„Unsinn, Paschedax! Wer nicht bereits mit dem Kürassierhelm auf die Welt gekommen ist, hat keinerlei Anwartschaft darauf!“ —
„Aber ich werde Adoptivneffe! Ich habe zu Hause zwei gewöhnliche Tanten, die tausche ich gegen die Regimentstante ein!“ —
„Entziehen Sie ihm die Hummermajonaise, gnädigste Tante, aus ihm spricht Beelzebub!“ —
„Platz! Platz! — Bitte weiter gehen, meine Herren!“
„Bahn frei! der Landsturm kommt!“
„Fräulein von Wieders, wo sitzen Sie eigentlich? Wir müssen eine kleine, verwandtschaftliche Ecke bilden!“ —
„Kronstadt, führen Sie unsere Tante zu Tisch? Kommen Sie doch, bitte, in die Bildergalerie, — gleich rechts an der Thür haben wir unsere Stühle!“
„Nein! im Marinesaal ist mehr Platz!“ —
„Keine Spur! bleiben Sie ruhig hier, meine Herrschaften, es ist gar nicht durchzukommen!“
„Ist ja auch gar keine gemütliche Ecke bei dem Tellerbalancieren möglich! — Da! ich sag’s ja, der kleine Graf jongliert bereits, — sauve qui peut!“
„Dann auf Wiedersehen beim Tanzen!“ —
„Sie gestatten, gnädigste Tante —!“
Und die Kürassiere hoben chevaleresk die Gläser, um sie zu leeren und sogleich an die Lakaien zurück zu geben.
Kronstadt hatte seinen Teller bereits geleert.
„Nun bitte ich aber dringend, mein gnädiges Fräulein, dass Sie auch einmal an sich denken, und nicht hier die Wohlthätigkeit bis zur Selbstverleugnung treiben! Sehen Sie mal, Ihr Herr Bruder kommt schon zum dritten Kesseltreiben zurück! Wir wollen uns schnell seines Fensterbrettes bemächtigen, denn diese sind ungeheuer gesucht! — Sie gestatten, dass ich Ihren Teller trage!“ —
Und als sie abseits standen, und Resi wie berauscht vor Freude und Entzücken mit strahlenden Augen zu ihm aufsah, da hob auch er sein Glas, neigte es galant gegen die junge Dame und sagte: „Ich trinke das Wohl der liebenswürdigsten aller Regimentstanten, — in der Hoffnung, dass aus derselben einst eine ebenso liebenswürdige Frau Kommandeuse — die Regiments mutter werde!“
Resi erglühte bis auf den weissen Hals herab, und Eberhard, welcher just mit dem dritten Teller zurück kam, blickte in das Gesicht der Schwester.
Vor Schreck hätte er beinahe seine ganze Ladung verschüttet. — Grundgütiger! Welch ein Ausdruck in ihren Augen! —
„Wahr und wahrhaftig — das vernünftige, liebe Altchen hat sich verliebt!“
Sollte es möglich sein? In Kronstadt, den Familientäuscher, für welchen schon so manch junges Herzchen hoffnungslos geglüht hat? —
Er ist so erschrocken, dass ihm beinahe der Appetit vergeht, — aber er sieht, dass Resi ihre Liebe nicht tragisch, sondern ungeheuer vergnügt auffasst, und dass Kronstadt auch so animiert wie selten ist! —
Es passieren ja manchmal Dinge zwischen heute und morgen, von welchen sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt, und Amor bekommt genau solche Gaunerei-Anfälle, wie jeder brave Erdenschlingel auch, — wenn er einen Frosch und einen Maikäfer, welche die Natur durch ihr Äusseres absolut nicht für einander bestimmt hat, übermütig mit einem Fädchen zusammenbindet — —
„Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreissen lässt —“
hält der liebe, lose Schlingel sie so wider Willen fest! — Aber was hilft’s? — Ein Dritter darf sich mit seinen plumpen Händen nicht hinein mengen, — man muss sie zappeln lassen, bis sie selber die Fesseln sprengen! —
Da aber die Sache vorläufig noch sehr friedlich aussieht und Frosch und Maikäfer die holde Gefangenschaft noch als einen schlechten Witz von Amorchen zu belachen scheinen, ergibt sich auch Leutnant Eberhard in seine neueste Entdeckung und ist Philosoph genug, um sich nicht seinen schönen Ananascrême von einem Gewitter verhageln zu lassen, welches vorläufig noch gar nicht am Himmel steht. —
Es ballt sich erst am Horizont zusammen, und dann hat es noch keine Gefahr, man weiss nicht, ob’s herauf kommt, oder ob all das Augenblitzen und Wangenflammen nur ein ganz unschädliches Wetterleuchten bleibt! Wenn man sich nur ein bischen hätte setzen können, wäre die kleine Fensterecke höchst behaglich gewesen.
Eberhard liebt es so sehr bei Tisch, einer anderen lebhaften Unterhaltung zuzuhören, welche ihn amüsiert, ohne persönliche Ansprüche an ihn zu stellen.
Ja, er ist schon auf ganz nichtswürdige Ideen verfallen, um dieser Passion zu fröhnen, und hat Tante Auguste jüngsthin schwer dadurch alteriert.
Sie sassen zu dreien — die Tante, Resi und er — beim Essen, und seltsamerweise wollte die Unterhaltung keine rechten Blüten treiben, denn die beiden Damen waren auffällig wortkarg.
„Ich möchte wissen, was eigentlich richtig ist“, hub der Leutnant plötzlich an, „so, wie es früher Mode war, oder wie es unsere aufgeklärte Zeit hält!“
„Was meinst du für eine Mode?“ horchte die Tante auf, denn sie schwor Stein und Bein auf die alte Zeit und fand sie in allen Dingen sehr viel besser, wie die jetzige. „Also was meinst du?“ fragte sie voll jäh erwachenden Interesses.
„Ich meine den ‚Anstandsbrocken‘!“ fuhr Eberhard fort und schnitt sich eine grosse Portion Braten, „früher hielt man es für wohlerzogen, einen Restbrocken auf dem Teller zurück zu lassen, welcher kurzweg ‚der Anstand‘ genannt wurde, und heutzutage findet man das nicht chic und behauptet, besagter ‚Anstand‘ müsse auf der Schüssel liegen bleiben!“
„Was auch entschieden richtig ist!“ nickte Resi.
„Was entschieden falsch ist!“ betonte Tante Auguste, „die Schüssel ist neutrales Gebiet, während das Zurücklassen eines kleinen Restes auf dem eigenen Teller eine gewisse Selbstbeherrschung und Mässigung ausdrücken soll!“
„Ich würde es als eine Opposition auffassen, dass es dem Betreffenden nicht geschmeckt hat!“ rief Resi. „Was meinst du, Hardi?“
„Hm!“
„Wenn man zuvor von dem Gericht einen ganzen Teller oder deren mehrere verspeist hat, ist solch eine Annahme ausgeschlossen!“ warf die Tante spitz ein, und geriet auch in Eifer.
„Man kann schliesslich auch im letzten Happen eine Fliege finden!“ —
„Shocking!! So etwas ist in einem sauberen Haushalt absolut unmöglich! Findest du nicht auch, Eberhard?“ —
„Hm!“ —
„Du liebe Zeit! Wie manche Fliege habe ich in Wiedershagen aus der Suppe gefischt!“
„Unerhört! Soll das ein Vorwurf — eine Beleidigung für mich sein?“ bebte Tante Auguste in Entrüstung und Kampfesmut.
„Durchaus nicht! Das ist auf dem Lande, wo viele Fliegen sind, oft unvermeidlich! Sie fallen hinein, während der Diener den Deckel von der Terrine hebt! — Ich meine nur, der Restbrocken auf der Schüssel sei richtiger! — Nicht wahr, Hardi?“
„Hm —“
„Und ich erkläre — auf den Teller gehört er!“
„Na, ich esse nun mal alles auf, was ich mir nehme —“
„Und ich lasse einen Brocken zurück —!“
„So werde jede auf seine eigene Façon selig!“
„Ein junges, naseweises Ding, welches dem Alter und dem Althergebrachten opponiert, hat wenig Hoffnung auf Seligkeit —!“
Und so spitzte sich der Streit immer mehr und mehr zu, beide Damen, die erst so schweigsam verharrten, weil jede schon etwas „angeärgert“ war, wurden nun desto lebhafter, und Eberhard sass dabei, ass und trank und trank und ass, nnd über den Teller herüber flogen die Blicke seiner hellblauen Äuglein so pfiffig und das rote, feiste Antlitz glänzte so stillvergnügt, dass seine ganze, wohlbehagliche Persönlichkeit sehr grell und erstaunlich gegen die beiden erregten Damen abstach.
„Nimmst du vielleicht noch den Restbrocken?“ fragte Tante Auguste ironisch und blähte die Nüstern ihrer spitzen Nase noch weiter auf, reichte Resi die Platte, auf welcher noch ein letzter, kleiner Punschkuchen lag, herüber, und blickte sie mit herausforderndstem Blick an.
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