Ernst von Wolzogen
Die kühle Blonde
Zweiter Band
Bersiner Sittenbild in zwei Bänden
Saga
Zehntes Kapitel.
Das Gewitter bricht los.
Seinem Vorsatz getreu, verfügte sich Günther von Schlichting schon am andern Morgen nach der Flemmingstrasse. Er hoffte um diese frühe Stunde seine schöne Base allein zu treffen, da er den Doktor Renard auf der Börse vermuten durfte. Aber das Dienstmädchen, das ihm auf sein Klingeln öffnete — Renards hatten bei ihrem Umzug auch die zierliche, gewandte Zofe entlassen und dafür eine pausbäckige Nymphe frisch vom Lande angenommen — glotzte ihm so verstört ins Gesicht, dass er alsbald Unheil ahnen musste. Ihr pommersches Platt mühsam bekämpfend, erzählte ihm die Magd, dass Walther, Renards kleiner Sohn, an der Diphtheritis erkrankt sei, und dass ihr infolgedessen streng verboten sei, irgend jemanden einzulassen. Günther drückte sein Bedauern aus, liess gute Besserung wünschen und entfernte sich recht missvergnügt. Der Aufschub, den seine Rache nun erleiden musste, ärgerte ihn nicht wenig, und zudem — gefährliche Krankheiten der Kinder tragen oft dazu bei, Ehegatten einander wieder zu nähern, und der Tod besonders pflegt ein gewaltiger Bussprediger zu sein, der selbst verstockte Herzen für die Aufnahme des Evangeliums der Liebe und des Friedens wohl vorzubereiten weiss! —
Günthers Voraussetzung war in der That zutreffend: Renards bange Sorge um das Leben seines kleinen Lieblings und Loris ernstes Bestreben, dem Gatten bei dieser Gelegenheit einen vollgültigen Beweis ihrer opferfähigen Teilnahme zu geben, hatten gleichmässig dazu beigetragen, den Sturm zu beschwichtigen, der sich trotz der jüngsten Versöhnung bereits wieder auf das schwankende Schifflein ihrer Ehe zu werfen drohte. Loris Hoffnung, dass mit dem Abbruch der zahlreichen allzuvertrauten Beziehungen mit jener Welt der glatten Lüge, des schnöden Mammondienstes, mit der Rückkehr in bescheidenere, aber ihrer wirklichen Lage angemessenere Verhältnisse dem Gatten auch die Einkehr in sich selbst erleichtert und ihr der Weg zu seinem Herzen geebnet werden würde, hatte sich leider nur allzubald als eine Seifenblase erwiesen. Wie ehrlich es Gisbert auch mit seiner Reue gemeint, wie mutig er auch die Schiffe hinter sich verbrannt, mit wie reiner Sehnsucht nach Wahrheit er auch den Dornenweg in das neuenunbekannte Gebiet betreten hatte, in das sein schönes Weib ihm als Engel der Verheissung voranschreiten wollte, so zeigte es sich doch nur allzubald, dass seine schwache Narur dem plötzlichen Wechsel des Klimas nicht stand zu halten vermochte. Er war nun einmal gross geworden in dem feuchtwarmen Treibhausdunst der grossstädtischen Gesellschaft, gewöhnt, im tiefen Schatten des tropischen Sumpfwaldes schmiegsam verschlungene Pfade zu finden, das Gekreisch possierlicher Affen und bunter Papageien, die sich auf den üppigen Lianenranken zu seinen Häupten schaukelten, war ihm ein liebvertrauter Ton — aber das helle Himmelsblau, welches über dieser nördlich gemässigten Zone sich ausspannte, in der seine „kühle Blonde“ ihn heimisch machen wollte, die scharfe, dünne Höhenluft beängstigte ihn; es fröstelte ihn bis in das innerste Mark seines Wesens; die ruhige Farbenharmonie grüner Wiesen und dunkler Fichtenwälder langweilte sein verwöhntes Auge, und das Liebeslied der unscheinbaren Nachtigall dünkte ihm eine weichlich sentimentale Musik. Wohl hatte ihm Lori, als Ersatz für alles, was er aufgegeben, einen Schatz wahrer Liebe zu bieten; doch die Art, wie sie sie ihm darbot, enttäuschte wieder seine Erwartungen. Niemals eine Ueberraschung, keine lieblich verwirrende Laune, keine Erfindungskraft — eine stille Flamme, kein Feuerwerk! Er meinte, für seinen Teil doch nun vorläufig genug geleistet zu haben — sie schien die Grösse seines Liebesopfers gar nicht fassen zu können. Hätte sie sonst auch jetzt noch zögern dürfen, auch ihrerseits den Versuch zu machen, ihre Natur nach seinen Wünschen umzuwandeln?! In der lärmenden grossen Welt liess sich mit dieser stillen Frau nicht leben — aber auf der einsamen Insel ebensowenig! Wie konnte ein junges, schönes, hochgebildetes Weib nur so langweilig sein!
Eine kleine Weile ging es ja freilich ganz gut. Sie richteten sich ihre so viel bescheidenere Wohnung recht behaglich ein und Gisbert wurde sehr häuslich. Mehr als sonst beschäftigte er sich mit seinen Kindern und widmete die langen Abende, die er sonst im Theater, in Gesellschaft, im Restaurant zugebracht hatte, dem ernsthaften, fast alle Gebiete der Wissenschaft und Kunst berührenden Gespräche mit seiner Lori. Er besprach auch einige dramatische Entwürfe aus früherer bewegter Zeit mit ihr, ohne freilich dadurch einen besonderen Antrieb zum wirklichen Beginn der Arbeit zu empfangen, denn Lori war ebenso kritisch, wie sie phantasielos war. Sie verleidete ihm durch ihre tausend Bedenklichkeiten die Freude an seinen Plänen und wusste doch nichts Besseres an deren Stelle zu setzen! Er wollte es sie nicht merken lassen, wenn sie seine Autoreneitelkeit verletzte; er zwang sich, momentan manchen kleinen Aerger hinunterzuschlucken — aber aus so verdriesslicher Stimmung heraus wollten sich natürlich keine glücklicheren Ideen entwickeln.
Schon nach den ersten acht Tagen hatte Gisbert das beängstigende Gefühl, dass sein guter Humor ihn zu verlassen drohe. Was seiner Seele dadurch an Nahrung entging, suchte er durch verdoppelte Zärtlichkeit zu ersetzen, — ein zweiter Honigmond sollte mit seinen verschwiegenen Wonnen den Champagner ersetzen, den ihm bisher das prickelnde Leben in der Gesellschaft kredenzt hatte. Die „kühle Blonde“ aber liess sich nach wie vor jede Gunst nur abtrotzen oder heimlich erschleichen: fast niemals konnte er sich der süssen Täuschung hingeben, dass auch sie in seinen Umarmungen sich berausche, dass sie einmal auch die Beglückte sei, nicht nur die liebreich Duldende. Und was diese kennzeichnende Eigenart ihrer Liebe ihm jetzt noch besonders schwer erträglich machte, das war der ewige stille Vorwurf, der nach jener versöhnenden Auseinandersetzung in ihren schönen Augen lag. Ihre Blicke verfolgten ihn mit einem fast zudringlichen Ausdruck christlichen Erbarmens, wie ihn wohl ein eifriger Seelsorger in einer Besserungsanstalt für entlassene Sträflinge oder in einem Magdalenenstift für angebracht halten mag.
Ja, wenn Gisbert wenigstens tüchtig zu arbeiten gehabt hätte und erst gegen Abend ruhebedürftig zu seinem jungen Weibe zurückgekehrt wäre, dann hätte sich vielleicht ein freundlicheres Verhältnis zwischen ihnen herausgebildet. Aber sie litt ja nicht, dass er, wie bisher, die Börse besuche. Er hatte ihr feierlichst versprochen, der entwürdigenden Spekulation zu entsagen, — und für den Beginn der neuen Arbeit war, wie gesagt, die Stimmung noch nicht gekommen. Die erzwungene Unthätigkeit machte ihn schlaff — er begann sich mit seinen vierzig Jahren alt zu fühlen.
Von seinen alten Freunden waren es hauptsächlich Sanitätsrat Magnus und der grosse Werner Grey, welche nach wie vor treu zu ihm hielten; doch auch ihre Besuche waren für Gisbert bald keine Freude mehr, da er sowohl aus den Blicken der beiden gescheiten Männer und noch mehr aus denen ihrer Frauen ein gewisses ironisches Mitleid herauszulesen glaubte. „Mann, Mann! Wie kann man sich so von seiner kleinen Frau ins Bockshorn jagen lassen!“ Das lag so ungefähr darin. So kam er sich denn auch diesen wirklich guten Freunden gegenüber — der wohlhabende Sanitätsrat hatte ihm aus freien Stücken Geld zur Verfügung gestellt, für den Fall, dass er etwas Neues unternehmen wollte! — als ein Gegenstand beleidigenden Mitleids vor. Und als eines Abends die beiden Familien bei ihm zum Thee waren und durch die Unterhaltung seiner Frau, das kalte Abendbrot und den leichten Wein, den es dazu gab, ausserordentlich befriedigt zu sein erklärten, ihm immer wieder mit warmem Dank für den reizenden Abend die Hand drückten, da war es heiss in ihm emporgewallt und er hatte nach ihrem Weggang der froh und zufrieden dreinschauenden Lori das harte Wort entgegengeschleudert: „Da siehst du nun, was wir erreicht haben mit unsrer blödsinnigen Ueberstürzung! Wie sie mich mit Glacéhandschuhen anfassten und sich verständnisinnig zublinzelten — haha! Für einen Narren sehen sie mich an, den man mit äusserster Schonung behandeln muss! Nächstens werden sie mir, nach dem bewährten Rezept, einen eigens hierzu mitgebrachten Vogel vorweisen und mir einreden wollen, den hätten sie eben aus meinem Köpfchen fliegen sehen!“
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