildnis ruhte sich aber in seiner Höhle aus und ließ sich vorerst nicht blicken.
Der Bej, sein Sohn, Michel, Ojo und wenige Vertraute, im ganzen sieben, hatten ihr Lager etwas abseits aufgeschlagen. Die erste Nacht verging.
Am nächsten Morgen schwärmten die Treiber aus, um das gefährliche Tier aus seinem Versteck zu scheuchen.
Der Bej kletterte über eine Leiter gerade auf den Elefantensitz, und Michel war dabei, sein Pferd zu satteln, als es plötzlich in den Büschen raschelte. Da stand der Löwe und setzte zum Sprung auf den Bej an.
Michel konnte noch einen warnenden Schrei ausstoßen. Aber da stürzte der Tyrann bereits von der Leiter. Der Löwe hatte ihn im Sprung gestreift.
Alles, was jetzt folgte, geschah in Bruchteilen von Sekunden.
Hammuda Pascha riß seine Büchse hoch, drückte ab und fehlte. Der Löwe setzte zum zweiten Sprung an. Michel sah von seinem Standort aus direkt in seine glühenden Lichter. Der nächste Augenblick mußte über Tod und Leben des Bej entscheiden.
Da warf der Pfeifer das Gewehr hoch und schoß einmal, zweimal, dreimal. Er hatte das Tier im Sprung tödlich getroffen. Der Löwe stürzte zwei Schritte vor seinem Ziel leblos zu Boden. Für eine Weile herrschte Totenstille im Umkreis.
Aber nicht die Gefahr, in der sich der Bej befunden hatte, war die Ursache dieser Ruhe. Der Bej, sein Sohn, die drei Würdenträger, unter denen sich auch Aisad befand, starrten Michel mit weit aufgerissenen Augen an. »Baraka«, flüsterte der Bej, »das war Hexerei!«
»Bei Allah«, rief Hammuda Pascha und stürzte auf seinen Freund zu, »weshalb hast du mir ein solches Schießen nicht beigebracht? Ich habe dich Sahabati genannt, und du hast mich schändlich betrogen!«
»Erinnerst du dich nicht«, mischte sich Aisad ins Ge-sprach, »wie Abu Hanufa an dem Tag, als du, erhabener Bej, ihn zum Lehrer deines Sohnes machtest, dreimal hintereinander geschossen hat? Ich habe die ganze Zeit daran denken müssen. Er ist ein Abgesandter des Schejtans.« Der Bej, der mittlerweile wieder auf die Füße gekommen war, ging langsamen Schrittes auf Michel zu.
»Warum hast du uns verschwiegen, wie groß deine Künste sind, Elender?«
Michel zog unmerklich, so als suche er nur irgend etwas, um sich damit zu beschäftigen, den Sattelgurt fester, um, wenn nötig, sofort aufsitzen zu können. Ojo hatte mittlerweile gemerkt, worum es ging, und stand ebenfalls sprungbereit. Er verfolgte mit den Augen jede Bewegung der anderen, die in der nächsten Sekunde zu offenen Feinden werden konnten.
»Ich habe euch nicht betrogen«, nahm der Pfeifer das Wort. »Ich habe dich, Hammuda Pascha, alles gelehrt, was ich selbst kann. Und ich habe dir, o erhabener Bej, nur versprochen, deinen Sohn zum besten Scharfschützen zwischen Ifrikija und dem Maghreb al-aksa zu machen. Das habe ich gehalten.«
»Und weshalb hast du verschwiegen, daß du auch Geister beschwören kannst?« »Ich kann keine Geister beschwören.«
»Wie ist es dann möglich, daß du dreimal, ohne zu laden, mit ein und demselben Gewehr schießen kannst?«
»Damals, als ich dich zum erstenmal gesehen habe, Sayd, habe ich dir das Gewehr zum Anschauen gereicht. Du hast es genau betrachtet, um es mir dann mit verächtlicher Miene zurückzugeben. In deinen Augen war es eine häßliche Vogelflinte ohne jeden Wert. Wie hätte ich wagen dürfen zu behaupten, daß diese Waffe mehr wert sei als sämtliche Schießgewehre deiner Soldaten zusammengenommen? Du hättest mir nicht geglaubt.« Der Bej, Hammuda Pascha und Aisad traten neugierig näher.
»Soll das heißen«, fragte der erste, »daß jeder Mensch dreimal hintereinander mit diesem Gewehr schießen kann?«
»Ja, vorausgesetzt, daß er den Mechanismus kennt. Es ist das einzige Gewehr auf der ganzen Welt, mit dem man, sooft man will, schießen kann, ohne laden zu müssen.« Der Pfeifer hatte die villaverdische Muskete spielerisch in Anschlag gebracht, so daß die Mündung auf die Brust der Gegner wies. Die Männer wichen erschrocken zurück. »Zeige uns den Mechanismus«, giftete Aisad. Michel lachte ihm ins Gesicht.
»Ich müßte wahnsinnig sein, wenn ich das täte. Ich bin der einzige Mensch außer dem Erbauer des Gewehrs, der ihn kennt. Ohne mich kannst du die Muskete auf den Dunghaufen werfen. Sie würde nicht einmal losgehen.«
Aisads Blicke gingen unruhig zwischen dem Bej und dessen Sohn hin und her.
Hammuda Pascha konnte einerseits seine Enttäuschung, andererseits aber auch seine Sympathie für Michel nicht verbergen. Er wollte nichts gegen ihn unternehmen.
»Geben wir uns zufrieden mit der Erklärung Abu Hanufas«, sagte er. »Vielleicht hätte auch ich ein solches Geheimnis für mich behalten. Außerdem ist es ja dieser Wunderbüchse und seiner Schießkunst zu verdanken, daß du, mein Vater, noch unter den Lebenden weilst.«Michel atmete auf. Vielleicht würde es Hammuda gelingen, die anderen von dem Gedanken abzubringen, ihn als Feind zu betrachten.
Der Bej nickte. Und dieses Nicken sah aus wie Zustimmung. Aber in seinen Augen glomm ein gefährlicher Funke. Er wandte sich ab und ging wieder zu seinem Elefanten, wo ihm Aisad beim Aufrichten der Leiter behilflich war. Der Polizeimeister benutzte das Nebeneinandersein, um dem Fürsten zuzuflüstern:
»Soll ich ihn festnehmen lassen?«
Der Bej machte eine zustimmende Kopfbewegung.
Langsam versammelten sich auch die übrigen Mitglieder des Jagdzugs. Jäger und Treiber banden die Pfoten des erlegten Löwen zusammen und steckten einen Speer hindurch, an dem sie ihn triumphierend ins Dorf trugen:
Ganz Sidi bel Beira war ein jubelnder, vor Erregung brodelnder Kessel. Die Dorfbewohner bespuckten den Löwen, warfen Steine nach ihm und ergingen sich in den wildesten Beschimpfungen und Schmähungen.
Michel und Ojo wurden aufgefordert, für die kommende Nacht unter dem Dach des großen, seidenen Zeltes zu nächtigen, an dessen Eingang das Feldzeichen des Bej wehte. Diese Einladung nahm Michel das letzte Mißtrauen. Und da er müde und abgespannt war von den Anstrengungen des Jagdausfluges, fiel er bald in einen gesunden Schlaf. Ojo schnarchte, daß es wie die Grundgewalt des Kontrabasses klang. — Das Erwachen der beiden war weniger friedlich. Michel fühlte Lederriemen um Hand- und Fußgelenke.
Der flackernde Schein einer Fackel drang mit schmerzhafter Helle in seine Augen. Zuerst wußte er nicht recht, ob er wachte oder träumte. Dann aber hörte er einen spanischen Fluch. Ojo mußte ihn ausgestoßen haben.
Michel wollte sich aufbäumen und wehren. Aber er konnte sich kaum rühren. Nervige Fäuste hielten ihn nieder.
Die Fackeln im Zelt vermehrten sich. Und ihr Licht tauchte alles in einen hellen Schein. Er konnte jetzt die Gesichter unterscheiden. Sein Blick streifte die verbissene Fratze Aisads. Dann traf er den Bej, dessen Grinsen Michels Blut in den Adern gerinnen ließ.
Er wollte protestieren. Aber dann zog er es doch vor zu schweigen. Er schloß die Augen, damit er nicht in die widerlichen Gesichter zu sehen brauchte. Ekel vor den Menschen würgte ihm in der Kehle. In diesem Augenblick nahm er sich vor, kein einziges Wort mehr zu reden, bis er wieder frei war. Zu seiner Verteidigung würde er den Mund ohndies nicht öffnen dürfen. Und um den Gewalthabern auf ihre Fragen zu antworten, war er zu stolz. Er nahm mit ziemlicher Sicherheit an, daß man vorläufig nicht vorhatte, ihn in die Gefilde des Paradieses zu befördern.
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