„Und Dahlen hat die Schandartikel geschrieben? Ihr eigner Bruder hat mich und mein ganzes Land zu beschimpfen gewagt?! Ihr Bruder, der verschmähte Liebhaber der Gräfin, hat diese Racheangriffe gegen sie geschrieben?!“ Ein schneidendes Lachen gellte auf. „Und weil Ihr Bruder der Bube gewesen, der diesen Schurkenstreich beging, darum verurteilen Sie die Unglückliche, welche seiner Schamlosigkeit zum Opfer fiel?“
Aurel bebte an allen Gliedern, kein Blutstropfen kreiste in seinem Antlitz. Er biss die Zähne zusammen und krampfte die Finger um den kalten Marmor, seiner Gelassenheit gewaltsam Herr zu bleiben.
„Wollen Königliche Hoheit den Zettel genauer prüfen. Er trägt noch andere Schriftzüge ausser denen meines Bruders!“
„Noch andere? Oh ... ich bin begierig ... haha, vielleicht die Ihren? Soyons done ... wo? Ich sehe nichts!“
Wie eine Pagode neigte sich der junge Offizier und deutete auf die Korrekturen. „Königliche Hoheit kennen die Schrift der Gräfin Vare? Diese Abänderungen in dem Manuskript stammen von — ihr!“
„Unmöglich! Sind Sie toll geworden?!“
„Gestatten mir Königliche Hoheit eine Erklärung?“
„Zum Teufel ... reden Sie!“
Seine Lippen zitterten, schwarze Schatten senkten sich tief um die Augen — Aurel aber erklärte mit keuchendem Atem die einzelnen Korrekturen und den früheren Wortlaut des Manuskriptes und fuhr lebhaft fort, seine Kombinationen auseinander zu setzen, in welcher Weise einzig diese Doppelarbeit entstanden sein könne. Der Grossherzog hatte zuerst still und jäh entsetzt zugehört; auch er musste sich von der Ähnlichkeit der Schriftzüge überzeugen, als aber sein Adjutant in schärfsten Worten den Plan der Gräfin entwickelte und sie schonungslos der raffiniertesten aller Intriguen beschuldigte, da flammten Zorn und Empörung abermals in ihm auf, Partei nehmend für die verfolgte und allseits angefeindete Frau, welche seinem Herzen so teuer war, und deren vollster, verführerischer Zauber ihn noch so frisch und lebendig umfangen hielt.
Eine masslose Heftigkeit überkam ihn. „Weil sie meine Gattin werden wollte, weil sie nach Krone und Thron strebte?“ keuchte er mit loderndem Blick. „Schon hierin kann ich Ihre infamen Anschuldigungen widerlegen, mein Herr von Buchfeld. Jetzt gilt es die Ehrenrettung einer Unglücklichen, an welcher Sie in blindem Fanatismus den Tod Ihres leichtsinnigen, schamlosen Bruders rächen wollen, und darum treten meine eignen Interessen in diesem Augenblick zurück. So erfahren Sie es aus meinem eignen Munde, dass Judith Vare weder einst noch jetzt danach strebte, meine Gemahlin zu werden, denn Sie wies meine Hand zurück, welche ihr Krone und Purpur bot, sie verzichtete freiwillig darauf, mir je mehr zu sein, als meine treue, opfermutige Ratgeberin und Vertraute. Und diese Aussage verbürge ich mit meinem königlichen Ehrenwort! Was sagen Sie jetzt, Herr Hauptmann?“
Aurel griff wie schwindelnd nach seinem Kopf. „Ich muss gestehen, Königliche Hoheit, dass ich eine solche Eröffnung nicht erwartete“, stammelte er, „aber gleichviel, so wird sich ein anderes Motiv finden.“
Abermals ein zorniges, spottendes Auflachen. „Gewiss, mit etwas Phantasie lässt sich vielleicht ein neuer Strick zusammendrehen! Aber vorerst, mein Herr von Buchfeld, gestatten Sie mir wohl, dass ich mich überhaupt erst überzeuge, ob diese Schriftzüge, die vermeintlichen Korrekturen der Gräfin, auch echt sind! Wie leicht lässt sich von boshaft geschickter Hand solch ein kleiner Schnörkel ziehen ... also, Sie gestatten wohl, dass ich das Urteil eines Sachverständigen befrage. Selbstverständlich werden Sie auch einen solchen stellen, damit von keiner Parteilichkeit die Rede sein kann. Und somit wären wir am Ende unserer Unterredung. Sie werden in Ihrer Wohnung weitere Verfügungen erwarten.“
Eine kurze Geste — Max Christoph setzte die silberne Klingel auf seinem Schreibtisch in stürmische Bewegung. Aurel war entlassen.
Er wollte noch sprechen — er konnte nicht. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, die Kehle war wie zugeschnürt. Bleich wie ein Mondsüchtiger schwankte er über die Schwelle.
Er sah nicht die Herren und Damen, welchen er in den Gemächern begegnete, er hörte nicht Gruss noch erstaunte Anrede — er starrte mit verglasten Augen vor sich hin ins Leere und stieg mit schweren Schritten, wie ein alter Mann, die Treppe zu seiner Wohnung empor.
Vom Turm schlug die Uhr — sie schlug seine Stunde. Eine kurze Stunde später durcheilte ein Gerücht wie auf Sturmesschwingen die Residenz: Heusch von Buchfeld war mit kolossalem Eklat in Ungnade gefallen! In Ungnade! War’s möglich? Manche schüttelten ungläubig die Köpfe, viele nickten schadenfroh: „Natürlich! Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!“ Einzelne fühlten heimliches Mitleid, keiner aber sprach ein Wort zu seiner Verteidigung. In Ungnade! Kein Pestkranker ist so einsam und verlassen, so bar aller Hilfe und allen Zuspruchs, als ein Mann, der in Ungnade fällt.
Wer so hoch herabstürzt, der fällt mit Centnerlast, und was sich in seine Nähe wagt, wird mitgerissen; einsam, — wie vom Sturmwind gefegt ist die Bahn, welche von den Stufen eines Thrones herab in die Verbannung führt.
Gräfin Vare hatte sich noch im letzten Moment bei dem Minister entschuldigen lassen; plötzlich eingetretener Migräne halber konnte sie leider nicht von seiner so gütigen Einladung zum Gabelfrühstück Gebrauch machen! Sie lag daheim auf der Chaiselongue, die Arme unter dem Haupt verschränkt, und starrte nachdenklich zu dem Plafond empor. Sie ersann Pläne und verwarf sie wieder, sie glaubte oft das richtige gefunden zu haben und war im nächsten Moment unschlüssiger wie je. Ein Sturm von Gefühlen durchtobte sie, und das war nicht gut. Ruhe, — volle, kaltblütige Ruhe, eher lässt sich kein Gedanke fassen, darum still, du ungestümes, wildes Herz! Gräfin Judith hat einen Käufer für ihre Hand gefunden, der bietet hohen Preis, nun gilt es mit nüchternem Verstand überlegen, was aller Liebe Seligkeit und was aller Welt fürstliche Pracht wert ist, und was sich eventuell thun liesse, um beides zu eigen zu gewinnen!
Die Kammerfrau stand nach zaghaftem Klopfen auf der Schwelle. Die Legationsrätin hatte jede Störung streng untersagt, dennoch ward sie nicht zornig, sondern strich nur langsam mit der Hand über die Stirn und blickte apathisch nach dem silbernen Teller, auf welchem Frau Lorenz einen Brief präsentierte.
„Von wem?“
„Königliche Hoheit der Grossherzog lassen um alsbaldige Antwort bitten!“
„Gut, — ich werde klingeln.“ Mit hastigem Griff nahm Judith das Schreiben entgegen. Heisse Glut flammte in ihre Wangen empor, und ihr Auge blitzte voll Genugthuung, als sie auf das länglich weisse, durch roten Wappenstempel verschlossene Billet niedersah. Wie eilig! — Brennt die Glut denn plötzlich gar so hoch?! Noch ist die Adressatin nicht ins reine gekommen mit ihrer Rechnung. Also Geduld, Sir, Judith Vare hat auch lange Geduld haben müssen!!
Sie las. Plötzlich schrak sie empor, Leichenblässe bedeckte ihr Antlitz. Buchfeld im Besitz eines Stückes Manuskript, Buchfeld als ihr Ankläger vor dem Grossherzog.
Sie richtete sich auf, mit weitgeöffneten Augen starrte sie einen Augenblick wie eine Sterbende auf das Blatt nieder, — — und Buchfeld in Ungnade! Max Christoph nimmt voll fanatischem Eifer für das Weib seines Herzens Partei. —
Was nun! — Judiths Pulsschlag stockt, sie ringt verzweifelt nach Fassung. Eine tödliche, zitternde Angst erfasst sie, jetzt hat sich die Situation auf das äusserste zugespitzt, nun würfelt das Schicksal um Sein oder Nichtsein. Hat sie für sich selber zu fürchen? Ihr vertrauter Freund Sellkow hatte ihr damals guten Rat gegeben, sie war wohl sicher, aber — was ist noch Sicherheit? Sie steht auf einem Vulkan! Und fällt sie nicht zum Opfer, so ist Buchfeld gerichtet, für ewige Zeiten in der Umgebung des Grossherzogs unmöglich geworden! In Ungnade! der Donnerkeil schwebte drohend in der Luft; er muss jetzt herniederwuchten und einen zerschmettern, ihn oder sie. Muss?! — Nein! — Die Denkerin sprang leidenschaftlich empor, noch wagt sie den Kampf gegen die verderbenden Mächte, noch wird sie einen Ausweg finden, das Unheil abzuwenden! Hat sie nicht aus jeder Situation bislang Vorteil gezogen? Auch diese muss sich biegen, kneten und verarbeiten lassen, eine Form anzunehmen, wie Gräfin Vare sie just braucht. Aber vorerst eine Antwort. Samiel hilf! sie ist nicht leicht. Max Christoph drängt auf ihre Entscheidung, er verlangt voll stürmischer Leidenschaft nach ihrem Kommen.
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