Ein hohes, schlank gewachsenes Weib war Jadwiga, mit blitzend schwarzen Augen und hastig graziösen Bewegungen, mit Lippen, durch welche das heisse Polenblut leuchtete, und einem Nacken, welcher zu stolz und steif schien, um sich einem Joche beugen zu können. — Es hatte ihr einen sichtlichen Kampf gekostet, an der kleinen Deutschen Mutterstelle zu vertreten, aber ein einziger Blick ihres Begleiters hatte ihr Haupt gehorsam geneigt.
„Du befiehlst es, Herr!“ und Jadwiga trat zu der Wiege der Komtesse, um sie empor an ihr Herz zu nehmen.
Da war aller Sorge und Not des Grafen ein Ende gemacht, um so mehr, als der Bediente Hans unverrichteter Sache aus der Stadt zurückkam und berichtete, dass er kein Weib hätte bewegen können, ihm in diese Einsamkeit zu folgen.
Daran dachte Dynar, als er am Fenster lehnte und lächelnd auf Jadwigas Gesang lauschte, welcher hie und da durch ein helles Kinderstimmchen jubelnd unterbrochen wurde. Das war der kleine Janek, welcher zu den Füssen der Polin mit Pluto, dem grossen Neufundländer, spielte.
Gustav Adolf hatte das Kind am nächsten Morgen nach der Sturmnacht auf die Knie gehoben und gefragt, wie es heisse.
„Janek!“
„Und wie weiter?“
Da sahen ihn die dunklen Kinderaugen verständnislos an, und der Lockenkopf wiegte sich schüttelnd auf den Schultern.
„Wo hast Du denn gewohnt, ehe Du hierher kamst?“
„In einem grossen, grossen Haus, wie dieses hier, mit viel schönen Spielsachen! O, da war es prächtig, da hatte ich alles, wonach ich nur verlangte! Aber dann fuhren wir fort, — viele Tage in dem kalten, engen Wagen, — und immer durch den Wald, und hungerten und froren — und dann nahm mich Vater auf den Arm — und Jadwiga weinte und rief: ‚Gott helfe uns, wir sind verloren!‘ — Und mitten hinein in den Schnee und Sturm ging’s! — Ach, wie gern wäre ich in dem Wagen geblieben, — aber Vater sagte zu Onufry: ‚Fahr zu, was Du kannst — führe sie irre, so lange die Pferde noch Kraft haben!‘ — und dann peitschte Onufry auf unsere Rappen und fuhr heidi davon!“
„Und dann?“
„Dann lief der Vater so schnell er konnte, und ich weinte, weil ich Hunger hatte — —“
„Und wohin lief der Vater?“
Der Knabe schüttelte den Kopf. „Ich habe ja geschlafen bis hierher!“
„Und wie heisst Dein Vater?“
„Mama nannte ihn Jean oder mein Herzensmann!“
„Ist Jadwiga Deine Mutter?“
Janek lachte hell auf. „Jadwiga? Die ist ja nur bei dem Brüderchen gewesen, seit Mama tot ist. Jadwiga muss dem Papa die Hand küssen, und hat nicht so prächtige Kleider wie Mama! — O, die Mama sah oft so schön aus wie die Königin in meinem Bilderbuch — und alle Leute nannten sie ‚Herrin‘ und vor ihren Wagen wurden immer vier weisse Pferde gespannt —“
Graf Dynar hatte nachdenklich das Haupt geneigt und die neuesten Zeitungen durchforscht, da fand er viel, was seine Vermutungen bestätigte.
Janek aber gewann er lieb wie ein eigen Kind, und er nahm ihn empor und küsste das bleiche Gesichtchen und sprach: „Dein Vater ist soeben fortgefahren, um eine weite Reise zu machen, Du wirst nun bei uns bleiben und mich ‚Vater‘ nennen, bis er wiederkommt. Willst Du das, Janek?“
Da hatten sich die Kinderaugen angstvoll mit Tränen gefüllt, und die Lippen zitterten und riefen schluchzend nach dem Entschwundenen. Dann aber schlangen sich die Aermchen um Gustav Adolfs Nacken, fester und fester, und Janek bat flehend: „Ach, lass ihn bald zurückkommen, ich will auch ganz brav sein!“
Nach wenig Stunden aber war aller Jammer vergessen, und der Fremdling schmiegte sich so zärtlich an den Grafen und nannte ihn ein über das andere mal „Papa,“ als wäre es niemals anders gewesen.
So war Graf Dynar in der stürmischen Herbstnacht Pflegevater eines Sohnes geworden. Dass er den kleinen Polen an Kindesstatt angenommen, das wusste allerdings ausser dem Insurgenten und dem allmächtigen Gott, welcher Zeuge des Gelöbnisses gewesen, keine Seele auf Schloss Proczna.
Es war am Abend des zweiten Tages gewesen, nachdem die Fremden so überraschend Gäste des Grafen Dynar geworden, als Gustav Adolf und der Pole beim Glase Wein zusammen sassen, um die zehnte Stunde zu erwarten, in welcher der Fremde seine Reise fortsetzen wollte.
Schweigend starrte Janeks Vater in die rotfunkelnde Tiefe seines Krystallkelches, eine schmale, aristokratische Hand umschloss denselben, zwei stolz geschweifte Lippen schlürften hastig den Burgunder.
Jach hob er das bleiche, scharfgeschnittene Antlitz und schaute dem Grafen fest in die Augen.
„Ob ich jemals all Ihre Güte und Barmherzigkeit vergelten kann, Graf Dynar, das steht bei Gott, welcher die Geschicke von Menschen und Völkern bestimmt, in dessen Hand es liegt, mich jemals in mein Vaterland zurückkehren zu lassen. Nehmen Sie denn meinen Dank bis zu jener Zeit der Vergeltung im schlichten Worte au, lassen Sie sich bis dahin an dem Bewusstsein genügen, ein grosses, edles Werk gethan zu haben, welches droben im Himmel von Engelshänden verzeichnet werden wird! Dass Sie Ihre Barmherzigkeit an keinen Unwürdigen verschwendet haben, das erkannten Sie wohl durch die Maske, welche das Elend, die Flucht durch Nacht und dornige Wildnis in Lumpen vor das wahre Antlitz des Kosyniers gehängt!“
Ein wild glühender Blick brach aus den dunklen Augen: „Ja, ich bin ein Edelwild, welches die Bluthunde über die Grenze gehetzt haben! Ich habe es gewagt, an den Ketten zu rütteln, welche den Nacken meines unglücklichen Vaterlandes entwürdigend zum Staube beugen, darum wollten sie diese starken Hände unschädlich machen und sie binden! Ich habe es gewagt, unter den Ruinen von Ostrolenka nach dem verschütteten Purpur alter Polenherrlichkeit zu wühlen, darum trage ich selber jetzt die Kutte der Verbannten! — Sie sind ein Deutscher, Graf, Sie kennen und verstehen nicht die Qualen, die ein Pole um verlorene Freiheit fühlt! — Geduld, du wunderholdes, schmerzensreiches Polen! Geduld, bis dem jungen Löwen die Kralle trotzig kühnen Muts gewachsen, um Dich, Du herrliche Mutter, aus Schmach und Knechtschaft zu befreien! Was ist Verbannung, was ist Tod und Verderben, ist’s um Dich gelitten, was ist mir die fremde Scholle unter dem Fuss, wenn mein Herz die Bande fühlt, die es treu und ewiglich mit Deinem Herzen verbinden, einmal kehre ich heim zu Dir, einmal ruhe ich wieder in Deinem Arm als Sohn der freien königlichen Herrscherin — Niech’zyje Polska!“
Der Insurgent war emporgesprungen, fieberische Glut brannte auf seinen Wangen, wilde zügellose Leidenschaft flammte der Blick des schwarzen Auges, mit Ungestüm fasste er das Weinglas, hob es hoch empor und wiederholte voll schwärmerischster Begeisterung sein niech’zyje Polska! Dann stürzte er mit einem Zuge den Inhalt des Krystalls hinab und stiess den Kelch hart und klingend auf den Tisch.
Unwillkürlich hatte auch Graf Dynar, hingerissen von der beredten Gewalt seines Gastes, den Wein an die Lippen geführt, aber ernst, ruhig und voll gemessener Würde, nur aus Höflichkeit, nicht aus Überzeugung, — sein Haupt mit dem stillen, fast kühlen Angesicht bot einen seltsamen Kontrast zu der schäumenden Erregung, welche jeden Zug im Antlitz seines Gegenübers vibrieren liess.
Das war echt polnisch, das war echt deutsches Blut.
„Wohin gedenken Sie Ihre Schritte zu richten?“ fragte Gustav Adolf nach kurzer Pause, als der Fremde, nachdem er ihm heftig die Hand gedrückt, auf seinen Sessel zurücksank und das Haupt aufstöhnend in die Hände stützte.
„Meine Absicht war es vorerst, in Paris mein Fortkommen zu suchen!“
„Werden Sie Ihren Knaben in dieses ungewisse, planlose Leben mit sich führen?“
Ein tiefer, qualvoller Seufzer antwortete ihm. „O, dass ich dieses letzte, süsse Kleinod sicherer betten könnte, denn auf den Wogen meines flüchtigen Schicksals. Wohin mit ihm?“ .. Wehe der zarten Menschenblüte, wenn sie vom Sturm des Lebens gefasst wird, — schon eine hat er mir von dem Herzen gerissen, — armer, armer kleiner Stefan!“
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