„Polnisch Blut! Bah, es ist ein Märlein, welches von dem Gift desselben erzählt, welches da behaupten will, Art lasse nicht von Art! — Polnisch Blut, welches durch deutsche Adern kreist, kühlt sich ab und vergisst seine Heimat, — nicht das Blut, sondern die Erziehung schaffen eine Nationalität, nicht das Einst, sondern das Jetzt bestimmt den Charakter. Lasst sehen, ob das polnische Reis auf dem deutschen Stamme andersfarbene Blätter und Früchte treibt, als die blutsverwandten Aeste, ob die eine Wurzel, welche beide nährt, sich spalten lassen wird durch ein Tröpflein fremden Saftes!
Polnisch Blut! ... wer glaubt an solche Narrheit!“
Die Kerzen flackerten auf dem Altar, und das frische Tannengrün wehte seine Duftwogen wie eine holde Christahnung um das Taufbecken im Ahnensaale zu Proczna.
In der schwerseidenen, mit verblichenen Passionsblumen bestickten Taufschleppe wurde die letzte Gräfin Dynar vor den Tisch des Herrn getragen.
Die Worte des Priesters hallen wie Orgelton durch den weiten Raum, in hellen Perlentropfen senkte sich der Segen des Himmels auf das goldblonde Köpfchen des Täuflings, — und über die Gemälde an den Wänden ging ein heimliches Säuseln, als ob sich die steiffrisierten Häupter mit den stolzen Gesichtern andächtig neigten, um ihr „Amen! Amen!“ über die Letzte ihres Geschlechtes zu rufen.
Auf dem Schlosswall donnerten die Kanonen, und Graf Gustav Adolf kniete vor dem Altar und barg das Antlitz in den Händen.
Dann nahm er sein Töchterchen in den Arm, zog Janek an die Brust und betete vor dem Bild der verstorbenen Gräfin, welches neben dem Taufbecken aufgestellt war.
Mit grossen, erstaunten Augen blickte sich Janek um, strich leise mit der Hand über das Köpfchen der Schwester, auf welches der fremde, schwarze Mann die Wassertropfen gestreut, und neigte sich in aufquellender Zärtlichkeit, um das schlafende, kleine Angesicht zu küssen.
Gustav Adolf aber zog es durch die Seele wie ein Wunsch für ferne glückliche Zeiten. — Und die Kerzen verlöschten, auch die, welche man neben dem Bilde der schönen Gräfin Xenia entzündet hatte.
In dem Augenblick däuchte es dem Erbherrn von Proczna, als habe ihm die stumme Patin mit wundersam blitzendem Auge die weisse Hand entgegengereicht, — er trat einen Schritt näher — der Schein des verlöschenden Lichtes hatte die Täuschung hervorgerufen, — das Porträt hing unverändert, kalt und tot und blickte ganz wie zuvor mit starren Augen au ihn nieder.
Gustav Adolf steckte ein Tannenreis an den Rahmen, fasste die Feder und trat zu dem Stammbaume.
„Xenia“ — schrieb er auf das Schild seiner Tochter, „Xenia Anna Euphemia, gbr. 28. 9. 1838.“ — denn also hatte sie soeben der Priester im Namen Gottes getauft. Dann wollte er auch den Namen seines Adoptivsohnes in das leere Feld einzeichnen. Er setzte die Feder an, unterbrach sich, — ging nachdenklich einige Schritte auf und nieder.
Wer hindert ihn, dem Hause Dynar einen Stammhalter zu geben, wenn auch aus fremden, aus polnischem Blut?
Er hat dem flüchtigen Vater den Eid geleistet, Janek zu adoptieren; er hält sein Wort, er liebt den Knaben, er hat ihm das Recht gegeben, sich als Sohn an sein Herz zu schmiegen.
Aber Xenia? — Er schmälert ihr Erbe um eines Fremden willen; — gleichviel, sie wird dennoch über fürstlichen Reichtum gebieten, und Janek soll ihr kein Fremder sein.
Sie soll aufwachsen in dem Gedanken, einen leiblichen Bruder zu besitzen, erst bei ihrer Mündigkeitserklärung soll sie die Wahrheit aus des Vaters Mund erfahren, wenn er bis dahin noch lebt.
Bis dahin wird es sich auch zeigen, ob sich „polnisch Blut“ verleugnen kann.
Xenia selber soll mit festem Willen und fester Ueberzeugung zustimmen, dass der Name: „Hans Stefan“ neben den ihren geschrieben wird, — vielleicht ...
Gustav Adolf wirft die Feder hin.
„Mag ihn meine Tochter selber dahin schreiben, wohin sie ihn haben will!“ lächelt er, „in das nachbarliche Schild, oder .. in ihr eigenes, Gott möge es geben.“ Und er schreitet langsam, gebeugt, an Leib und Seele gebrochen, durch den dämmrigen Saal in sein Studierzimmer zurück.
Die Vorhänge rauschten wieder vor die spitzgebogten Fenster, dunkle Schatten senkten sich über das goldblonde Köpfchen auf dem Bilde der Gräfin Xenia — — — —
Jahre vergingen.
In der tiefen Einsamkeit Procznas wuchsen die beiden Kinder des Grafen Dynar empor, so unendlich verschieden beanlagt, und dennoch voll zärtlichster Harmonie Eines an das Andere geschmiegt.
Ein strenger Befehl des Grafen hatte es dem Gesinde untersagt, jemals ein Wort über Janeks eigentliche Herkunft zu verraten, denn der Knabe sei an Sohnes Stelle von ihm angenommen, und keine Menschenseele habe ein Recht, diesen seinen Entschluss zu begutachten.
Da hatte sich ein dichter Schleier über jene Sturmnacht und ihre armseligen Gäste gesenkt.
Jadwiga, die Polin, war bei der kleinen Komtesse geblieben.
Wundersame Weisen, Klänge wilder Liebe und wilden Hasses sangen des deutschen Reichsgrafen blondes Mägdelein in die ersten Träume. Glühendes Polenblut war es, welches den kleinen Körper nährte.
Dann war der Tag gekommen, da sich die Thür im Studierzimmer Gustav Adolfs öffnete, da zaghaft schwankende Schrittchen dem stillen Mann entgegen hallten und zwei rosige Aermchen ängstlich zu ihm hinstrebten. Jadwiga aber stand mit stolzem, selbstzufriedenem Lächeln auf der Schwelle, und sah mit an, wie die kleine Xenia zum ersten male die Füsse selbstständig in das Leben setzte.
Gleichzeitig bat sie um ihre Entlassung. — — —
Nicht Geld und nicht gute Worte vermochten es, sie länger in Proczna zu halten; sie küsste demütig die Hand Dynars und hatte nur eine Antwort: „Lass mich gehen, Herr!“ Still und emsig schnürte sie ihr Bündel, hob die Kleine noch einmal in stürmischer Zärtlichkeit empor an die Brust, küsste und küsste das lachende Gesichtchen, und murmelte: „Ich habe Dich lieb, Kind, trotz Allem und Allem, Dein Sinn und Dein golden Haar sind deutsch, aber Deine Adern habe ich mit Polenblut gefüllt! Wirst’s nicht verleugnen, einmal schäumt’s empor im Leben, dann, wenn Polens alte Herrlichkeit aus Schutt und Trümmer steigt! Niech’zyje Polska!“
Janek blickte staunend zu ihr empor, er hatte die Worte gehört, waren sie auch noch so leise geflüstert, aber ihren Sinn vermochte er nicht zu fassen.
Er wunderte sich, dass Jadwiga so anders war wie sonst. Er schlang die Arme um ihren Nacken und erwiderte ihre Liebkosung, dann schritt er an ihrer Hand zu dem Schlosshof hernieder und sah sie in den Wagen steigen, ernst, stumm wie immer.
Das Sonnenlicht lag voll auf ihrem Antlitz, sie schaute noch einmal zu dem Grafen empor, welcher ihr vom Fenster aus ein Lebewohl winkte, und legte ehrfurchtsvoll die Hand auf die Brust; dann zogen die Pferde an, dahin sauste der Wagen, und Janek stand und schaute ihm nach, bis das helle Licht seine Augen blendete, und er ungeduldig davon lief, um mit seinen beiden grossen Hunden auf der Steppe herum zu tollen. — — —
Fast überraschend kräftig und schnell entwickelte sich sein Anfangs so zarter, fast schwächlicher Körper. Das freie, ungebundene Leben, welches die Kinder im Schlosspark und der angrenzenden Heide führten, wehte wie frischer Hauch durch die jungen Glieder.
Da zeigte sich zuerst so recht deutlich der Unterschied zwischen den Geschwistern.
Janek war ein wildes, fast ungestümes Kind, Klettern, Tollen und mit ausgebreiteten Armen den Sturm auf der Steppe fangen, war sein Element; er überlegte nie; er handelte, und handelte er übereilt, so büsste er lachend für seinen hitzigen Sinn. Ging ihm etwas zu langsam, so schlug er mit Fäusten drein; fand er bei Andern kein Gehör, so verschaffte er sich selber sein Recht, und dazu schüttelte er die dunkeln Locken herausfordernd in den Nacken und kannte weder Angst noch Sorge, er lebte nur für den Augenblick. Dabei aber war er ein ausserordentlich milder, fast weicher, kleiner Gesell. Mit bitteren Tränen netzte er die Wunden, die er schlug, und heilte sie nach besten Kräften, stets voll Reue und Einsicht: ein freundliches Wort war allmächtig über ihn, gleichviel, wer es zu ihm sprach.
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