Kapitän Weber fuhr sich mit der Hand über die Augen. War es Wirklichkeit, war es Traum? Er ging näher heran und tastete über die beiden verbliebenen Säcke. Tatsächlich, es waren nur zwei.
Wie von einer Tarantel gestochen war er die Leiter hinaufgestürmt.
»Hein«, schrie er den langen Matrosen an, »Hein! Die Säcke mit den Gesteinsproben des deutschen Gelehrten sind weg!«
Hein sah töricht drein.
»Wo sollen sie sein, Käpt'n?«
»Frag nicht so dumm«, schrie ihn der Kapitän an, »wenn ich das wüßte! Los, trommle mir sofort die ganze Mannschaft zusammen!«
Als alle Mann versammelt waren, fragte der Kapitän jeden einzelnen. Und er fand keinen, der nicht genauso verblüfft war wie er.
»Paulus, du hattest doch Wache heute nacht, weißt du nichts über den Verbleib?«Paulus antwortete nicht; denn er war gar nicht erschienen.
»Wo ist Paulus?«
Ein anderer Matrose sagte, daß er ihn vorhin noch in der Koje gesehen habe.
»Hol ihn sofort !« schrie ihn Weber an.
Der Matrose gehorchte und entfernte sich schleunigst. Als Paulus kam, machte er einen sehr verstörten Eindruck. Der Kapitän wiederholte seine Frage von vorhin. Aber auch Paulus konnte oder wollte sie nicht beantworten.
Stunden später erst, als der Kapitän bereits der Verzweiflung nahe war, ging Paulus zu ihm in die Kajüte.
»Was willst du?«
Paulus stammelte etwas von Steinen.
Weber horchte auf.
Und dann nach und nach, wie schwere Tropfen, kam ein Geständnis aus dem Mund des törichten Matrosen.
Dem Kapitän verschlug es die Sprache. Ungläubig starrte er Paulus Krämer an.
»Und — und — das soll ich dir glauben? Du bist wirklich auf die dumme Lüge dieses Arabers hereingefallen?«
»Eine Lüge?« fragte Paulus.
»Na, das konntest du dir doch an zehn Fingern abzählen. Weißt du denn, was du den Leuten in das Boot geworfen hast?«
»Ja, sicher, die heiligen Steine aus Maskat, die die Fremden dort gestohlen hatten.«
»Du bist ein Rindvieh, ein riesengroßes Kamel! Das waren keine heiligen Steine aus Maskat, das waren Diamanten, die der Doktor Baum auf seinen Reisen in Afrika gefunden hat.«
Paulus sperrte den Mund weit auf. Dann schlug er sich mit seiner großen Hand an die Stirn, daß es knallte.
Der Kapitän stürmte schon an ihm vorbei und rannte zur Kommandobrücke. Dort nahm er das Sprachrohr an die Lippen und gab seine Befehle.
»Kurs um hundertachtzig Grad ändern. Wir fahren zurück nach Sansibar.«
66
Imi Bej und Harun ál Walan saßen im großen Saal des Palastes.
»Glaubst du, daß die Sache gut ausgehen wird?«
»Ja, Harun ál Walan«, erwiderte der Bej überzeugt.
»Und du hast alle Möglichkeiten, die zu einem Skandal führen könnten, ausgeschaltet?«
»Vollkommen. Niemand weiß, daß die Sache von mir ausgeht, außer meinen Leuten natürlich.
Aber die sind zuverlässig.«
Harun ál Walan schüttelte den Kopf.
»Es ist mir schier unverständlich, daß ein Mensch eine solche Lüge hinnimmt.«
»Mein Arzt hat mir bestätigt, daß dieser Matrose ein Dummkopf ist.«
»Wann erwartest du den Boten, der die Kunde vom Gelingen oder Mißlingen des Planes bringen wird?«
»Jeden Augenblick«, erwiderte Imi Bej.
Die Tschibuks qualmten, und der Mokka dampfte. Als die Männer eine Weile geschwiegen hatten, nahm Harun ál Walan wieder das Wort :»Angenommen, es handelt sich bei deinem — eh
— Fund tatsächlich um Edelsteine, was wirst du tun?«
»Ich werde sofort aufbrechen, um mich von Ugawambi an den Ort führen zu lassen, wo der Weiße die Edelsteine gefunden hat.«
»Das heißt also, du und deine Leute fahren morgen wirklich mit meinem Schiff mit?«
»Ja, mit deiner gütigen Erlaubnis, Harun ál Walan.«
»Du hast meine Erlaubnis. Das weißt du. Ich hoffe, ich kann dem Imam von Maskat Gutes berichten.«
»Ich bin fest davon überzeugt.«
Eine Saaltür öffnete sich, und ein Diener trat ein, der sich vor den beiden Männern ehrerbietig auf den Boden warf.
»Sie sind da, Herr«, sagte er zu Imi Bej.
»Sie sollen hereinkommen«, rief dieser aufgeregt, »und einige Proben ihrer Eroberung mitbringen.«
Deutliche Spannung stand in den Gesichtern der Männer.
Zwei wild aussehende Gestalten traten ein und verbeugten sich lässig. Dann legten sie einen der erbeuteten Säcke vor Imi Bej und öffneten ihn. Der Satan von Sansibar griff mit beiden Händen hinein und hielt sie dann dem Gesandten des Imam von Maskat vor die Augen.
»Siehst du, daß ich recht gehabt habe? Ungeschliffene Diamanten, so groß wie Taubeneier! Ein ungeheurer Schatz!«
Harun ál Walan zitterte vor Gier. Obwohl die Steine ungeschliffen waren, brach sich das Licht der Kerzen in ihnen, sie flimmerten und funkelten.
»Es ist unglaublich.« Die Stimme Harun ál Walans war verschleiert.
Der Bej wandte sich an die beiden Männer, die den Sack hereingeschafft hatten.
»Wieviel solcher Säcke konntet ihr erbeuten?« fragte er.
»Sieben«, sagte einer der beiden.
»Hörst du, Harun ál Walan, sieben solcher Säcke ! Dafür kann man eine ganze Stadt bauen oder zwanzig Moscheen oder hundert Schiffe.«
Die beiden Boten warfen sich einen Blick zu. Sie jubelten innerlich vor Freude, daß der Bej die Zahl sieben ohne weiteres akzeptierte, voraussichtlich, ohne eingehendere Nachprüfung anzustellen. Sie hatten also sieben Säcke abzuliefern, das hieß, daß für alle anderen zusammen ein Sack übriggeblieben war, von dem der Bej nichts wußte. Ein schöner Lohn für die verhältnismäßig leichte Arbeit. Sie durften sich zurückziehen.
Diesmal ließen sie es nicht an dem nötigen Respekt fehlen und verbeugten sich mit äußerster Höflichkeit, ehe sie den Saal verließen.
»Morgen früh breche ich auf.«
»Wenn ich nicht eine wichtige Regierungsmission zu erfüllen hätte«, sagte Harun ál Walan,
»würde ich mich deinem Zug anschließen. Aber ich wünsche dir auch so viel Glück. Es wird tatsächlich das beste sein, wenn du keine unnütze Zeit mehr verstreichen läßt.«
»Und du wirst daran denken, daß der Gouverneursposten in Sansibar dereinst nur von einem loyalen Untertanen des Imam besetzt werden kann?«, fragte Imi Bej mit lauernden Augen.
»Sei dessen sicher, ich werde daran denken. Ich versprach es dir ja bereits.«
»Allah akbar«, sagte Imi Bej mit frommem Augenaufschlag.Wieder herrschte eine Zeitlang Schweigen zwischen ihnen.
»Mit wieviel Leuten wirst du deinen Zug unternehmen?« fragte Harun ál Walan.
»Es sind über dreißig«, antwortete Imi Bej.
»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß du so viele Männer in deinen Diensten stehen hast«, wunderte sich Hanin ál Walan.
Der Bej lächelte verschmitzt.
»Es sind nicht alles meine Männer. In den letzten Tagen bedrängte mich immer wieder Abu Sef.
Er wollte mir unbedingt Kapital, sich selbst und die besten seiner Jäger zur Verfügung stellen.
Nun, ich habe angenommen.«
»Ist das nicht gefährlich? Wird Abu Sef nicht einen Teil von den Schätzen haben wollen?«
»Das werde ich zu verhindern wissen. Ich habe vor, mich zu gegebener Zeit von Abu Sef zu trennen. Den — eigentlichen Sklavenfang führen die Sklavenhändler im allgemeinen nie gemeinschaftlich aus. Man tut sich nur zusammen, um auf der Marschstrecke eine größere Streitmacht zu besitzen. Daran wird Abu Sef nichts besonderes finden. Es ist Brauch, und er kennt diesen Brauch.«
Harun ál Walan schenkte dem Bej einen Blick, der nicht gerade sehr schmeichelhaft für ihn war; dennoch lag unverhohlene Bewunderung in seinen Worten, als er sagte:
»Du bist klug, Imi Bej — sehr klug. Und wir schätzen die Klugheit über alles, wenn sie in unseren Diensten steht.«
Читать дальше