„Ja freilich — wenn du mir mit deiner Generalvollmacht alle Freiheit der Bewegungen rauben wolltest, dann habe ich dich allerdings falsch verstanden,“ fuhr Gisbert höhnisch auf; „du hättest es mir aber wohl kaum übel genommen, wenn ich dir seinerzeit das Doppelte oder Dreifache an Zinsen gutgeschrieben hätte!“
In dem runzeligen Gesichte des Alten wetterleuchtete es, er zog die buschigen Brauen drohend zusammen, paffte grosse Rauchwolken aus seiner Cigarre und begann mit den knochigen Fingern auf dem Tische zu trommeln.
„Wenn — wenn ...! Ja, den Deibel auch! Weisst du, mein Junge, ich nenne so was nu ... na, lassen wir’s jut sein! Ich möchte nur wissen, warum du mir die Jeschichte damals nich jleich jesagt hast!“
„Hätte ich selbstverständlich gethan, wenn du dir damals nicht den Menschen, den Zwillich, mitgebracht hättest. Aber dem gegenüber, wie hätte denn das ausgesehen!?“ rief Gisbert.
„Siehst de woll! Also doch en schlechtes Jewissen jehabt!“
„Ja, Sie haben recht, Herr Döhmke,“ mischte sich nun Lori mit bebender Stimme ein, „aber Sie dürfen ihm jetzt keinen Vorwurf mehr machen aus seinem Mangel an moralischem Mut. In seiner Gewissensnot hat er sich mir anvertraut, und er hat die Folgen ohne Besinnen auf sich genommen. Zuerst war es ja freilich nur die Furcht, Ihr Misstrauen zu erwecken, die ihn dazu trieb, sich selber das grosse gewinnbringende Geschäft zu zerstören, damit er Ihnen die angegebenen Papiere zur richtigen Stunde vorlegen konnte. Er wollte nicht als Lügner vor Ihnen dastehen, sehen Sie — und dann konnte er auch vor mir nicht als Lügner dastehen! Ach, es war ja so gut, dass alles so gekommen ist! Jetzt atmen wir reine Luft — ich darf ihm wieder ganz vertrauen — und er sich selbst! O, Sie glauben nicht, lieber Herr Döhmke, wie froh ich bin, dass wir allen falschen Glanz von unsrem Leben abgestreift haben! Ich würde auch in einer Dachkammer glücklich sein können, wenn ... Nichts macht doch so elend, wie die Lüge!“
Sie hatte sich in eine solche Erregung hineingesprochen, dass ihr am Schlusse die Stimme versagte und ihre schönen Augen sich mit Thränen füllten.
Mit seltsamem Zucken in den verwetterten Zügen hatte der alte Herr ihr zugehört. Gisbert aber vermochte seine nervöse Aufregung kaum mehr zu bemeistern. Sollte er sich denn ewig von dieser Tugendpriesterin wie ein armer Sünder behandeln lassen! Mit mühsam unterdrücktem Groll begann er, hinter Loris Sessel tretend: „Schon wieder Thränen! Mein Gott, du wirst mich mit deiner krankhaften Sentimentalität noch verrückt machen! Meine Freunde behaupten freilich, ich wäre es jetzt schon! — Wenn du mir nicht damals so zugesetzt hättest ... Na freilich, ich war reich: die Gemütsbewegung — das Gefühl, dass man aus lauter übertriebener Gewissenhaftigkeit, um nur nicht einen Augenblick in den Verdacht zu kommen, als hätte man nicht ganz reinlich gehandelt, zu Mitteln greifen konnte, wie sie sonst wohl Schwindler ... kein Wunder, wenn das einen ehrlichen Mann, einen Gemütsmenschen wie mich, wirr macht! Hättest du mich in Frieden gelassen mit deinen Thränen und so weiter, dann wäre ich am andern Tage zu Herrn Döhmke hinausgegangen und hätte gesagt: Du hör’ ’mal, Onkelchen, so und so — nimm mir’s nicht übel, ich hab’ dir da aus den und den Gründen eine dumme Komödie vorgespielt. Und wenn du mir auch dann dein Geld nicht wieder anvertraut hättest — zehn andere hätte ich finden können, die mir gegeben hätten, was ich brauchte, um meine Spekulationen durchzuführen. Dann sässen wir jetzt nicht in dieser verdammten Flemmingstrasse, dann hätte ich nicht meinen eigenen Hausknecht zu spielen brauchen und mich aus der Gesellschaft rausschmeissen — und dann ... dann hätte ich auch jedenfalls den armen, kleinen, süssen Burschen nicht verloren!“
Bei diesen letzten, plötzlich mit heiserer, wuterstickter Stimme hervorgestossenen Worten richtete sich Lori erbleichend in die Höhe.
„Was willst du damit sagen?“ flüsterte sie kaum hörbar, mit angstvoll weit geöffneten Augen.
Mit drei raschen Schritten trat Gisbert vor sie hin, und, die geballten Fäuste zitternd gegen seine Brust gedrückt, den hasserfüllten Blick in den ihren bohrend, gab er ihr zur Antwort: „Hast du dir noch nie einen Vorwurf deswegen zu machen gehabt, nein?! Hast du nie daran gedacht, dass dieses feuchte neue Haus in dieser kaum ausgetrockneten Sumpfgegend, die überschwemmten Wiesen ganz in der Nähe — und dann dieser Spielplatz, wo Krethi und Plethi aus durchseuchten Kasernen, schmutzige Proletarierkinder aus nie gelüfteten Hinterstuben massenhaft beisammen hocken — hast du wirklich nie daran gedacht, dass mein Waltherchen sich dort den Todeskeim geholt haben könnte? Meine Kinder, die nur drei Schritt bis zum Tiergarten hatten, die im Zoologischen Garten nur mit sorgfältig gepflegten und ängstlich bewachten Kindern aus den besten Häusern umzugehen gewohnt waren, — an die hast du wohl gar nicht gedacht, als du so freundlich warst, uns aus reiner Sorge für meine moralische Gesundheit in diese — ‚reine Atmosphäre der Wahrheit‘ zu versetzen! Na, einer Stiefmutter kann man’s ja am Ende nicht so übel nehmen ...“
„Das ist zu viel!“ schrie Lori auf und schlug aufseufzend die Hände vor ihr Gesicht. „Mein Gott, womit habe ich das verdient?!“
Da schallte plötzlich scharf und befehlend die Stimme des alten Döhmke: „Schickt das Kind raus!“
In der Aufregung hatte bisher niemand bemerkt, dass die kleine Eva immer noch anwesend war. Sie hockte unter dem Flügel und hatte mit gespanntester Aufmerksamkeit ihres Vaters furchtbarer Anklage gegen die Stiefmutter gelauscht. Auch in ihren schwarzen, fremdrassigen Augen blitzte etwas wie versteckter Hass auf, und als sie, einem Winke ihres Vaters gehorchend, nun das Zimmer verliess, traf, ehe sie die Thür hinter sich schloss, noch ein solch lauernder Blick die schluchzende blonde Frau, die ihrem Herzen so fremd geblieben war, und die weichen, zarten Kinderwangen verzog ein Lächeln boshaften Triumphes.
Nun aber richtete sich Vater Döhmke langsam in seiner ganzen mageren Länge auf, stupfte seine noch brennende Cigarre mit einem scharfen Druck in den Aschbecher, räusperte sich und sprach: „Jawoll, deine Frau hat recht, Jisbert — da hört sich allens auf! Weisst de, was de bist in meinen Augen? Ein jemeiner, erbärmlicher Schuft bist de!“
Mit einem Ausdruck in den verzerrten Mienen, als wolle er ihm an die Kehle springen, trat Renard mit ein paar raschen Schritten dicht vor den alten Mann und schrie ihn an: „Herr, was soll das heissen? Sie sind hier in meiner Wohnung, und ich habe nicht nötig, mich beleidigen zu lassen!“
„Schweig’ und höre, was ich dir zu sagen habe — und Ihnen auch, Frau Renard; ich kann Sie jetzt nicht mehr schonen. Ich wollte heute noch nicht damit herauskommen, aus Achtung vor seinem Vaterschmerz; aber ein Mensch, dem selbst nichts heilig ist, der darf auch keine Rücksicht von andern fordern.“
Mit solchem Ernst, mit solcher Ruhe sprach der alte Herr dass Gisbert nichts gegen ihn auszurichten wusste. Er warf sich in einen Polstersessel und seine Finger umkrallten dessen Seitenlehnen. Lori, die sich, angstvoll aufhorchend, über den Tisch gebeugt hatte, wagte er nicht anzuschauen.
Und nun fuhr die rauhe Stimme des Anklägers also fort: „Sag’ mal, du ehrlicher Mann, du Jemütsmensch du, wenn es dir damals so’n natürliches Bedürfnis war, dir dein Jewissen zu erleichtern, wejen der Kleinigkeit mit meinen Papieren, weshalb hast du denn dann die Last deiner weit jrösseren Niedertracht mit solcher heroischen Jemütsruhe ertragen? Ja, ja, Frau Lori, die kleine Jeschichte von damals, die er Ihnen eingestanden hat, damit Sie ihm wieder vertrauen sollten, das war jar nischt — det dicke Ende kommt nach! Aber was sagen Sie hierzu: mein jrosses Irundstück, das ich damals in meinem Patriotismus dem Fiskus schenken wollte, weil die Militärverwaltung dort eine jrosse Sache hinzubauen jedachte, wie man mir versichert hatte — na, das ist wahrscheinlich auch Schwindel jewesen, und wie ich zu meinem Orden jekommen bin, das wird wahrscheinlich der Herr Doktor Renard genauer wissen als Seine Majestät! — Na, eines Tages kommt also mein Jisbert mit einem langen Jesichte an und sagt mir, mit der militärischen Jründung wäre es nischt; unser Irundstück wäre dadurch mit’n mal so entwertet, dass wir froh sein könnten, wenn uns jetzt noch einer die Hälfte dafür gäbe von dem, was es jekostet hatte. Er macht mir die Sache so plausibel, dass ich auch richtig Auftrag jebe zu verkaufen und mich in meinem Aerjer um den ganzen Krempel nich mehr kümmere und noch froh bin, als er mir nachher doch noch etwas über die Hälfte wieder jut schreibt — als angeblich erzielten Kaufpreis. In Wahrheit aber hat er überhaupt nich verkauft, sondern das Jrundstück auf seinen Namen überschreiben lassen, weil er ein anderes jrossartiges Jeschäft ausbaldowert hatte, was nächstens zum Klappen kommen soll. Den anjeblichen Kaufpreis werde ich wohl auch zum jrossen Teil selber bezahlt haben — sonst hätte ihm die Auslieferung meines Depots neulich nich solchen Stoss jeben können! — Na, wie findest du die Jeschichte? Du Jemütsmensch, du? — Was meinst de woll, was der Staatsanwalt dazu sagen wird?“
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