Nataly von Eschstruth
Roman
Mit Illustrationen von C. H. Küchler
Saga
In Ungnade – Band II
© 1894 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711448205
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Das Recht der Übersetzung wird vorbehalten.
Lasst die Trompeten klingen!
Und hebt mir auf den Schild
Dies junge Mädchen,
Das jetzt mein ganzes Herz
Beherrschen soll als Königin!
Heine.
Max Christoph hatte eine schlechte Nacht gehabt. — Stunden, lange, einsame Stunden waren es gewesen, während welcher er schlummerlos in das goldgewirkte Persermuster seines Bettbaldachins emporgestarrt hatte und sich nicht losreissen konnte von einem Gedanken, welcher ihn bereits seit Monaten verfolgte, der Gedanke, dass Gräfin Judith Vare in den Augen der Welt für seine ihm heimlich angetraute Gattin galt. Er hatte es in Erfahrung gebracht, dass diese irrige Ansicht unlöslich feste Wurzel geschlagen, dass es wohl unmöglich sei, die öffentliche Meinung in dieser Hinsicht jemals zu korrigieren.
Es ist ja viel zu interessant, und dem Klatsch, der Langenweile und Standalsucht ein viel zu willkommenes Thema, welches sich in tausendfältigen Fädlein stets neu ausspinnen lässt, welches man so pikant würzen kann und welches eine unerschöpfliche Quelle bietet, daraus Frau Fama stets neu ihre Lippen netzen und man die Druckerschwärze stets im Fluss erhalten kann — als dass man hoffen könnte, Vernunft und Einsicht möchten mit der Zeit ihre lügenhaften Gegner besiegen!
Das, was Max Christoph am meisten gescheut hatte, sich als alter Mann durch die Heirat mit einer jungen Gemahlin gewissermassen der Spottlust preiszugeben, war nun doch geschehen, trotz all der heldenmütigen Entsagung, welche er sich auferlegt. Und wahrlich, eine Entsagung war es gewesen, auf den Besitz eines Wesens zu verzichten, welches auf ihn genau denselben Reiz zauberischer Unwiderstehlichkeit ausübte, wie auf alle anderen, ja auf ihn in doppeltem Masse, denn wer hatte wie er Gelegenheit, täglich den Geist, scharfen Verstand und anmutigen Witz dieser Frau zu bewundern? Wer kannte Judith Vare so gut wie er? Wer wärmte sich an dem seelischen Feuer ihres Wesens so unmittelbar wie er? Und es ist und bleibt eine unumstössliche Thatsache, dass Schönheit und Fülle des Geistes dauernder und unlöslicher fesseln als die des Körpers.
Immer und immer wieder musste er der Stunde gedenken, wo das schwergekränkte Weib, welches um seinetwillen so unschuldig alle Geisselschläge und Steinwürfe der Menge erlitt, neben seinem Sessel kniete und weinte, bittere, qualvolle und dennoch so schöne Thränen! Er sah sie noch auf ihrem Busen blitzen wie den frischen Tau auf weisser Rose, er sah sie noch an ihren Wimpern perlen, da sie zu ihm aufschaute, so ganz Vertrauen, Demut und Hingabe, mit dem süssen schüchternen Flehen im Blick: „Verschmäh’ mich nicht, ich kann dich so reich und glücklich, so gesund und so jung machen!“
Ja, in dem Moment hatte sich mehr in ihrem Antlitz ausgedrückt wie sonst, eine Liebe und Leidenschaft, welche ihn Verblendeten in jeder Stunde der Unentschlossenheit erschreckt hatten!
Die kleine, zarte Hand, welche sich damals schüchtern zu ihm hob, wie eine sturmgezauste Blumenranke, die sich anklammern möchte am schützenden Stamm, die hatte er herzlos, grausam und mitleidlos zurückgestossen; und nun? Nun war ein ganz Natürliches geschehen, sie hatte andern Halt und andere Stütze gesucht, wie es ihre Natur erfordert.
Judith Vare erschien ihm verändert seit jener Stunde. Es lag etwas hilflos Unsicheres in ihrem sonst so festen Wesen und gleichzeitig eine herbe Resignation, welche nicht zeigte, aber es doch dem sorgendem Auge des Grossherzogs nicht verbergen konnte, dass sie ihm jetzt wohl mit aller Pflichttreue und wackerer Aufopferung zur Seite stand, nicht aber mehr mit der warmherzigen Begeisterung eines Weibes, dessen Herz ebenso feurig für ihn empfand, wie ihr Geist ihm diente.
Nie zuvor hatte Max Christoph daran gedacht, die Gräfin zu seiner Gemahlin zu erheben. Es war ihm ein so Selbstverständliches und Sicheres gewesen, dass diese seltene Blüte einzig ihm zur Ehre und ihm zur Freude an seinem Hofe blühe, dass er sich nie um ihren Verlust gesorgt hatte. Und oft lehrt erst der Verlust die Grösse des Besitzes kennen.
Judith Vare hatte nie daran gedacht, im Beisein des Grossherzogs einen andern Herrn auszuzeichnen. Jetzt hatte sie nur noch Augen für Heusch von Buchfeld. Sie wollte es gern verbergen, aber die Eifersucht sieht scharf, und Max Christoph war plötzlich eifersüchtig, so fiebernd eifersüchtig wie er selbst als Jüngling nie gewesen!
Buchfeld war ein Sonderling, er behandelte seine bestrickende Gönnerin ebenso weiberfeindlich wie alle anderen Damen, aber gerade darin lag die Gefahr des grossen Reizes der Neuheit für Judith. Sie spielten beide mit dem Feuer, und über kurz oder lang werden selbst dem Weltverächter Aurel die Augen aufgehen, wie sie seinem königlichen Herrn aufgingen, dass er jetzt plötzlich erst den vollen Zauber dieses Weibes empfindet.
Und der junge Hauptmann spielt vorläufig noch Komödie mit ihnen allen! Seine vorgebliche Solidität ist der trügerische und heuchlerische Deckmantel für einen ganz unerlaubten Lebenswandel.
Max Christoph hat es mit einem gewiss feindseligen Interesse gehört, dass sein Flügeladjutant so geheimnisvoll locker gelebt, dass er nicht allein das grosse Erbe seines Bruders bereits völlig vergeudet, sondern, wie man munkelt, sogar noch Schulden gemacht haben soll. Er wird sich Aufklärung verschaffen und auch Sorge tragen, dass Gräfin Vare diese Neuigkeit erfahre. Das dämpft wohl ihr Interesse an dem interessanten Verschwender, denn wo soll er das Kapital gelassen haben? Entweder hat er es heimlich auf den grünen Tisch geworfen, oder er hat es, heuchlerisch jedes anständige Verkehren mit den Damen der Gesellschaft meidend, an leichtsinnige Weiber gehängt.
Nun, und eines wie das andere muss wohl eine gereifte und ernst denkende Frau ernüchtern. Die Nacht war so lang und einsam, die Gedanken hinter der Stirn des hohen Herrn arbeiteten immer erregter.
Da die Welt nun doch einmal an seine Ehe mit Judith glaubt, warum soll er nicht wenigstens den Nutzen daraus ziehen, nun auch thatsächlich glücklich zu sein? Seine Bedenken wegen ihres tyrannischen Einflusses sind ja lächerlich! Er ist doch wahrlich noch Mann genug, die Passionen seiner Gemahlin im Zügel zu halten! Und was sein Leiden anbelangt, — je nun, alle Ärzte versichern, es ginge mit Riesenschritten der Genesung entgegen! Die neue Massagekur, welche Judith ihm so dringend anempfahl, wirkt Wunder! Das Knie biegt sich bereits wieder, und er kann schmerzlos durch die längsten Säle gehen! Noch ein, zwei Monate, dann führt er als lebensfrischer Mann sein junges Weib zum Altar, und niemand wundert sich mehr seines Thuns! Zum Altar! Welch ein berauschender Gedanke, das Weib seiner Liebe zu eigen nehmen zu können! Und er liebt die süsse Sirene mit dem absonderlich, funkensprühenden Haar und der Glockenstimme; er liebt sie mit aller Leidenschaft und all dem jugendlichen Feuer, welches ihre Eigenart in ihm entzündet!
Es soll zu Ende kommen! er will nicht länger als Dürstender vor vollem Becher stehen, er will ihn leeren und geniessen! Warum dämmert der Tag noch immer nicht herauf?! Er soll zur Morgenröte, zur aufstrahlenden Sonne seines Lebensglückes werden!
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