Sie zuckte die Achseln. „Afrika habe ich in der Schule nicht gehabt, — wie’s dran war, hatte ich die Masern.“ —
„Donnerwetter, — fatal!“ —
Die Flasche Rotwein vor ihm war leer und die Tafel ward aufgehoben.
„Gesegnete Mahlzeit, mein gnädiges Fräulein!“
„Wohl bekomm’s, Herr von Wieders!“ und dabei schüttelten sie sich so kräftig die Hände und sahen sich so recht von Herzen ausdrucksvoll an, dass man wohl glauben konnte, sie hätten einen Pakt fürs ganze Leben geschlossen.
Schade, dass ihm immer so wenig zum Sprechen einfällt, — später in der Nacht, als er im Bett lag, da kamen ihm noch ein paar gute Gedanken, was er wohl hätte sagen können, aber was hilft der Mostrich nach Tisch!!
Und Kronstadt sitzt da und ist plötzlich der reine Kettenredner geworden!
Freilich, mit Resi! — Mit der kommt jeder gut fort, — mit der schwatzt er, Eberhard der Schweigsame, sogar das Blaue vom Himmel herunter! So; — Paukenschlag, — Schluss. — Gott sei Dank, nun ist die Quadrille zu ihren Vätern versammelt und die Flügelthüren werden sich öffnen. Da heisst es auf dem Posten sein.
Der Kürassier schob sich energisch an ein paar dicken Excellenzen vorüber und tippte Resi auf den Nacken.
„Komm fix, Altes! Das Büffett für die tanzende Jugend ist in der Marmorgalerie aufgeschlagen, wenn wir durch den kleinen Saal hier — rechts durch die Vorhalle gehen, schlängeln wir uns durch den Eingang für die Lakaien direkt hinter das Büffet! Ich habe es das letzte Mal ausprobiert!“ —
„Heil Ihrem Spürsinn!“ lachte Kronstadt aufspringend und bot Resi den Arm: „Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein? Ihr Herr Bruder zeigt den Weg, und wir folgen unserm Feldherrn!“
„Weiss der Teufel, wie er den Vorteil ausnutzt!“ schmunzelte Eberhard, „na, heute will ich Sie noch mal mitnehmen, alter Freund!“ und damit schob er seine vierschrötige Gestalt wie einen Eisbrecher durch die hin- und herwogende Menge, dem nachfolgenden Paar Bahn zu schaffen, und sein rotes, frisches Gesicht leuchtete so fröhlich wie ein Vollmond an klarem Himmel, denn erstens that es seinem eitlen Herzen wohl, dass seine Schwester einen regelrechten Tischherrn gefunden hatte, was bei wenig bekannten jungen Damen immer etwas schwierig ist, und zweitens fühlte er sich dadurch doppelt frei und behaglich.
Er engagierte sich prinzipiell nicht bei Büffetts, denn er behauptete, „nach Mitternacht für alte Weiber und andrer Leute Töchter Essen zu schleppen“ — dazu sei er nicht durch den Fahneneid verpflichtet.
Er ass gern in Ruhe und Behaglichkeit und beklagte es lebhaft, dass Rehrücken, Schnepfenpastete und Austernaspic nicht auch mit Gräten und Flossen zur Welt gekommen waren, denn der weiseste Ausspruch, den je ein hungriger Mensch gethan, deuchte ihm der: „Kinder! beim Fischessen spricht man nicht!“ —
Und so freute er sich auch jetzt seines vortrefflichen Einfalls, einen Flankenangriff auf das Büffett gemacht zu haben, denn diese Taktik bewährte sich glänzend.
Während die Schar hungriger Seelen, glänzend und farbenprächtig, sich durch die soeben geöffneten Saalthüren ergoss, und sich bald vor der langen, reichbesetzten Mitteltafel staute, wie ein Bienenschwarm, welcher in surrenden und burrenden Klumpen am Korbe hängt, stand Leutnant Eberhard bereits mit Schwester und Kamerad hinter dem „Tischlein deck dich“, füllte sich mit aller Seelenruhe und Behaglichkeit seinen Teller, „schwuppevoll“ — rettete ihn auf ein Fensterbrett und kehrte zurück, um eine zweite Auswahl zu treffen und mit Kennermiene die verborgensten lukullischen Perlen zu fischen!
Er behauptete, es sei auch für einen Teller nicht gut, wenn er alleine sei, und darum sorgte er ihm für einen leckeren Genossen.
„Wieders! — Wieders! — füllen Sie mir mal flink was auf!!“ rief eine Stimme aus der Menge, aber Eberhard war taub wie eine Nuss, wuchtete, reich mit des Orients Schätzen beladen, in die Fensternische zurück, schwang sich auf das Fensterbrett und war für niemand — für absolut niemand mehr zu sprechen! —
Resi stand währenddessen an Kronstadts Seite hinter dem Büffett und sorgte in ihrer mütterlichen Weise mehr für ihn, wie er für sie. Das machte sich so ganz selbstverständlich, dass sie energisch die Teller zur Hand nahm, die Speisen mit kritischem Blick überflog und auf dies und jenes Gericht aufmerksam machte; konnte er es schlecht erreichen, füllte sie ihm schnell auf, und just, als sie Eberhards Beispiel folgen und sich an dem freien Eckchen eines seitwärts stehenden Serviertisches häuslich niederlassen wollte, tönte die Stimme an ihr Ohr: „Wieders! Wieders! füllen Sie mir doch was auf!“
Sie schaute empor und sah weit zurück hinter den eifrig hantierenden Damen und Herren ein paar junge Kürassiere, ihr wohlbekannte Kameraden Eberhards stehen.
Sie nickte ihnen fröhlich zu, und die Herren winkten mit der Hand und einer von ihnen rief: „Ei, mein gnädiges Fräulein, endlich sieht man Sie! — Wie kommt denn das, dass wir Sie jetzt erst finden?!“
„Das kommt daher, dass Sie immer in der falschen Ecke gesucht haben!“ rief Resi lachend, und alle Umstehenden lachten mit.
„Wie kommen Sie denn hinter das Büffett, mein gnädiges Fräulein? Haben Sie voltigiert?“
„Das versteht sich! — In Freiheit dressiert!“ —
Wieder allgemeine Fröhlichkeit.
„Fräulein von Wieders, Sie wären ein Engel, wenn Sie mir armem Mann ein Stückchen Brot gäben! Bis wir durchdringen, sind wir entweder verhungert, oder es ist nichts mehr da!“ —
„Ich thue es auch billiger! — Was wollen Sie, süss oder sauer?“ —
„Möglichst von allem und recht viel!!“
„Gut“, und Resi belud flink und geschmackvoll einen Teller und reichte ihn seitwärts durch einen Lakaien dem glücklichen Prätendenten.
„Aber Fräulein von Wieders, wie können Sie Lobwitz so verziehen? — Das nehmen wir andern übel! — Welch ein Recht hat unser Jüngster ...“
„Er ist mein Neffe!“ sagte Resi mit sehr ernster Miene.
„Ich bin auch Ihr Neffe!!“ rief ein anderer der Kürassiere. „Bitte, Tante, mir auch einen Teller!“
„Das versteht sich, — sofort!“ und das junge Mädchen waltete abermals ihres Amtes als Hermann der Rabe.
„Tante! Tante Wieders! Vergessen Sie etwa, dass ich auch Ihr Neffe bin?“ jubelte ein dritter Kürassier, und ein Vierter schwenkte aufgeregt beide Arme in die Luft —
„Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar! Auch ich bin Ihr Neffe, Gnädigste —!“ —
„Nanu! Wieviel Neffen hat denn Fräulein von Wieders? Jetzt ist wohl bald das ganze Regiment beisammen!!“ lachte ein Artillerie-Major in tiefem Bass, und während die Teller über die Köpfe weiter gereicht wurden und die Stimmen lachend durcheinander klangen, rief Leutnant von Lobwitz übermütig:
„Na natürlich! Fräulein Resi ist unser aller Tante, — sie ist Regimentstante!“ —
Und ein allgemeiner Jubel erhob sich und das Wort ward wie von einem Sturmwind erfasst.
„Bravo, — bravo! Regimentstante! Das ist famos, das soll schriftlich gemacht werden! An die Gläser, meine Herren! Die Regimentstante soll leben, hoch! hoch!!“ —
Welch ein lustiges Durcheinander!
Kronstadt reichte der jungen Dame ein volles Sektglas, und sie hob es ohne alle Prüderie, nickte den Herren fröhlich zu und trank es aus.
„Einverstanden. Also Regimentstante! Aber wehe dem Neffen, welcher nicht Ordre pariert!“
„Sie sollen Ihre Freude erleben, gnädigste Tante!“
„Ist Regimentstante identisch mit Erbtante?“ —
„Schämen Sie sich, Graf! Bei solchen ketzerischen Ideen werden Sie sofort aus dem Unterthanenverbande der allergnädigsten Tante ausgestossen!“
„Fräulein von Wieders, kann ich mich gegen einen Mohrenkopf und zwei Käsestangen in den Verband einkaufen?!“ —
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