Gisbert kannte keine ärgere Demütigung als die, von seinesgleichen belächelt und bemitleidet zu werden. Als er daher wenige Tage nach jenem kleinen Einweihungsschmause für die neue Wohnung seinem Freunde Werner Grey Unter den Linden begegnete, nahm er die Gelegenheit wahr, ihn gerade heraus zu fragen, ob er ihn für verrückt halte? Und da antwortete Grey ebenso gerade heraus: „Ja!“
„Na, das ist ja recht erfreulich!“ knirschte Renard erbost. „Also wenn einer meinesgleichen endlich ’mal den moralischen Mut findet, sich von dieser Welt des Schwindels abzukehren, seinen wirklichen Verhältnissen entsprechend zu leben und es mit der ehrlichen Arbeit zu versuchen, anstatt wie bisher so raubtiermässig der menschlichen Dummheit aufzulauern oder ein stumpfsinniges und dabei nervenaufzehrendes Glücksspiel zu treiben — wenn ein sonst anständiger Mann endlich ’mal sein bisschen Grips zusammennimmt, um einzusehen, dass diese niederträchtige Jobberei eines Mannes von feineren Empfindungen und Geist unwürdig sei, dann schreit ihr alle wie aus einem Munde: ‚Der arme Kerl! Hihi! Er ist verrückt!‘“
„Sie ereifern sich ganz unnötig, lieber Freund!“ versetzte Grey mit ruhigem Lächeln. „Es wäre doch sehr merkwürdig, wenn ich Ihnen einen Vorwurf machen wollte aus etwas, was ich selbst gethan habe! Ich hatte tatsächlich alles verloren durch die verunglückte Geschichte mit der Gründung — Sie wissen ja. Ich bin ein reicher Mann gewesen, meine Frau und meine Kinder waren an Luxus gewöhnt, mir selbst war eine gewisse Ueppigkeit im Essen, Trinken und Rauchen Bedürfnis geworden — da kam der grosse Krach; und dann gab ich mein erstes lustiges Buch heraus und liess mich als Schriftsteller entdecken — und da tauchten mir gute Freunde von allen Seiten auf und stürzten mich auf die liebenswürdigste Weise in Schulden. Weil ich ein ehrlicher Mann bleiben wollte, ihnen gegenüber, musste ich arbeiten, schreiben, ich könnte beinahe sagen Tag und Nacht. Ich habe ja viel gesehen und erlebt, der Stoff fliesst mir reichlich zu, aber doch begreife ich es manchmal selbst nicht, wie alle diese Romane, manchmal drei bis vier Stück im Jahre, und dann noch all der novellistische Kleinkram zu stande kommt! Ich muss sagen, dass ich jetzt erst weiss, was arbeiten heisst, obschon ich als Kaufmann auch nicht auf der Bärenhaut gelegen habe. Und dann die Betriebskosten, das Gehirnschmalz, das man verbraucht, der Gedanke, dass es nun kein Aufhören mehr gibt, solange noch Schulden zu tilgen und Kinder zu ernähren sind — die Furcht, dass meine Bücher matter und öder werden könnten, je mehr dieser Krater hier ausbrennt — (er deutete auf sein Herz) — ich sage Ihnen, lieber Renard, da gibt es schlaflose Nächte, — Aufregungen, die vielleicht schlimmer sind als die eines Börsenspekulanten, ja — hören und staunen Sie! — es gibt sogar litterarische Gewissensbisse! Glauben Sie mir, ich renommiere nicht!“
„Wollen Sie mich damit abschrecken von meinem Vorhaben?“ unterbrach ihn Gisbert.
„Nein, im Gegenteil, ich wollte vielmehr mit allem Nachdruck erklären, dass ich trotz alledem und alledem dem Schicksale dankbar bin, das mich so gewaltsam aus dem Kaufmannsstande hinauswarf. Es liegt nun einmal in der produktiven Arbeit eine reinigende, erhebende Kraft, die ... Ja, aber was ich sagen wollte: Ihr Fall ist ein ganz andrer.“
„Ich möchte wissen, wieso?“
„Nach allem, was Sie mir da erzählt haben über Ihre kleine Kalamität, haben Sie wirklich — nehmen Sie mir es nicht übel! — einen Narrenstreich damit begangen, dass Sie darum so mutwillig sich selber den Kredit abschneiden. Ich bitte Sie, wenn man ein so glänzendes Geschäft in Aussicht hat, wie Sie mit dem Verkauf des bewussten Terrains — und ich kann Ihnen sagen, die Sache ist faktisch vollkommen sicher; in ein paar Wochen schon kann die Entscheidung kommen — dann ist es doch geradezu unverantwortlich gehandelt, besonders gegen die Kinder, wenn Sie so mir nichts dir nichts die Flinte ins Korn werfen, anstatt Ihren Kredit in Anspruch zu nehmen! Wenn das Geschäft zu stande gekommen ist, dann können Sie ja nicht nur ihre Verbindlichkeiten mit Leichtigkeit einlösen, sondern Sie bleiben dann immer noch ein recht wohlhabender Mann. Dann wäre es Zeit gewesen, sich von den Geschäften zurückzuziehen und sich der Muse in die Arme zu werfen. Glauben Sie mir, ein Schriftsteller, der es nicht nötig hat, dem wird es auch unendlich viel leichter, ein Künstler zu bleiben, als unsereinem! Und Sie ziehen sich ohne alle zwingende Notwendigkeit von der Gesellschaft zurück, die Sie auf Händen trägt, verkaufen Ihre Kostbarkeiten, verkriechen sich in die Flemmingstrasse ...“
„Mit einem Wort: ich bin verrückt geworden!“ warf Gisbert voll Bitterkeit dazwischen. „Nun, Sie werden wohl recht haben, lieber Freund, obschon. ... Wenn Sie wüssten. ... Man kann das nicht so sagen, was alles ...“ Er brach ab und ging schweigend, nervös die Unterlippe nagend, neben seinem grossen Freunde her. Er hatte ihm in Bezug auf die Ursache seines Verlustes nicht die Wahrheit gesagt; er hatte ihm vor allen Dingen verschwiegen, ein wie schlechtes Gewissen er in seiner Eigenschaft als angeblicher Eigentümer jenes grossen Grundstückes hatte, das ihm voraussichtlich bald ein neues Vermögen einbringen sollte; verschwiegen hatte er ihm auch, eine wie furchtbare Zuchtrute die Mitwisserschaft des edlen Agenten Feilchenfeld für ihn geworden war, und dass er die Rache dieses Menschen erst jüngst von neuem heraufbeschworen hatte durch seine Weigerung, das Grundstück jetzt zu verkaufen, wozu gerade Grey die Veranlassung gewesen war. Renard wirbelte der Kopf, sein Herz schlug laut vor Erregung und auf seine bebenden Lippen wollten sich Worte legen, die seine schwere Schuld verrieten und des erfahrenen Freundes Mitleid und guten Rat anriefen.
Zum Glück für den Unbesonnenen nahm da Grey selbst wieder das Wort: „Nehmen Sie mir es sehr übel, lieber Renard,“ begann er, „wenn ich Ihnen ganz offen sage, was Sie meiner Meinung nach zu diesem unglücklichen Schritt getrieben hat?“
„Bitte sehr, ich nehme Ihnen nichts übel.“
„Nun denn, offen heraus: Ich halte Ihre entzückende Madonna für die Hauptschuldige! — Habe ich recht?“
Gisbert zuckte die Achseln und seufzte statt aller Antwort.
„Ja, lieber Freund, dass ich Ihnen noch eine Vorlesung über die Weiber würde halten müssen, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen! Sie wissen ja, wie sehr gerade ich das Geschlecht verehre — und nun gar, seit ich Dichter bin — entschuldigen Sie das harte Wort! — Schon aus Geschäftsrücksichten verehre ich sie alle, ohne Unterschied des Temperaments, der Komplexion und der Konfession! Aber noch nie bin ich meinem Grundsatze untreu geworden, erstens ’mal: eine Frau nie um Verzeihung zu bitten — denn dann bleibt man sein ganzes Leben lang im Unrecht! — Und zweitens: einer Frau nie Einblick in und Einfluss auf Geschäftsangelegenheiten zu gestatten, denn sonst ist man ein für allemal drunter durch! O weh mir Armen, wenn das die Madonna wüsste, dass ich Sie so gegen sie aufhetze! Ich kann mich freilich auch so ihrer Gunst nicht eben rühmen, aber dann ... Sie sind mir doch wohl böse, Renard, was? Sie haben auch recht — es ist so schön, verliebt zu sein! — Wozu einem glückseligen Blinden den Star stechen wollen?“
„Nein, nein, ich bin Ihnen durchaus nicht böse,“ versetzte Gisbert matt lächelnd. „Sie haben es mir ja vorhergesagt, wie es kommen würde mit der ‚kühlen Blonden‘! Erhalten Sie mir nur Ihre Teilnahme. Es könnte kommen, dass ich einmal gute Freunde noch nötiger habe als jetzt!“
Die beiden Männer waren unterdes am Brandenburger Thor angelangt. Hier schieden sich ihre Wege, denn Grey wollte durch den Tiergarten nach Hause spazieren und Gisbert die Pferdebahn nach Moabit besteigen. — —
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