Nataly von Eschstruth
Roman
Saga
Vae Victis - Band II
German
© 1911 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711448267
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Wie in einem Rausch war Bonaventura die Zeit vergangen.
Obwohl des Winters strenges Regiment noch anhielt, waren es doch Tage voll Sonnenschein und Eisgeglitzer, welche über die Kälte hinwegtäuschten, eine Kälte, welche man höchstens voll Behagen empfand, wenn man, in die molligsten Pelze gehüllt, durch den verschneiten Park wanderte, die Damhirsche und Rehe an den Futterplätzen zu schauen oder die Naturschönheit der Anlagen zu bewundern. In den eleganten Salons und Gemächern von Schloss, Villen und Landhäusern, welche auf das komfortabelste hergerichtet waren, die Neuvermählten auf ihrer Rundreise zu beherbergen, war es warm und bequem, und für Völkern gab es ununterbrochen so viel des Neuen und Interessanten zu schauen, dass ihm der Kopf schwirrte, alles das zu fassen, was ihm nun so plötzlich zu eigen gehörte.
Aber dieses Studium war ausserordentlich schön und anregend und liess ihn jetzt erst zu dem vollen Genuss seiner neuen Lebenslage kommen.
Wie reich Ellinor war, sah er erst jetzt im ganzen Umfang, wenigstens ward es ihm nun erst klar, was sich ein Besitzer von so vielen Millionen alles leisten und gewähren kann!
Und dabei frei zu sein!
Kein Vorgesetzter, kein Dienst, kein Kommando selbst zu Spiel und Tanz —! Er konnte tun und lassen, was ihm beliebte, denn die kleinen Wünsche und Anordnungen seiner Gattin waren gar nicht zu rechnen, im Gegenteil, sie amüsierten ihn, weil sie stets nur ihre beiderseitige Zerstreuung im Sinne hatten. —
Je nun, und einer Dame in jeder Weise Ritterdienste zu tun und sich ihr bei den kleinen Vorkommnissen des täglichen Lebens zu fügen, lag derart von Kindesbeinen an in seiner Natur, dass es ihm selber höchst unfair vorgekommen wäre, diese selbstverständliche Courtoisie zu verletzen.
Wie wenig verlangte Ellinor!
Ihr Interesse für ihn und seine Angelegenheiten ging nicht über das Allernotwendigste hinaus. Sie sorgte in denkbar bester Weise für ihn, sie gab ihm voll feinen Taktes die richtige Stellung und Würde des Hausherrn, ohne sich dabei im mindesten von ihm abhängig zu machen.
Er konnte durchaus so leben, wie es ihm zusagte; Ellinor richtete sich dann sehr geschickt mit ihren Liebhabereien so ein, dass sie die seinen nicht durchkreuzten, sondern wie zwei verschiedenfarbige Seidenfäden in einem Stickmuster nebeneinander her liefen, keiner den andern verdrängend oder dominierend, jeder den eignen Kurs nehmend und doch für das Auge des Beschauers harmonisch und sympathisch wirkend. —
Die Reise brachte so viel Unruhe und Abwechslung mit sich, dass ein seelisches Sichnähertreten der jungen Ehegatten kaum möglich war. Es ward auch von keinem gesucht, im Gegenteil, Bonaventura war beinahe ängstlich bemüht, jedem ernsteren und tieferen Gespräch aus dem Wege zu gehen, und wenn seine Gemahlin in ihrer rücksichtslosen Weise ihre philosophischen Gedanken und Ansichten äusserte, so fand er es für viel bequemer und richtiger, stets damit einverstanden zu sein.
Dadurch ward jeder Disput vermieden; etwaige Differenzen wurden in der Knospe erstickt, und Ellinor lächelte sehr zufrieden, dass ihr Mann nicht zu den Narren gehörte, abgeschmackte Trumpfe auszuspielen, wo es doch kein Übertrumpfen gibt. —
Über solch ein freundliches Wohlwollen stieg jedoch das Barometer ihrer Gefühle für Bonaventura nicht.
Sie war und blieb kühl bis ans Herz hinan, ohne Zärtlichkeit zu geben oder zu verlangen, im Gegenteil, mit der Erfüllung ihres eitlen Wunsches kam ein gewisses Phlegma über sie, welches ihr Wesen und ihre Persönlichkeit noch langweiliger machte, als es vordem schon war.
Sie verhehlte sich die Gefahr, welche für sie selber darin lag, nicht.
„Schon jetzt ist es mir manchmal zumute, wie einem Menschen, welcher zu viel des Guten genossen und sich dabei den Magen verdorben hat!“ schrieb sie voll Selbstironie in ihr Tagebuch; „ich fürchte, nach dem Gabelbissen Bonaventura, auf welchen ich zuvor einen wahren Heisshunger hatte, wird nun eine Übersättigung eintreten. Die Reaktion, welche stets und überall kommt. Ich werde in einen Mittagsschlaf verfallen, welcher länger dauert, als nur ein Viertelstündchen, und wenn ich erwache, werde ich abermals Hunger verspüren — aber nach etwas anderem. — ‚Alle Tage Feldhühner!‘ sagt der Franzose und schaudert dabei. — Auch der brave, wohlerzogene, fügsame Bonaventura gleicht einem Feldhuhn — etwas nüchtern und fad, bei aller Feinheit seiner Art doch nur die sehr schön servierte Platte für einen reellen Appetit — das Pikante, Prickelnde, Anregende, wie es auch der Frauengaumen in Katerstimmung verlangt — das fehlt ihm. — Schade darum. — Aber immerhin! Man wechselt das Menü und und nascht so lange Cayenne und Paprika, bis man einmal wieder mit Feldhühnern fürlieb nimmt!“ —
Und diese Vorahnung schien sich nur allzubald, bereits während der kurzen Hochzeitsreise zu betätigen.
Die junge Baronin lag nach dem Diner mit jedem Tag apathischer im Schaukelstuhl und rauchte eine Zigarette nach der andern, während ihr Gatte das gleiche tat. —
Sie schwiegen dazu; — manchmal küsste Bonaventura die träge kleine Hand mit den wundervollen Brillantringen.
Sie langweilten sich — erst unmerklich, dann immer empfindlicher.
Endlich unterdrückte Ellinor ein Gähnen.
„Wir haben nun drei Wochen lang die Einsamkeit dieser ländlichen Huldigungsreise genossen,“ sagte sie; „du hast meinen Besitz kennen gelernt und weisst Bescheid, wenn von diesem oder jenem die Rede ist, lieber Bonaventura. Ich denke, nun kehren wir in die Residenz zurück!“
„Gewiss, mein Liebling! Drei Wochen ist ja vollkommen genügend für ein enfin seul!“
Sie lachte ein wenig: „Gewiss, wir haben den Anforderungen der Idealisten genügt und gingen in trauter Einsamkeit in den Wogen des Glücks und Alleinseins unter. — Nach der gut absolvierten ersten Nummer dieses Eheprogramms können wir wieder zur Tagesordnung übergehen. — Also reisen wir zurück.“
„Gott sei Dank, das Kofferpacken hat jetzt für mich seine Schrecken verloren.“
„Bist du mit Brand zufrieden?“
„Durchaus; er ist sehr aufmerksam und gewandt.“
„Ich wusste es; darum sicherte ich ihn mir für deine Bedienung!“
„Du bist ein Engel an Güte!“
„Engel!“ — nun lachte sie etwas lauter auf: „Es gibt deren nach Ansicht der frommen Leute verschiedene, auch böse. — Tante Geldern, welche sich so viele Mühe gab, meine arme Seele zu retten, warnte mich einmal in sehr schönem Vergleich! Sie fürchtete, ich könne an der Fackel der Wissenschaft, mit welcher Häckel der Welt so grell in die Augen leuchtet, meine schönen, weissen Schwingen verbrennen — dann wären sie nicht mehr imstande, mich in den Himmel zu tragen.“
„Der Sturz eines Engels! La chute d’un ange!“ versuchte Völkern harmlos zu scherzen.
Sie zuckte mit undefinierbarem Blick die Achseln. „Auch sinnbildlich gemeint? Je nun! Ich bin vollkommen schwindelfrei und riskiere selbst den gewagtesten Flug über das Niveau des Erlaubten, ohne vor einem Halsbruch zu zittern!“
Abermals versuchte er dem Gespräch eine scherzhafte Wendung zu geben.
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