Er wollte heute eigentlich nicht tanzen, aber diesem braven Mädel gegenüber gebietet es die Ritterlichkeit, eine Ausnahme zu machen — da kann man ja leicht ein Herz beglücken — und wer weiss, hier schafft er vielleicht durch einen einzigen kurzen Tanz mehr Glückseligkeit, wie jemals bei seinen Schwestern durch die kostbarsten Präsente von Perlen und Brillanten.
Resi hatte getanzt, mit ungeheurem Genuss getanzt! Welch ein Spass, nun selber einmal zwischen all diesen Auserwählten herum zu wirbeln, sogar mit einem Kürassier und Majoratsherrn, welcher auf Gräfin Adas Liste durch drei Sternchen als „sehr empfehlens- und begehrenswert“ bezeichnet ist. Resi war so vergnügt, als flöge sie in den offenen Himmel hinein, und zwar mit ihrem Bruder, eine Thatsache, welche bei andern jungen Mädchen gar nicht mitrechnet, sondern als Notbehelf sehr ungnädig „erduldet“ wird.
Als sie hochaufatmend zum letztenmal herum getanzt hatte und mit lustblitzenden Augen zu Eberhard aufsah, nickte ihr der junge Offizier schmunzelnd zu und sagte: „Siehste, Altes, das hätten wir höllisch forsch gemacht! — Und nun wollen wir verpusten!“ —
Er bot ihr den Arm und wandte sich nach dem Eckplätzchen auf dem Wandpolster, um seine Tänzerin in ihr „angewärmtes Nest“ zurück zu bringen.
Resi aber blieb jählings stehen und wandte den Kopf etwas betroffen zur Seite.
„Da habe ich nun schon so sehr lange Zeit gesessen!“ sagte sie etwas unsicher, „führe mich doch einmal nach dort drüben, dass ich diese bunte Welt auch einmal von der anderen Seite kennen lerne!“
Eberhard zuckte die Achseln. „Alles geprammste voll! Da müssten wir schon einen Nebensaal unsicher machen. Lange Zeit ist ohnehin nicht mehr, — noch ein viereckiger Tanz und dann wird zum Futterschütten geblasen!“
„So komm dort in die Galerie!“ —
„Ja, halt mal, erst müssen wir an den Diwan zurück, ich habe ja meinen Säbel da abgelegt und muss wieder umschnallen!“
Resi hob den Kopf. Warum wollte sie eigentlich nicht wieder an den alten Platz zurück? Es war sehr thöricht von ihr. — Weil der Ulan sie mit seinen dunklen Augen so erstaunt angesehen hatte? Lächerlich! Hat sie ihn etwa nicht angesehen? Und Resi lachte wieder ganz vergnügt und redete sich selber ein, dass es doch höchst gleichgültig sei, ob ein Mensch den andern ansähe oder nicht.
Als sie an den Diwan kamen, stand Herr von Kronstadt vor demselben und blickte ihnen erwartungsvoll entgegen.
Sie mussten dicht an ihm vorüberschreiten, und der Ulan machte höflich Platz, wandte sich zu Eberhard und sagte lächelnd: „Ich habe ihr Schlachtschwert in Verwahrung genommen, lieber Wieders, es rasselte gar zu kriegerisch auf das Parkett herab!“ Und als der Kürassier wohlbehäbig seine Anerkennung aussprach, bat sein Kamerad mit liebenswürdigstem Neigen seines wohlfrisierten Hauptes: „Darf ich bitten, mich vorzustellen?“ —
„Gern, Verehrtester. Liebe Schwester, bleibe deiner Sinne Meister —: Baron Kronstadt.“
Resi lachte und Kronstadt lächelte, und nach einer abermalig scharmanten, spornklingenden Verbeugung sagte der Ulan ganz unvermittelt: „Sind gnädiges Fräulein bereits zu diesem Lancier engagiert, oder darf ich um den Vorzug bitten?“
Resi stand einen Augenblick sprachlos und starrte den schönen Mann an, als habe er türkisch gesprochen, und sie ward erst blass und dann so rot, als habe ein Sonnenuntergang all seine Purpurlichter über ihre Wangen gegossen.
Eberhard nannte das „ihr Alpenglühen!“ —
„Tanzen? — O gewiss, sehr gern, Herr von Kronstadt, wenngleich ich Ihnen ehrlich gestehe, dass ich sehr wenig Übung habe! Meine Tanzstunde auf dem Lande war sehr einseitiger Natur!“
Eberhard sah beinahe noch überraschter aus, wie seine Schwester. „Famos! sehr nett, Kronstadt — aber ich halte es auch für besser, Sie tauschen den Lancier in einen Walzer um, — ich weiss nicht, ob unser alter Dorfschulmeister die Quadrille so ganz à la cour einstudiert hat!“
„Einen Walzer?“ — der Ulan zögerte ein wenig: „Ich weiss wirklich nicht, mein gnädiges Fräulein, ob ich das riskieren darf! Die Rundtänze sind mir noch verboten, weil nach meiner schweren Kontusion am Kopf leicht noch Schwindel eintritt, und solche Zufälligkeiten vor den Augen der höchsten Herrschaften riskieren — —“
„Sie dürfen nicht tanzen? Sie waren krank?“ rief Resi ganz entsetzt — „um Himmelswillen, keinen Schritt —!“
Und Eberhard machte eine jähe Geste mit der Hand und nickte: „Donnerwetter ja! Ihr Sturz in Hoppegarten! — Nee zum Teufel! da lassen Sie mal das Geschwenke gut sein!“ —
„Gestürzt? Mit dem Pferd gestürzt?“ wiederholte Resi atemlos, und in ihrem Auge spiegelte sich eine solch unverhohlene Angst, dass Kronstadt in seiner ruhigen, etwas förmlichen Weise den Kopf neigte und lächelte: „Das ist bei einem Kavalleristen keine allzu grosse Seltenheit und hat nur den einen übeln Beigeschmack, welcher ein ehrgeiziges Herz mehr schmerzt, wie eine Schramme oder ein zerschlagener Knochen, dass man nämlich den Ärmsten für einen schlechten Reiter hält!“ —
Die Musik schmetterte eine Fanfare, und der Sprecher sah die junge Dame bittend an: „Befehlen gnädiges Fräulein? Der Tanz beginnt.“
Resi schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, Baron, ich befehle nicht! Im Gegenteil, ich möchte die Vorschriften Ihres Arztes durch die Bitte verschärfen, sich möglichst zu schonen! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit! Und“ — fügte sie mit scherzendem Ton hinzu — „werde Sie in voller Anerkennung Ihrer guten Absicht sofort für die Schwester der „Nora“ notieren, welche daheim in dem Fohlenstall heran wächst, und Eberhards Fuchs an Schönheit und guten Eigenschaften sicher noch um etliche Pferdelängen schlagen wird!“ —
Kronstadt sah sie überrascht an, dann lachte er leise auf. „Sie wissen von meiner unglücklichen Liebe zu der goldblonden Nora?“ antwortete er in derselben heiteren Art, „dann bitte ich um stilles Beileid, — ich kam mit meinem Antrag leider zu spät“ — ein beinahe koketter Blick der schönen, dunklen Augen traf sie — „wie es eben solch armen Burschen geht, welche immer mehr Glück im Spiel — wie in der Liebe haben!“ —
„Hm!“ — knurrte Eberhard mit einer leichten Grimasse und kurzem Seitenblick.
Resi aber ward abermals blutrot und sah ihn mit einem Blick an, in welchem sich die volle, naive Ehrlichkeit eines arglosen Herzens spiegelte, dessen Staunen sich in der Frage ausdrückt: „Du liebe Zeit! — Du schöner, wunderschöner Mann solltest kein Glück in der Liebe haben?!“ —
Aber sie fasste sich schnell und der Schalk blitzte wieder aus ihren Augen.
„Erste Lieb, du gehst vorbei,
Schneller wie ein Sturm im Mai!“
rezitierte sie. „Ich hoffe, auch Sie verschmerzen die schöne Nora bald, um ihrer noch schöneren Schwester willen!“ —
„Faktisch, gnädiges Fräulein, hat sie solch nahe Verwandte, welche ihr Ebenbild ist!“ —
„Hm —“ brummte es neben ihm, und der Kürassier nahm ein Sektglas von dem Silbertablett eines servierenden Lakaien: „auf der gedenke ich die nächste Frühjahrsparade zu reiten!“
„Aber Wieders!!“ —
„Schäme dich, Eberhard! Über „Isolde“ hast du ganz und gar nicht zu bestimmen!“
„Oho! — das wäre!“ —
„Ich hab’s schriftlich!“
„Teufel ja! Die Akte fahre mal an, Altes!!“ —
„Momentan wäre das schwierig, aber du entsinnst dich eines Briefes — und auch Briefe haben bindende Kraft — in welchem du mir ausdrücklich die Oberhoheit und Gerechtsame über alle weiblichen Wesen von Wiedershagen zuerkanntest! Über das Ewig-Männliche behieltest du dir alle Bestimmungen vor, aber die Weiber könnte ich kommandieren, so viel es mir Spass mache!“
Читать дальше