Wieder und immer wieder blickte Resi zu ihm hinüber.
Noch nie hatte ihr ein Männergesicht so vortrefflich gefallen, wie just dieses.
Warum? — sie fragte es nicht, denn sie hätte doch wohl keine rechte Antwort darauf gewusst; die spärliche Thatsache, dass er schön war, konnte einem so klugen Mädchen, wie Fräulein von Wieders, nicht genügen, und ausser dieser fehlte vorläufig jede andere Qualifikation. Und dennoch! — es ist ein wunderbares Gefühl um die Sympathie, um solch ein unbewusstes Sicherwärmen und Sichinteressieren!
Resi empfand nie zuvor etwas Ähnliches, wie in dieser Stunde, und während die andern Menschen im Saal ihr nur als amüsante Marionetten erschienen, deren Drehungen und Wendungen man zusieht, wie in einem Lustspiel, so kam ihr bei dem hübschen Ulanenoffizier zum erstenmal die Frage: „Wie heisst er und warum tanzt er nicht? Warum schaut er so unnatürlich ernst in die Welt?“ —
Und während ihr Blick wieder nachdenklich auf ihm weilte, und sie im Herzen eine innige, naive Freude empfand, dass ihr ein Mensch so ausserordentlich gut zu gefallen vermochte, sah sie Eberhards robuste Gestalt neben dem Ulan auftauchen.
Der Kürassier legte schweigsam wie immer die Hand auf die Schulter des Ulans, und drehte ihn mit fröhlich schmunzelndem Gesicht etwas zur Seite, um passieren zu können.
Der interessante Unbekannte wandte jählings das Haupt und starrte in das rote, fleischige Gesicht Wieders’, und dann flog ein Schimmer von Lächeln über sein Gesicht und er sprach ein paar Worte, welche sicher lauteten: „Ach, Wieders! Gut, dass ich Sie treffe!“ — So wenigstens deutete sich Resi den Ausdruck seines Gesichts.
Könnte sie doch hören, was sie sprechen! — Sie sitzt ja ziemlich nahe, aber die Musik spielt so laut — ah! brillant, eben schliesst sie mit kräftigem Paukenschlag, — und durch die momentane Stille klingt die tiefe Bierbassstimme des Bruders zu dem jungen Mädchen herüber.
„Meine Fuchsstute? Thut mir leid, Verehrtester, vorgestern schon verkauft! War ein Kapitalgaul! Stochow hatte schon lange darum gehandelt — —“ und dann setzte die Musik zu der dritten Quadrillentour ein, und Eberhard und der Ulan dienerten sich ein paarmal an und trennten sich.
Der Kürassier steuerte direkt auf das Podium los, seine Schwester zu erreichen, und der schöne Unbekannte stand nach wie vor als steinernes Bild an der Säule.
„Na, Resel — da bin ich endlich wieder!“ nickte Eberhard, mit tiefem Seufzer sich in das schmale Eckchen zwischen Diwan und Eckdekoration hinein klemmend. „Entsetzliche Schwätzerei! — An allen Ecken und Enden nageln sie einen fest! — Hast dich gelangweilt?“ —
Fräulein von Wieders lachte und ihre Wangen glühten wie Pfingstrosen. „I, wo werde ich, es ist entzückend! Du glaubst gar nicht, wie prachtvoll ich mich amüsiere! Schade nur, dass ich so wenig Menschen kenne, du musst mir ein paar Namen nennen, Hardi, zum Beispiel wer ist jene ... ja, wart’ mal .. wo steckt sie denn nun ... ah .. da drüben unter dem zweiten Kronleuchter, tanzt mit einem ausländischen Offizier in grüner, goldgestickter Uniform mit breitem Bandelier ...“
„Hm .. Russe ...“
„Und die Dame trägt ein Kleid aus Goldflor und einen grossen, schillernden Schmetterling im Haar — siehst du sie? — Eben macht sie einen Knix ...“
„Ach, die Ada!!“ —
„Ada? — Und wie weiter?“
„Na, Ada Ingelsburg! Tochter vom alten Grafen, dem Kommandierenden des X. Korps ...“
„Wie entzückend sie ist, — bildhübsch! Wenn ich ein Mann wäre, Hardi, in die würde ich mich verlieben!“
Ein undefinierbares Knurren neben ihr.
„Nun? Findest du sie nicht auch allerliebst?“
„Par distance, — wenn sie Gesicht Nr. 1 auf hat!“
„Was heisst das?“ —
„Das heisst, die Allergnädigste hat Auswahl in Gesichtern. Sie steckt sie nach Bedarf auf.“
„Und welches zeigt sie dir?“ —
„Das mit den Angelhäkchen in den Augen! Als Kürassier und Majoratsherr bekommt man drei Sternchen in ihrer Liste!“ —
„Abscheulich! Weiss der liebe Gott, wenn die Menschen schandmäulern, werden selbst die Schweigsamsten beredt!!“
„Hm ....“
„Auf die Damen bist du ja selten gut zu sprechen —“
„Oho! — ich bin ein Gefühlsmensch — aber kein Courmacher, das strengt zu verteufelt an!“ —
„Darum ziehst du weniger aufregende Gespräche mit Herren vor — wie zum Beispiel mit jenem Ulan dort! — Wollte er die Nora kaufen?“ —
„Hätte ihm so passen können!“ Eberhard legte beide Hände auf seinen Säbelkorb und schaute wie ein Marabu der Nase entlang?“ —
„Wie heisst er?“ —
„Der Gaul? — Nora!“ —
„Unsinn, der Ulan!“ —
Leutnant von Wieders schob die breite Unterlippe noch breiter vor.
„Sein Vater hiess Baron Kronstadt, und darum heisst der Sohn auch so!“
„Er tanzt ja nicht? Warum das?“ —
Eberhardt zuckte die Achseln. „Blasierter Bengel!“
„Pfui, Hardi! Tanzest du etwa?!“
„Das versteht sich! — Eben wird ein schneidiger Galopp losgelassen, auf den habe ich nur gewartet, um mal alle Hindernisse mit dir zu nehmen!“
„Mit mir?!“
Resi lachte hell auf, ward aber im nächsten Moment blutrot, denn der Ulan wandte den Kopf und sah sie an.
„Na natürlich mit dir!“ und Eberhardt legte gelassen den Säbel ab; „du armes Wurm sollst dich doch nicht den ganzen Abend hier im Eckchen steif sitzen! Komm, Resi — kannst es getrost mit mir riskieren!“ —
Seine tiefe Stimme klang wohl lauter, als er dachte, der Ulan verstand Wort für Wort und schaute jäh betroffen auf das grosse, hässliche Mädchen, dessen ganzes Gesicht vor Freude glühte. — Du lieber Gott! sie hatte noch keinmal den ganzen Abend getanzt, und es war elf Uhr durch! —
Resi fühlte den Blick der dunklen Augen auf sich ruhen, und eine jähe, namenlose Verlegenheit erfasste sie. Um sie aber nicht zu zeigen, lachte sie immer mehr und immer lustiger und sprang hastig auf, um von diesem Platz fortzukommen. Sie hatte aber den einen Fuss während des Sitzens zurück geschoben und auf die Spitze gestellt, und der spitze, franzöfische Hacken ihres weissen Atlasschuhes hatte sich in dem Spitzenzwischensatz des Unterkleides festgehakt.
Als sie nun so hastig aufsprang, blieb der Fuss hängen, und um ihn zu befreien, musste Resi etwas zappeln mit ihm, und das verursachte momentan eine hüpfende Bewegung, bis der Hacken frei kam, und Fräulein von Wieders, immer tödlicher verlegen, den Arm des Bruders nahm und, immer lebhafter lachend, auf ihn einsprach, während sie sich durch die dreifache Mauer der Zuschauer Bahn brachen.
Baron Kronstadt aber starrte ihr immer noch mit weitaufgerissenen Augen nach!
So etwas hatte er ja im ganzen Leben noch nicht gesehen! — Du lieber Himmel, welch eine Freude! Welch ein Entzücken, weil sie einmal tanzen soll! Armes Ding! Den ganzen Abend geschimmelt, und dabei doch so liebenswürdig und guter Dinge geblieben! Und als endlich der dicke Kerl, der Wieders ankommt — er schien ihr Bruder oder Vetter zu sein, nannte sie wenigstens „du“ — und sie zu einem armseligen Galopp flott macht, da freut sich das rührende Wurm so diebisch, dass sie vor Vergnügen von einem Fuss auf den andern hüpft! —
Ein Gefühl von Staunen, Überraschung und Rührung bemächtigte sich des Ulans.
Nein, so viel ehrliche Freude, so viel bescheidene Liebenswürdigkeit und Anspruchslosigkeit hatte er zuvor noch nie erlebt! —
Hübsch ist sie zwar nicht, aber .. du heilige Kümmernis! man findet es noch schlimmer, und ein hässliches Gesicht, welches so glückselig lacht, ist ihm immer noch zehnmal lieber, wie das schönste Lärvchen, welches von Arroganz und schlechter Laune verunstaltet wird. —
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