Nataly von Eschstruth
Roman
Saga
Nataly von Eschstruth: Die Regimentstante - Band 1. © 1899 Nataly von Eschstruth. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.
ISBN: 9788711469996
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Glückselige, welche die Muse liebt!
Hesiod.
Ein jeder Schritt, den unser Streben
Dem Reich der Wahrheit abgewinnt,
Er ist ein Schritt hinein ins heitre Geistesleben!
Jedoch, dass wir durch dieses Labyrinth
Nur langsam uns der Fülle näher winden,
Dies treibt in uns die Kraft zum Streben auf,
Und dass wir sie nur ahnen, nicht ergründen,
Das ist ein hoher Wink; er winkt hinauf!
Ciedge.
Die Kammerjungfer stand hinter ihr und steckte den Schneeglockenkranz auf dem braunroten, plattgescheitelten Haar fest, und während ihre geschickten Finger zierlich auf den weissen Blumenkelchen hin und her tupften, hier fester andrückten und dort ein wenig lockerten, flog der Blick immer wieder in den Spiegel, das Bild der jungen Gebieterin zu mustern. Ach, es war so ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack, es war so herzbeklemmend unvorteilhaft, dass Dörte gar nicht begriff, wo das gnädige Fräulein überhaupt die Courage hernahm, auf einen Ball zu gehen!
Wusste man dort, wie klug, wie lustig, wie herzensgut Fräulein Resi war?
Nein, man kannte sie nicht, man sah sie zum erstenmal hier in der Stadt, — und auf einem Ball fragt kein Mensch danach, wie es tief innen in Herz und Seele eines jungen Mädchens aussieht, da kommt es lediglich auf das hübsche Lärvchen an, und wem Mutter Natur den Freibrief der herzbesiegenden, augenbethörenden Schönheit ausgestellt hat, der tanzt, — und wer hässlich ist, wer bei der grossen Ausstattungslotterie eine Niete gezogen hat, der bleibt sitzen — rettungslos sitzen, denn die paar Almosen, welche mitleidige Herren den Mauerblümchen in Form spärlicher Extratouren zuwerfen, rechnen nicht mit. Dörte wusste so genau Bescheid damit! —
Sie hatte nicht umsonst acht Jahre lang bei der Gräfin Ridder gedient und manch liebes Mal durch die Verandathür in den Ballsaal geäugt! Wie ging es da zu? Etwa nach Recht und Verdienst? O Gott bewahre!
Ihre kleine Comtesse schwebte daher wie ein Engelchen, lachend, glückstrahlend, kokettierend mit all der Routine der Grossstädterin, welche die „rädergrossen, naiven“ Augen stundenlang vor dem Spiegel einstudiert, welche genau weiss, wie sie das Köpfchen drehen muss, um das pikante Profil im richtigen Moment zur Geltung zu bringen!
Welch eine Not im Toilettenzimmer! — da liegen die Engelflügel noch als Requisite in der Schublade, und Gräfin Fidelia tobt umher als das bitterböseste aller Teufelchen! Drei- — viermal muss die Frisur geändert werden, immer wieder werden von allen Seiten Spiegel gehalten und die kleine Dame mustert und prüft ohne Aufhören, Zornesfalten auf der Stirn, scharfe Linien um das rosige Mündchen, leidenschaftliche Scheltworte auf den Lippen. Wie oft hat sie nicht die Puderdose der Kammerjungfer an den Kopf geworfen, wenn es die Arme trotz aller Mühe nicht recht machen konnte! Wie manch reizenden Blumenkranz hat sie voll Wut mit den Atlasschuhchen zerstampft, wenn er ihrem Gesichtchen nicht das Relief gab, welches sie erwartete!
Wieviel zornig zerfetzte Spitzentücher, wieviel Scherben, wieviel des Hetzens, Kommandierens und Schmähens, bis es endlich — endlich so weit ist, bis das Erscheinen der Frau Gräfin dem grausamen Spiel ein Ende setzt, — ihr Mahnruf und der Schlag der Pendule auf dem Kamin.
Dörte ist dann müde und erschöpft einen Augenblick auf den Sessel gesunken und hat die kühlen Hände gegen die Stirn gepresst, wie ein flügellahmer Vogel, welcher sich in einem Wirbelsturm zu Tode geflattert, — Gräfin Fidelia aber schwebt in den Ballsaal, — lächelnd, anmutig, ganz kindliche Unschuld und Lieblichkeit. —
Entzückend hübsch sieht sie aus, und sie fliegt von einem Arm in den andern, sie ist umschwärmt, angebetet, ihre Händchen vermögen kaum die Masse der Cotillonsträusse zu fassen.
Und abseits, kaum bemerkt, nur gerade so viel tanzend, dass ihr „Schimmeln“ nicht auffällt und für die Herren zum Vorwurf wird, steht ein überschlankes, ernstes, nicht allzu hübsches Mädchen, eine Nichte der Gräfin, welche seit Jahren schon im Schlosse weilt. —
Wie manche Stunde sitzt sie still und emsig, kittet die Scherben, stopft, kaum sichtbar, die zerfetzten Taschentücher, frischt liebevoll die Blumen auf, welche die wütende kleine Cousine zertreten, und überall, wo Fidelias Lieblosigkeit und Heftigkeit ihre Spuren hinterlassen, waltet sie sanft und milde wie ein Geist des Friedens. Die Wunden heilen unter ihrer Hand. —
Wissen das die Leute im Ballsaal? — Nein, — sie sehen nur was vor Augen ist, — hier die Schöne, und dort die Hässliche.
Im Reich der Rose kommt das Wegekraut nicht zu Ruhm und Ehren — und wenn es selbst das beste, edelste Heilpflänzlein und Wohlverleih ist!
Ja, Dörte hatte die Welt kennen gelernt. Sie war eine verarmte Lehrerstochter, gebildet und freigeistig genug, um sich ein Urteil bilden zu können.
Als Comtesse Fidelia geheiratet, hatte sie das gräfliche Haus verlassen und war auf ihre guten Empfehlungen hin zu Fräulein Therese von Wieders übergesiedelt.
Fräulein Resi war eine Waise. Seit ihrem fünften Lebensjahr stand sie allein auf der Welt, ward von einer freundlichen alten Tante auf ihrem elterlichen Gut erzogen, und hatte das grosse Glück, von einer vortrefflichen Erzieherin und einem geistig bedeutenden Pfarrer unterrichtet zu werden.
Letzterer war ein sehr vielseitiger, lebensfrischer alter Herr, welcher ehemals als Marinepfarrer die Welt durchquert und manch reichen Schatz des Wissens und der Erfahrung heimgebracht hatte in die stille, kleine Dorfpfarre, auf welcher er, seinem eigenen Wunsche gemäss, den Rest seiner Tage in friedlicher Beschaulichkeit beschliessen wollte.
Es gewährte ihm besondere Freude, die junge Resi von Wieders zu einer klugen, lebhaft frischen und trefflich unterrichteten Dame heran zu bilden, gleichzeitig Herz und Seele bei ihr pflegend, um in den beiden Wundergärtlein aus fleissiger Saat viel edle Früchte zu ziehen.
So reich beanlagt Resi, so spielend leicht sie auffasste und lernte, so schwerfällig war ihr einziger Bruder Eberhard, welcher auf Veranlassung des Vormundes im Kadettenkorps erzogen ward und nur seine Ferien auf dem elterlichen Schloss verleben durfte. Das war der einzige, herbe Schmerz in dem sonst so heiteren, friedlich stillen Leben des heranwachsenden Kindes, denn die Geschwister liebten sich über alles, und wenn auch Resi an Jahren jünger war, so machte sie ihr energisches Wesen, ihr überlegener Geist dennoch zur lady patroness des Bruders, welcher sich ihren Ansichten und Wünschen fügte, wie ein gehorsamer Sohn seiner Mutter.
Eberhard war Offizier geworden und sollte es auch vorläufig bleiben, da er für Landwirtschaft weder Neigung, noch Interesse zeigte, und seine Güter in den Händen eines vortrefflichen Pächters besser aufgehoben schienen, wie in seinen eigenen. Seine Vermögensverhältnisse waren auch so glänzend, dass man es als noble Pflicht erachtete, den Namen Wieders in imponierender Weise in der Armee repräsentieren zu lassen. Als Eberhard bei einem Garde-Kavallerie-Regiment eintrat, zählte Resi fünfzehn Jahre und seitdem der Bruder zum letztenmal einen Jagdurlaub auf Wiedershagen verlebt, war ein Sturmwind mit ihm zugleich durch das stille Schloss gebraust, welcher die schönen, seit Jahren so trefflich bestehenden Verhältnisse rettungslos über den Haufen zu blasen drohte.
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