Nataly von Eschstruth
Polnisch Blut
Erster Band
Roman
Saga
Polnisch Blut – erster Band
© 1887 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711469927
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Erst dann erwacht zum Leben rings die Erde,
Wenn Sonnenstrahlen auf sie niederglühn, —
Und wie in stummem Danke sprosst entgegen
Ein farbenprächtig, überreiches Blühn!
So sank auch Deine Huld mir warm in’s Herze,
Du hoheitsvolle, königliche Frau,
Und Wort und Lieder streut es Dir zu Füssen
In schlichtem Dank, gleich Blüten von der Au! —
Das war ein wilder Novembersturm.
Mit schneeweissen Schwingen sauste er über das flache, einsame, todesstarre Ostpreussen, meilenweit über Haide und Steppe, stundenlang über düstere Tannenwälder, über Bruch und Acker, über schilfumknisterte Seen. Und er schüttelte die hohen Fichtenhäupter, riss ihre Zweige splitternd zu Boden und peitschte das Röhricht am Flussufer in die gelbe, aufbäumende Flut. — — Ein tolles, wüstes Lied ruheloser Wanderschaft gellte er der Welt in die Ohren, ein Lied der Empörung und der Freiheit, wie er es drüben, jenseits der polnischen Grenze, jauchzend aufgegriffen.
Das weite Land aber ringsum lag im tiefen Todesschlaf, nur die wogende Wasserfläche des Sees hob sich schwer und langsam wie eine aufseufzende Brust, und über ihr und den endlosen Schneefeldern verwehte des Sturmwindes Klang.
Es schüttelte der unbändige Gesell zornig seine Flügel und stäubte die Schneeflocken hernieder auf die Ebene, immer dichter und dichter wirbelten sie, immer höher deckten sie der Erde schlafend Angesicht, fleckenlos weiss wie das Bahrtuch, welches starren, atemlosen Frieden verschleiert. Dann flog er weiter und streckte zu Boden, was sich ihm zu hochgewachsen in den Weg stellte. Er ist Herr und Meister hier! — Wer wagt es, seine stolze Siegesbahn zu hemmen? — Schlosstürme?! ... Hoch und trotzig ragen sie plötzlich empor, strecken ihre grauen Häupter den Wolken entgegen und höhnen den Sturmwind: „Komm, versuch’s und stürze uns! Wir sind auf festen Grund gebaut, stehen schon viele hundert Jahre und spotten Deines Gleichen! Wir sind die Türme von Proczna! ... Weisst Du, was Proczna ist? — Die steinerne Wiege eines deutschen Eichenstammes, an dessen Zweigen güldene Wappenschilder leuchten, dessen Krone neun stolze Perlen trägt! Komm herzu! Wag’s daran zu zausen! ... Wir sind die steinernen Schirmvögte von Proczna!“
Hei! wie es durch die Lüfte raste, wie es um die zackigen Mauerkronen pfiff und heulte, wie der Sturm ein Wiegenlied um diese Wiege sang! Da zerschellte er seine Stirn an den grauen Quadern, da zerfetzte sein Wolkenmantel an den scharfen Turmkanten, und dennoch raffte er sich wieder und wieder empor, der Unsterbliche, und wagte tobend den Kampf mit den trutzigen Wächtern von Proczna.
Der Schnee peitschte gegen die Scheiben und die Nacht sank tiefer und tiefer.
Rötlicher Lichtschein flackerte durch zwei Spitzbogenfenster des ersten Stockwerks, die Gestalt eines Dieners zeichnete sich gegen den hellen Hintergrund ab, dann kreischten hölzerne Läden in den Angeln und schlossen sich.
Lautlos wie ein dunkler Schatten jagte ein grosser Wolfshund über die Terrasse, welche sich, in zwei mächtigen Steintreppen zum Park abfallend, vor der ganzen Breite der westlichen Schlossfront entlang zog. Sonst kein Lebenszeichen; stumm und ernst lag das gewaltige Viereck des Schlosses, wie ausgestorben inmitten des öden, sturmdurchtobten nordischen Landes.
Der Bediente hatte die Lampe auf den Tisch gestellt, die Jalousien geschlossen und sich alsdann lautlos, wie er gekommen, wieder entfernt.
Ein gedämpftes Licht fiel über das hohe, saalartige Gemach. Gebräunte Bilder hingen in kostbar geschnitzten Rahmen an den Wänden, schwere Brokatstoffe rauschten vor den Flügelthüren nieder, und deckten die einzelnen Möbel, welche wohl schon durch Jahrhunderte unverändert hier an ihrem Platze standen. Ein schwermütiger Hauch lang verschollener Zeiten wehte um jedes dieser geschnitzten und gestickten Stücke, und das monotone Ticken der Holzwürmer schien der Pulsschlag jenes Traumlebens, welches mit bleiernen Flügeln durch diese Räume schwebt.
Vor den ausgebreiteten Büchern und Journalen sass der Reichsgraf Adolf von Dynar. Er las nicht, er stützte das Haupt schwer in die schlanke, wachsbleiche Hand. Obwohl der Graf im besten Mannesalter stand, legte sich das Haar tief ergraut um Stirn und Schläfe. Gebrochen und elend war die hohe, ritterliche Gestalt, farblos und hager das Antlitz, welches noch Spuren ehemaliger ausserordentlicher Schönheit trug. Eine stumpfe Resignation beherrschte die Züge, das Wahrzeichen eines grossen, unaussprechlichen Kummers, welcher jene tiefen Schatten um die Augen gesenkt hatte. Müde, unsagbar müde schaute das Antlitz.
Regungslos verharrt er; wie das Feuer in dem Kamin aufprasselt, wie die schweren Eichenholzklötze zusammenbrechen und Funken sprühen! Der Sturm heult durch den Schornstein und tobt um die Fenster, einförmig tickt die Uhr auf dem Schreibtisch.
Da klingt leises Weinen aus dem Nebenzimmer herüber, lauter und lauter wird es, eine jammernde Kinderstimme ....
Graf Dynar zuckt empor, — brennende Röte steigt in seine Wangen, er lauscht atemlos. Eine Frauenstimme singt und tröstet und schluchzt schliesslich mit dem schreienden Kinde.
Aufstöhnend schlägt der Reichsgraf die Hände vor das Antlitz. „Mein Gott, hast Du mich ganz verlassen in meinem Elend?“ murmelt er.
Dann springt er empor und reisst mit fieberischer Ungeduld an der Schelle.
Der weisshaarige Diener tritt gesenkten Hauptes ein.
„Ist Hans noch nicht zurück?!“
„Noch immer nicht, gräfliche Gnaden, ich fürchte auch, dass er bei dem Unwetter ganz ausbleiben wird.“
Graf Dynar hat es als Diplomat gelernt, sich zu beherrschen, aber seine schlanke Gestalt bebt, als ginge draussen der Sturmwind über sie hin.
„Was sollen wir anfangen?“ murmelt er mit fast verzweifeltem Blick nach der Nebenthür.
„Die kleine Komtesse ist wieder aufgewacht? —“ horcht der Alte empor, „so Gott will, gelingt es meiner Frau, sie zu beruhigen ....“ und mit der Vertraulichkeit eines langjährigen Bediensteten blickt er den Grafen treuherzig an und flüsterte: „Verzagen Sie nicht, gnädigster Herr! der Hunger thut weh, — vielleicht gewöhnt sich die Kleine .. dann brauchen wir die Amme gar nicht mehr, und Sie sind aus aller Sorge! ..... Solches Schreien hört sich stets viel schlimmer an, als es ist!“ —
Graf Dynar nickt ihm zerstreut zu und tritt in das Nebenzimmer.
Die Kammerfrau der verstorbenen Gräfin hält deren vier Wochen altes Töchterchen auf dem Schoss und versucht vergeblich, es aus einer Flasche zu nähren, neben ihr ringt eine Greisin laut jammernd die Hände.
Gustav Adolf nimmt das Kind auf die Arme, er versucht selber ihm etwas Milch auf die rosigen Lippen zu träufeln; glühende Röte deckt seine Stirn, seine Arme zittern vor Aufregung.
Die jammernde Stimme wird schwächer, die Augen schliessen sich, — noch leises Aufschluchzen .. dann schläft die Kleine an der Brust des Vaters ein ... Wieder sitzt Graf Dynar und harrt auf den Wagen, welcher eine Amme aus der nächsten, mehrere Meilen weit entfernten Stadt holen soll.
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